„Ich kann nicht aufhören, an dich zu denken. Willst du wissen, was ich ganz besonders gern mit dir anstellen würde?“. Nachrichten wie diese tauchen derzeit inflationsartig auf Plattformen wie Instagram auf. Gleich vorab: Melisa.sexy46887 kann und wird nichts mit dir anstellen. Jedenfalls nichts, was Körperkontakt erfordern würde. Melisa.sexy46887 ist ein Social-Bot, ein Algorithmus.
Social-Bots (Social Robots) sind Computerprogramme, die darauf ausgerichtet sind, in sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook oder Twitter maschinell erstellte Beiträge wie Kommentare, Antworten und Meinungsäußerungen zu generieren. So können sie etwa bei politischen Wahlen Diskurse beeinflussen und die Entscheidungen der Wähler*innen manipulieren.
Sex-Bots, eine Untergruppe der Social-Bots, haben mit Politik weniger am Hut. Recherchen des Bayrischen Rundfunks zufolge steckt hinter Profilen wie Melisa.sexy46887 das lukrative Geschäftsmodell des Affiliate-Marketings. Am Anfang der Handelskette stehen Datingportale, deren Betreibende die Zahl ihrer Kundschaft vergrößern wollen. Das übernehmen die Affiliate-Marketer, deren Dienstleistung es ist, Nutzende von Social-Media-Plattformen auf die Datingseiten zu locken. Und das geschieht wie folgt: Potenzielle Kund*innen werden von Spam-Bots via Direktnachrichten, Likes, Einladungen oder Ähnlichem kontaktiert. Sie locken mit aufreizenden Fotos und Flirtversprechen wie „Sie schickt allen ihre Pornos“ oder „Ich habe einen dicken Arsch… Bist du sicher, dass du meinen dicken Arsch ignorieren willst? [Diverse Sex-Emojis einfügen]“.
Ziel ist es, die mögliche Beute in ein Gespräch zu verwickeln. Zu diesem Zweck sind häufig auch sogenannte Animateur*innen oder Operator*innen im Einsatz; Menschen aus Fleisch und Blut, die via Chat flirten, jedoch keinesfalls ernsthaft an einem Date interessiert sind. Sobald es ernst wird und den gemachten Versprechen Tatsachen folgen sollen, verweist Melisa.sexy46887 auf einen Link zur Homepage der Dating-Plattform. Ab dann zahlt der oder die Kund*in für Chats oder auch das Anklicken von Profilen. Die Affiliate-Marketer werden für erfolgreiche vermittelte Kund*innen bezahlt: pro Klick, Anmeldung, Geschäftsabschluss oder per Gewinnbeteiligung. Mittlerweile existieren für die Affiliate-Programme eigene Marktplätze für die unterschiedlichsten Branchen. Dazu gehören neben dem Dating auch Abnehmen, Kredite, Gewinnspiele und dergleichen mehr.
Eine Untersuchung von Ghost Data aus dem Jahr 2018 schätzt die Zahl der Fake-Accounts und Bots auf Instagram auf fast zehn Prozent – in absoluten Zahlen sind das gut 100 Millionen Accounts.
Die Zunahme von Social-Bot-Manipulationen in sozialen Netzwerken erfordert die Entwicklung effektiver Enttarnungssystemen. In Projekten wie „Social Media Forensics“ der Unviversität Siegen in Kooperation mit der Cologne Business School und dem Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (GESIS) wurden Methoden entwickelt, wie Manipulationen in sozialen Netzwerken durch Bots, Bot-Netze und Trolle entdeckt werden können. Auch Instagram verfügt über ein eigenes Anti-Spam-System, das eine Million Überprüfungen pro Sekunde durchführt. Schon bei der Registrierung werden täglich Millionen von Fake-Accounts blockiert. Die Köpfe hinter den Bots sehen darin eine Bedrohung ihres Geschäfts und entwickeln immer geschicktere Methoden, um dem Entlarvungs-Algorithmus zu entwischen.
Besonders anfällig für Bots sind Profile mit einer großen Anzahl von Follower*innen, also Nutzende, die diesen Profilen folgen. Je mehr Follower*innen, desto größer der Markt. Um den Bot-Befall in den Griff zu bekommen, gibt es verschiedene Methoden: Wörter, die die Roboter besonders häufig verwenden wie „Unterhose“, „Banane“, „feucht“ ausblenden (Einstellungen → Privatsphäre → Kommentare), unerwünschte Accounts blockieren oder als Spam melden. Eigens für diesen Zweck gibt es Apps wie Gramplify, Mass Unfollow oder Unfollowers & Ghost Followers.
Generell gilt: So verlockend die Angebote von Accounts wie Melisa.sexy46887 für den einen oder die andere auch sein mögen, eine Kontaktaufnahme sollte man in jedem Fall vermeiden. Nicht nur eine hohe Rechnung droht. Oft geht damit auch die Verbreitung von Schadsoftware sowie die Sammlung, der Verkauf und der Missbrauch von Daten einher.
Von Nele Karsten
Nele Karsten studiert Politikwissenschaft und Psychologie. Für den ruprecht schreibt sie seit 2019 über aktuelle Phänomene wie den Klimawandel und deren Auswirkungen. In ihren Glossen zeigt sie sich gesellschaftskritisch und geht dabei gern bis an die zynisch-sarkastische Schmerzgrenze.