Danijel Cubelic ist verärgert: „So etwas ist untragbar“. Gut sichtbar im Schaufenster des Tabakladens „Scheuring“ lächelt eine „Mohrenfigur“, wie sie offiziell heißt, den Touristen in der Altstadt zu. Die Figur ist als ein Relikt der Kolonialwarenläden im 18. und 19. Jahrhundert übriggeblieben. Seitdem gilt sie laut Angaben des „Scheuring“ als „treuester Mitarbeiter“ des Ladens.
Nach Recherchen des Vereins Schwarzweiss stand der Vertrieb von Kolonialware in Heidelberg in einem direkten Zusammenhang mit Zwangsarbeit, Enteignungen und Ausbeutung. Der Verein beschäftigt sich mit den Themen der Selbst- und Fremdwahrnehmung in universitären und sozialen Projekten und setzt sich im Zuge dessen intensiv mit der kolonialen Geschichte Heidelbergs auseinander. Laut des ehemaligen ehrenamtlichen Mitarbeiters Danijel Cubelic sei der Umgang Deutschlands mit diesem Kapitel seiner Geschichte von „kolonialer Amnesie“ geprägt. Kolonialismus solle Teil unserer Erinnerungskultur werden.
Nicht weit von der „Mohrenfigur“ entfernt lässt das Schild des beliebten Lokals „Mohr!“ Besucher stutzig werden. Das „Mohr!“ selbst weist die Herkunft des Namens dem Heiligen Mauritius zu, der sich als Schwarzer Legionsanführer Roms geweigert haben soll, Christen umzubringen. Laut Danijel Cubelic diente die Darstellung Schwarzer Menschen im Mittelalter lediglich der Auseinandersetzung mit anderen Weltregionen und ihren Bevölkerungen. Jedoch lud der Kolonialismus den Begriff „Mohr“ rassistisch auf. Heutzutage sei es unmöglich, diesen Bedeutungsinhalt auszublenden. Danijel Cubelic plädiert daher dafür, den Namen „Mohr“ zu entnormalisieren.
[ngg src=“galleries“ ids=“32″ display=“basic_thumbnail“ override_thumbnail_settings=“1″ thumbnail_width=“300″ thumbnail_height=“200″ thumbnail_crop=“0″ show_slideshow_link=“0″]
Heidelberg wird seit jeher vor allem durch die Universität geprägt. Nach Recherchen von Schwarzweiss dienten in der Zeit des Kolonialismus neubegründete Fächer wie Geographie dazu, den herrschenden Rassismus wissenschaftlich zu untermauern. Diese damalige Strömung innerhalb der Universität ist heute noch sichtbar. Vor dem Geographischen Institut erinnert ein Gedenkstein an Alfred Hettner (1859–1941), der erste Inhaber des Lehrstuhls für Geographie. Nach Angaben von Schwarzweiss teilte dieser in seinen Publikationen Menschen in Rassen sowie Höher- und Niedriggestellte ein. Nicht nur das Geographische Institut selbst hat eine koloniale Vergangenheit. Unter der Leitung Alfred Hettners gewann die Heidelberger Abteilung der deutschen Kolonialgesellschaft an Zulauf. Ihr Ziel war es, einen pro-kolonialen Standpunkt in der Heidelberger Bevölkerung zu etablieren. Für dementsprechende Lichtbildvorträge, Informationsabende und Reden kooperierte der Verein regelmäßig mit der Universität und mit dem Harmonieverein im Wormser Hof. Heutzutage macht der sogenannte Kolonialstein dieses damalige Gedankengut sichtbar. Bei einem Spaziergang über den Ameisenbuckel oberhalb der Altstadt ist seine Aufschrift „Zum Gedenken an die 40 Jahre Kolonialgeschichte des Deutschen Reichs“ deutlich lesbar. Laut Schwarzweiss ist die Errichtung höchstwahrscheinlich auf das Engagement pro-kolonialer Akteure zurückzuführen, die ein Symbol für das Fortdauern des kolonialen Gedankens setzen wollten.
Ein weiterer Ort mit kolonialer Vergangenheit ist die zentrale Umsteigestelle in Heidelberg: der Bismarckplatz. Danijel Cubelic erläutert, dass der Name seinen Platz erhalten habe, um die Funktion Bismarcks als Reichsgründer zu würdigen. Allerdings spielte Bismarck bei der Kolonialisierung Afrikas eine zentrale Rolle: Er war Vermittler in der Berlin-Afrika-Konferenz, in welcher die damaligen Großmächte den Kontinent Afrika unter sich aufteilten. Dadurch war er für die darauffolgende Kolonialzeit mitverantwortlich. Diese Geschichte dürfe nicht ignoriert werden. Vielmehr müsse die Bevölkerung die Kolonialzeit und ihre Auswirkungen bis heute kritisch hinterfragen.
Dass solche Debatten bereits stattfinden, zeigen die Beschwerden von Touristen und Gastwissenschaftlern hinsichtlich der „Mohrenfigur“ im Schaufenster des „Scheuring“. Das Lokal „Mohr“ sieht sich ebenfalls Kritik ausgesetzt. Nach Angaben der Rhein-Neckar-Zeitung hat ein Heidelberger Jura-Student bereits Strafanzeige wegen Beleidigung gestellt. All dies deutet darauf hin, dass die geforderte kritische Auseinandersetzung mit der Heidelberger Kolonialgeschichte bereits begonnen hat.
Von Lina Abraham
...hat während der Coronapandemie ihre Liebe zum Schreiben und zum ruprecht entdeckt und war bis zum Ende ihres Studiums in Heidelberg Teil der Redaktion. Sie leitete das Ressort „Seite 1-3“ und erlebte, wie der ruprecht im Jahr 2021 als beste Studierendenzeitung Deutschlands ausgezeichnet wurde. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr eine Recherche über das Unternehmen „Heidelberg Materials“ und dessen Umgang mit Menschenrechten in Togo. Lina ist weiterhin journalistisch aktiv und schreibt für das Onlinemagazin Treffpunkteuropa. Zudem ist sie als Podcast Autorin beim BdV tätig und berichtet über Flucht und Vertreibung in Europa.
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.