Eine schwarze alleinerziehende Mutter und ihre Tochter ziehen 1997 in eine US-amerikanische Kleinstadt, in der die meisten Bewohner weiß sind und Doppelhaushälften so entworfen sind, dass sie aussehen wie Einfamilienhäuser. So beginnt die neue Serie Little Fires Everywhere, die seit Mitte Mai für Amazon Prime Nutzende verfügbar ist. Sie basiert auf dem gleichnamigen Buch von Celeste Ng, erschienen 2017, das LeserInnen weltweit gefällt und großen Erfolg hat. Die TV-Adaption hat mit Kerry Washington und Reese Witherspoon zwei äußerst erfolgreiche und talentierte Schauspielerinnen für sich gewonnen, aber auch die 16-Jährige Lexi Underwood sticht als Nachwuchsschauspielerin in ihrer Rolle als Jugendliche, die sich selbst noch findet, heraus.
Mia Warren (Kerry Washington) und Pearl Warren (Lexi Underwood) ziehen, seit Pearl sich erinnern kann, alle paar Monate in eine neue Stadt um. Laut Mia ist das ihrem Beruf als Künstlerin geschuldet. Ihren Vater hat Pearl nie kennengelernt und Mia wahrt stets Stillschweigen über ihre Vergangenheit.
Im Jahr 1997, Pearl ist grade 15, kommen die beiden mit ihrem heruntergekommenen Auto in Shaker Heights an. Einer Planstadt, in der die Straßen symmetrisch und die Bürgersteige makellos sind. Mehrfamilienhäuser sehen von außen wie Einfamilienhäuser aus, um den Anschein zu erwecken, man besäße und mietete nicht. Und sollte der Rasen über eine bestimmte Zentimeteranzahl hinauswachsen, bekommt man eine Mahnung wegen Wildwuchs. Shaker Heights ist spießig.
Die reiche, weiße Antagonistin gibt sich immer mehr ihren zerstörerischen Impulsen hin
Aus einem Impuls vermietet die wohlhabende Elena Richardson (Reese Witherspoon) ihre Zweitwohnung an die Warrens und gibt ihnen ein Zuhause in Shaker Heights. Von dort an entwickelt sich eine Beziehung zwischen den Figuren und ihren Familien. Elenas vier Kinder und ihr Ehemann bauen nach und nach Beziehungen zu Mia und Pearl auf und die Leben der Figuren verweben sich immer stärker im Laufe der Serie. Zwischen Elena und Mia entwickelt sich eine merkwürdige Obsession die sich schnell in Feindseligkeit und geradezu Hass verwandelt, während Pearl tiefer und tiefer in die Familienbande der Richardsons gezogen wird, sich als Teil ihrer Familie betrachtet und auch romantische Beziehungen aufbaut. Mia und Elena sind dabei zwei gegensätzliche Pole, die sich voneinander abstoßen und zwischen denen Pearl eine Gradwanderung betreibt. Elenas heile Welt und ihre Rolle als respektierte Frau in der Gemeinschaft wird durch die Ankunft der Warrens erschüttert und gerät mit der Zeit zunehmend aus den Fugen.
Rassismus, Hautfarbe, Bildungsgrad und Vermögen spielen entscheidende Rollen. Die Richardsons sind als reiche, weiße, gebildete und konservativ-prüde Familie der Gegenpol zu Mia und Pearls ärmerer, schwarzer, eher liberaler und wenig privilegierter Familie. Aber auch die Themen Mutterschaft und Familie nehmen in Little Fires Everywhere eine zentrale Stellung ein. Sowohl Elena als auch Mia kämpfen darum, die bestmögliche Mutter für ihre Kinder zu sein und ihnen das zu geben, was sie für am besten halten. Beiden fällt es schwer ihren Kindern Unabhängigkeit zu erlauben. Es gibt zwischen den Frauen von außen betrachtet oft mehr Gemeinsamkeiten und ähnliche Erfahrungen, als sie selbst von sich zu glauben scheinen.
Die schauspielerische Leistung der ganzen Besetzung ist durchweg überzeugend. Reese Witherspoon spielt ihre Rolle als Antagonistin und der „rich-white-woman“ mit äußerster Überzeugung und lässt die Zuschauenden sie mehr und mehr verabscheuen, während ihre Fassade und die ihrer perfekten Familie langsam fällt und sie sich ihren zerstörerischen Impulsen hingibt.
Rassismus und Diskriminierung sind ein großes Thema, dass die Figuren in allen Folgen beschäftigt
Mia Warren wird als geheimnisvoll und verschlossen, jedoch gleichzeitig hilfsbereit und von Grund auf gut umgesetzt. Das Innenleben und die Verwirrung in Mia selbst bringt Kerry Washington mit Geschick nach außen und zeigt Mia als leidenschaftlich und impulsiv, und als eine Frau, die ihr bestes tut eine gute Mutter zu sein und ihre Tochter vor den „Übeln der Gesellschaft“ zu beschützen.
Mit ständigen Rückblenden erfahren Zuschauende zur gleichen Zeit wie die Figuren der Serie von Geheimnissen und Handlungen aus der Vergangenheit. Sie sind nicht von Anfang an allwissend, was die Serie umso spannender macht und auch ihr Suchtpotenzial stärkt.
Die Dialoge sind allesamt überzeugend und lösen nicht wie in anderen High-School-Filmen Fremdscham aus. Man kauft den Schauspielerinnen und Schauspielern ihre Rollen in allen Szenen ab und fiebert mit ihnen mit. Auch der kinematografische Aspekt der Serie ist durch Erfolg gekennzeichnet. Die Kamera produziert eindrucksvolle und stimmungsvolle Bilder, die mit typischen Winkeln oder Kameraeinstellungen wenig gemein haben.
Auch der gesellschaftskritische Aspekt der Produktion ist von Interesse. Rassismus und Diskriminierung sind ein großes Thema, dass die Figuren in allen Folgen beschäftigt. Dabei wird vor allem der latente und gesellschaftlich normalisierte Rassismus aufgedeckt, aber nie direkt angesprochen oder als solcher explizit benannt.
Ein wenig weit hergeholt scheinen einige weitere Erzählungsstränge der Serie, die Leihmutterschaft und Adoption thematisieren. Sie kommen zu den schon genannten Themen noch dazu und überladen die Serie etwas, während sie auch etwas unrealistisch scheinen.
Little Fires Everywhere überzeugt mit schauspielerischer Leistung und realistischen Dialogen, die die Zuschauenden in ihren Bann ziehen und dazu führen, dass die Serie sehr schnell zu Ende geschaut ist. An der Produktion gibt es technisch wenig zu bemängeln und noch dazu werden aktuelle Themen behandelt, weshalb Little Fires Everywhere für alle Serienliebhaber zu empfehlen ist.
Von Luisa Hinke Martìnez