Amarachi Igboegwu ist Bildungswissenschaftlerin mit dem Fokus auf Diversität und Inklusion. Aufgewachsen ist sie in Nigeria und den USA, gearbeitet hat sie jedoch auch in Japan, Schweden, Frankreich und dem Kongo. Im Moment ist sie Mitarbeiterin des Norwegian Refugee Council und arbeitet als Doktorandin am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Heidelberg. Sie forscht an Unterrichtsmethoden für von Minderheiten dominierte Grundschulen. Zudem setzt sie sich als Aktivistin gegen Rassismus ein und hielt unter anderem auf der Silent Demo in Mannheim eine Rede.
Haben Sie im Rahmen ihrer Arbeit als Dozentin in Heidelberg Erfahrungen mit insti- tutionellem oder allgemeinem Rassismus an der Universität gemacht?
In den Kursen, die ich unterrichtet habe, ging es darum, Lehrerinnen und Lehrer bewusst auf das Lehren in kulturell diversen Klassen vorzubereiten. Ich hatte das Gefühl, dass der selbstkritische Aspekt beim Unterrichten oft übersehen wird. Es ist eine Herausforderung, sich seiner Privilegien und Macht beim Lehren bewusst zu werden, besonders beim Unterrichten von PoC (People of Color, Anm. d. Red.).
In meinen Kursen habe ich da eine bestimmte Befangenheit bemerkt. Wenn ich beispielsweise darüber sprach, mit Equity zu unterrichten, also Rücksicht auf die Benachteiligung mancher Kinder zu nehmen, bin ich auf Unverständnis gestoßen. Die Studierenden dachten, wenn man Benachteiligte unterstützt, bevorzugt man sie automatisch. Diese Idee von Farbenblindheit ist institutionalisierter Rassismus. Man behandelt alle gleich, ohne auf ihren Hintergrund zu achten. Dabei bevorzugt man allerdings automatisch diejenigen, die ohnehin schon von einem höheren Level aus starten. Man privilegiert also die, die in das Narrativ passen. Wenn man Unterschiede nicht bemerkt und in die Vorbereitung des Unterrichts mit einbezieht, wertet man eine bestimmte Art von Schülern auf und eine andere ab. Vielen PoC wird zudem am Ende der Grundschullaufbahn gesagt, dass sie nicht schlau genug für das Gymnasium sind. Welches Narrativ bildest du damit in ihrem Kopf? Also ja, es gibt institutionalisierten Rassismus im Bildungssystem.
Es fehlt außerdem an Repräsentation in Schule und Universität. Man muss sich fragen, warum das so ist. Es ist einfach, Leute einzustellen, die denselben Hintergrund haben wie man selbst. In unseren Köpfen haben wir eine bestimmte Vorstellung von Intelligenz und möchten diese in anderen wiederfinden. Das ist der Grund, warum meine Arbeit so wichtig ist: Um zu zeigen, dass es viele Formen von Intelligenz gibt. Wir müssen uns auf Equity konzentrieren und das bedeutet, Fragen zu stellen über den Lehrplan, das Kollegium und unsere Vorstellung von Intelligenz. Unterrichten ist nicht neutral, es ist ein politischer Akt.
Wie reagieren Ihre Studierenden darauf, wenn Sie sie mit ihren unterbewussten Vorurteilen konfrontieren?
In meinem Kurs sprachen wir über rassistische Machtstrukturen und manche reagierten allergisch, wenn ich über die dominante Kultur spreche. Am Ende des Semesters schrieb mir eine Studentin. Sie fühlte sich angegriffen, weil ich vom Weiß-Sein als die dominante Kultur sprach. Auch das geht auf die Idee von Farbenblindheit zurück. Euch wird beigebracht, dass alle gleich sind und das stimmt, unter dem Gesetz sind wir gleich, aber wir kommen unterschiedlich in den Klassenraum. Dabei ist das Schulsystem ein Ort, an dem Herkunft eigentlich keine Rolle spielen sollte. In Wirklichkeit verstärkt es aber die Trennung.
Wie sieht die Segregation in Heidelberg aus? Wie spiegelt sie sich an den Schulen wider?
Es reicht schon aus, den Aufbau der Stadt etwas näher zu betrachten. Studierende, die beispielsweise in Bergheim wohnen, kommen meist aus Familien der mittleren oder oberen Schicht. Bei Wohnorten wie Emmertsgrund ist das nicht so.
Ein ähnliches Problem sieht man, wenn man an ein beliebiges Gymnasium geht und fast nur Weiße Schüler zu Gesicht bekommt. Nicht-Weiße Schüler fallen da auf, sind komisch. Auf diese Weise wird sowohl nicht-Weißen Kindern als auch Lehrern zu verstehen gegeben, dass sie nicht auf das Gymnasium gehören. Eine Frage an euch: Von wie vielen PoC wurdet ihr auf euren Schulen unterrichtet?
Von keinen…
Wie viele eurer Mitschüler auf dem Gymnasium waren PoC?
Zwei vielleicht.
Wo sind die anderen wohl hingekommen? Das ist das Problem. Weiße haben sowohl in der Schule als auch an der Uni zu wenig Kontakt zu Menschen mit einem anderen kulturellen oder religiösen Hintergrund. Es wird ihnen antrainiert, in Strukturen einer „Weißen Tradition” zu denken. Wenn Weiße einen Klassenraum betreten, so kann es in dieser Hinsicht nur normal sein, dass PoC ihnen fremd sind und letztere von ihnen ausgegrenzt werden.
Wir leben in einer segregierten Gesellschaft. Ihr braucht euch einfach nur ins Gedächtnis zu rufen, mit wie vielen PoC ihr aufgewachsen seid.
Weiße Menschen werden oft darauf hingewiesen, dass sie das Privileg, gehört zu werden, nutzen sollen, um auf Rassismus aufmerksam zu machen. Gleichzeitig sollten sie sich selbst allerdings auch nicht in den Mittelpunkt der Konversation stellen. Wie kann das gelingen?
Das ist ein sehr guter Punkt. Ich denke, dass wir als PoC besser verstehen, wie es sich anfühlt, Rassismuserfahrungen zu machen. Weiße Menschen wissen nicht, was Rassismus ist, sie sehen ihn nicht, weil sie nie diskriminiert worden sind, für sie ist er etwas Fremdes. Würdet ihr sagen, dass ihr persönlich schon mal eine Rassismuserfahrung gemacht habt?
Sacher: Nein.
Fröhlich: Ja, meine Eltern kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, darüber wurden in der Schule öfter Mal Kommentare gemacht.
Rassismus ist aber keine Tat gegen eine einzelne Person per se, es ist ein systemisches Problem. Auch wenn es hart ist, dass du diese diskriminierende Erfahrung machen musstest, fällst du trotzdem nicht auf – sobald du in ein anderes Umfeld kommst, gehst du als Norm durch. Eine Schwarze Person hat diesen Luxus nicht – egal, wo sie ist, sie sticht heraus.
Wenn jemand wie Akala (afrobritischer Rapper und Journalist, Anm. d. Red.) an einer Universität lehrt, wird er respektiert, aber sobald er sie verlässt, wird er von der Polizei aufgehalten, weil sie denken, dass er ein Drogendealer oder sonst was ist. Dass er ein gebildeter Mann ist, zählt dabei nicht. Allein die Tatsache, dass er Schwarz ist, verfolgt ihn.
Was das Sich-Aussprechen gegen Rassismus betrifft, so denke ich, dass die Geschichten von Menschen, die diese Erfahrungen gemacht haben, von ihnen selbst, nicht aus einem Weißen Blickwinkel, erzählt werden sollten. Jedoch ist es auch wichtig, dass Weiße Menschen, die ihre Privilegien erkennen, aufstehen und darüber sprechen, inwiefern sie von ihnen profitieren und wo sie an sich selbst bestimmte, auch unbewusste, Vorurteile und Biases erkennen.
Wie können wir diese unbewussten Vorurteile an uns selbst erkennen und sie bekämpfen?
Wir müssen verstehen, dass alles, was wir sehen und was wir hören, unsere Perspektive formt. Wer etwas verändern möchte, muss sich also mehr Erfahrungen aussetzen, die diese über Jahre angehäuften Ideen dekonstruieren. Es geht um das Hinterfragen, das kritische Reflektieren darüber, warum wir dieses Buch lesen, warum wir mit dieser bestimmten Person sprechen. Wenn wir Angst vor etwas haben, warum wir diese Angst haben. Einfach darum, die Frage nach dem Warum zu stellen. Es geht um Kontakt, Erkunden, das Verlassen der eigenen Komfortzone – aktives Arbeiten an der kritischen Selbstreflektion.
In den letzten Monaten wurde das Thema Rassismus im Zuge der Black-Lives-Matter- Bewegung nun auch in Deutschland vermehrt öffentlich diskutiert. Denken Sie, dass wir hier in Deutschland mit denselben Problemen kämpfen wie in den USA?
Black Lives Matter ist eine Bewegung, bei der es primär um Rassismus gegen Schwarze Menschen geht. Ich denke, deshalb findet sie nun überall auf der Welt Zustimmung: Wo auch immer Schwarze Minderheiten leben, haben sie mit denselben Problemen, derselben Machtlosigkeit zu kämpfen. Hier in Heidelberg etwa ist es für uns sehr schwierig, eine Wohnung zu finden. Als ich zeitgleich mit einem Weißen Bekannten aus den USA hergezogen bin, haben wir uns um dieselbe Wohnung beworben. Er wurde zu einer Besichtigung eingeladen, mir wurde gesagt, dass die Wohnung bereits vergeben wäre. Deshalb sagen Afrodeutsche, dass wir aufhören müssen, mit dem Finger auf die USA zu deuten, schließlich erleben wir auch hier jeden Tag Rassismus und Mikroaggressionen. Deutschland ist übrigens auch das einzige Land, in dem ich je N**** genannt wurde. Das war schockierend für mich, genauso wie als ich am Bahnhof von jemandem für seine persönliche Putzfrau gehalten wurde. Als ich ihn auf die Verwechslung hinwies, fragte er mich, ob ich trotzdem für ihn putzen möchte. Das ist einfach eine weitere Mikroaggression, die auf Vorurteilen beruht.
Haben Sie Hoffnung, dass diese Aufmerksamkeit für Black Lives Matter nicht mit der nächsten großen Schlagzeile verschwindet?
Ich muss Hoffnung haben. Wir sollten alle weiter Hoffnung haben, denn wenn wir sie verlieren, sind wir erledigt. Wir dürfen unseren Aktivismus nicht auf Demonstrationen und Hashtags beschränken, weil das einfach nicht viel bringt. Wir müssen alle zu Aktivisten werden und andere zur Verantwortung ziehen. Nur so entsteht ein Systemwandel. Wir müssen unser Bildungswesen, unsere Professoren und Professorinnen, die Filmindustrie und so viele mehr zur Rede stellen. Egal wer du bist und woher du kommst, tu, was du kannst, um die White Supremacy zu bekämpfen.
Was müsste passieren, damit anhaltende Veränderungen erreicht werden?
Lasst uns bitte aufhören mit Projekten wie der „Woche gegen Rassismus“. Da reden wir ein paar Tage über Rassismus, aber es tut mir leid, das Problem endet nicht nach ein, zwei Wochen. Obwohl ich selbst mal daran teilgenommen habe, denke ich, dass die Herangehensweise falsch ist. Diese Arbeit ist dekorativ, aber sie bewirkt nicht wirklich viel. Ich denke sogar, dass sie Rassismus reproduziert. Wir brauchen keine „Woche gegen Rassismus“, wir brauchen ein Heidelberg ohne Rassismus. Wir müssen uns aktiv mit dem Thema auseinandersetzen – und zwar nicht nur ein, zwei Wochen lang, sondern dauerhaft. Das heißt, wir müssen uns die Personalentscheidungen für wichtige Positionen ansehen. Wenn es in Heidelberg einen bestimmten Anteil an PoC, an behinderten Menschen oder Mitgliedern der LGBTQI-Community gibt, dann sollten wir diesen auch repräsentiert sehen. Demokratie ist Repräsentation.
Das Interview führten Linda Fröhlich und Carina Sacher. Transkript und Übersetzung: Kaoutar Haddouti
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.