Es sind nur ein paar Klicks. Browser auf, Suchbegriff rein, Enter. Binnen weniger Sekunden taucht Lucy Cat, die beliebteste Pornodarstellerin der Deutschen, auf dem Bildschirm auf. Lucy lädt zur „Arschfickparty“.
Onlinepornographie ist anonym, leicht verfügbar, gratis. Der Markt boomt. Die Umsatzzahlen der Branche steigen von Jahr zu Jahr, so wie auch die Zahl der Konsument*innen der größten Sexplattformen MyDirtyHobby, PornHub und YouPorn.
Der Jahresbericht von PornHub liest sich wie eine Gesellschaftsstudie. Deutschland gehört zu den weltweiten Spitzenreitern der Porno-Konsument*innen. Die Deutschen stehen scheinbar auf „Anal“ (die meist geklickte Kategorie) und „Pissing“ (nach diesem Stichwort wurde im Vergleich zu anderen Ländern 117 Prozent öfter gesucht). Statistiken und Studien gewähren einen aufschlussreichen Einblick in das, worüber in unserer vermeintlich aufgeklärten Bevölkerung größtenteils geschwiegen wird. Alle machen’s, niemand spricht es aus. Liebe*r Pornokonsument*in, lass uns drüber reden.
Der Konsum von Pornos wirkt sich auf unseren sexuellen Alltag aus. Sexualität wird zum Konsumgut: schneller, besser, weiter. Mit immer jüngeren, strafferen, schöneren Körpern und immer pralleren, größeren, längeren Geschlechtsteilen. Studien belegen, dass Heranwachsende mittlerweile schon im präpubertären Alter in Kontakt mit Pornographie kommen. Im Zusammenspiel mit der nach wie vor mangelhaften sexuellen Aufklärung in der Schule und in vielen Elternhäusern entwickeln sich Normalitätsvorstellungen und Erwartungen basierend auf den Sexfilmen – fernab der Realität. Wenn der Pornokonsum die Sexualaufklärung ersetzt, wird der Sex auf den Bildschirmen als die geltende Norm interpretiert: „So geht das also, so muss es wohl ablaufen…“ In der Mehrzahl der Pornos sind Schönheitsideale allgegenwärtig und erwecken in vielen Konsument*innen eine tiefsitzende Unsicherheit, da sie ihren Körper mit den Körpern auf dem Bildschirm vergleichen. Mit der Verbreitung von Pornographie hat auch die Anzahl an schönheitschirurgischen Eingriffen im Intimbereich wie beispielsweise die Schamlippenverkleinerung zugenommen. Intimrasur und sexuelle Praktiken wie Analverkehr sind heute im realen Leben viel gängiger als noch vor einigen Jahren. Es wird sich am Film orientiert und das oftmals konträr zur eigenen Lust. Die persönlichen sexuellen Entdeckungen sind vom Gesehenen überschattet und lassen keine unbefangenen Erfahrungen zu.
Die Mehrzahl der Mainstream-Pornos vermittelt ein Geschlechterverhältnis, in dem die Frau devot und gefügig, der Mann mächtig und bestimmend agiert. Die Frau als Objekt, der Mann als Akteur. In einer Studie zu „Gender, Race and Aggression in Pornography“ wurden 172 frei verfügbare Internet-Pornos ausgewertet. 43 Prozent der Videos enthielten sichtbare physische Aggression gegen Frauen. Dazu gehörten Knebelung, gewaltvolle vaginale Penetration, Prügel oder grobe Handhabung. Andere Praktiken wie das Ejakulieren ins Gesicht oder in den Mund, die ohne Einverständnis degradierend sind, waren ebenso üblich.
Pornos werden noch immer größtenteils von Männern für Männer gemacht. Die männliche Lustbefriedigung steht im Mittelpunkt und der sogenannte male gaze, also die Darstellung aus männlicher Perspektive, ist omnipräsent. Lediglich ein Viertel aller PornHub-Nutzer*innen 2019 in Deutschland war weiblich. Zwar gibt es mittlerweile einen wachsenden Markt für sogenannte feministische Pornos, in denen Frauen nicht Objekte, sondern aktive Akteurinnen sind. Aber: Die Porno-Kategorie Feminist ist nicht gleich feministisch. Die Kulturwissenschaftlerin Madita Oeming, die aktuell zu Pornosucht promoviert, sagt in einem Interview mit ze.tt, feministische Pornos vermittelten den Eindruck, dass Frauen grundsätzlich etwas Anderes (sehen) wollen als Männer und dass alle Frauen das Gleiche wollen. Das seien sexistische Annahmen. „Gern geht es in der öffentlichen Unterhaltung darum, dass Frauen angeblich Romantik und Geschichten und Zärtlichkeit im Porno wollen. Das verstärkt Genderstereotype, statt sie aufzubrechen. Es wird oft binär gedacht, heteronormativ und transexklusiv“, sagt sie. Sind wir im Arbeits-, Haushalts- und dem politischen Alltag bis dato weit von einer Ebenbürtigkeit der Geschlechter entfernt, so sind wir es in der Porno-Branche erst recht.
Daten und Fakten
12% aller Netzaufrufe in Deutschland führen auf Pornoseiten
30 000 Pornoclips werden weltweit pro Sekunde aufgerufen
12,6 Mio. Euro Umsatz wird pro Tag mit Internetpornographie gemacht
25% aller Suchanfragen im Internet sind zu Pornographie
35% des Internet-Traffics hat pornographischen Ursprung
Quellen: Statista.com, PornHub
Wenn wir Pornos schauen, wird unser Belohnungssystem angeregt und schüttet Dopamin aus. Der Botenstoff sorgt dafür, dass wir Freude und Zufriedenheit spüren. Dieses Gefühl kann süchtig machen. Wir wollen den Zustand der Euphorie immer wieder aufs Neue erreichen – hat sich ein Handlungsmuster bewährt, wiederholen wir es in der Hoffnung auf erneutes Glücksempfinden.
In einer Studie konnte an Rattenmännchen nachgewiesen werden, dass wiederholter Geschlechtsverkehr mit demselben Weibchen den sexuellen Appetit des Männchens dämpft. Eine gleichbleibend hohe sexuelle Aktivität ist hingegen zu beobachten, wenn immer andere Weibchen angeboten werden. Dieser sogenannte Coolidge-Effekt konnte auch am Menschen gezeigt werden. So wurde beobachtet, dass heterosexuelle Männer, die pornographisches Material mit gleichbleibenden Darstellerinnen konsumieren, schneller, mehr und in höherer Qualität ejakulieren, nachdem eine neue Darstellerin erscheint.
Internetpornos sind in dieser Hinsicht besonders verlockend, da das Neue immer nur einen Klick entfernt ist. Glücksgefühle auf Knopfdruck sozusagen. Auf die Dauer kann die Suche nach dem nächsten „Kick“ jedoch zum Zwang werden. Es kann zu einer Desensibilisierung des Belohnungssystems kommen. Um einen „Sättigungseffekt“ zu erzielen, müssen immer neue und extremere Videos her. Pornokonsument*innen verspüren plötzlich Erregung bei Szenen oder Praktiken, die sie in der Vergangenheit verstörten oder die ihren persönlichen Werten widersprechen. Dieser Prozess des Abstumpfens kann bei Männern, die täglich Pornos konsumieren, in eine habituelle Impotenz münden. Sie fühlen sich im Angesicht eines*einer realen Geschlechtspartners*in überfordert. Vielfach bekommen sie schlicht keine Erektion oder können ohne Pornos nicht zum Orgasmus kommen.
Hinter jeder Sucht (und dem Weg dorthin) steckt eine Sehnsucht. Die Videos können das Gefühl von Nähe und Wertschätzung, den eigentlichen Wert des Geschlechtsaktes, nicht ersetzen. Der Sex mit sich selbst vor dem Bildschirm ist nur ein Abklatsch des Miteinanders, des Zusammenspiels von Geben und Nehmen, das kein Sprint zum eigenen Höhepunkt, sondern ein Eingehen auf den Körper und die Bedürfnisse des anderen ist.
Nicht alle Pornokonsument*innen sind süchtig. Nicht alle sexuellen Beziehungen werden negativ durch Pornos beeinflusst. Doch der Porno als Massenmedium, in dem die brave Hausfrau ständig geil ist, ist überholt, toxisch und in letzter Konsequenz menschenverachtend.
von Nele Karsten
- Fight the new Drug
- A. Korte – Pornographie und psychosexuelle Entwicklung im gesellschaftlichen Kontext. (2018). Psychosozial-Verlag.
- STRG_F-Reportage: Die ehemalige Pornodarstellerin Lou Nesbit spricht von ihrem Ausstieg aus der Szene
- Interview mit Madita Oeming
- Was machen Pornos mit uns? Reportagen von Die Frage, FUNK
Anlaufstellen für Pornosüchtige:
- Safer-Surfing, e.V.
- Weißes Kreuz
- TeenStar
- ERF-Medien, e.V.
- Bin ich süchtig? Der amerikanische Sexforscher David L. Delmonico hat dafür einen Test mit 25 Fragen ausgearbeitet.
Nele Karsten studiert Politikwissenschaft und Psychologie. Für den ruprecht schreibt sie seit 2019 über aktuelle Phänomene wie den Klimawandel und deren Auswirkungen. In ihren Glossen zeigt sie sich gesellschaftskritisch und geht dabei gern bis an die zynisch-sarkastische Schmerzgrenze.