Es ist ein offenes Geheimnis: Geisteswissenschaftler:innen wissen oft nicht, was sie später einmal beruflich machen wollen. Und auch das Stereotyp des taxifahrenden Germanisten hält sich hartnäckig. Dabei kann es gleich zu Anfang entkräftet werden: Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft arbeiten nur 0,12 Prozent aller Akademiker:innen als Taxifahrer:innen. Und trotzdem bestätigen die befragten wissenschaftlichen Mitarbeitenden: Der Anteil der Studienbeginner:innen, die zum einen noch kein berufliches Ziel vor Augen haben, zum anderen aber auch gar nicht wissen, welche Türen ihnen mit ihrem Fach später offenstehen, ist signifikant. Es fängt schon in der Schule an: Während Firmen aus dem MINT-Bereich sich gerne für Exkursionen und Orientierungs-Messen zur Verfügung stellen, gehen an einem geisteswissenschaftlichen Studium Interessierte oft leer aus, oder werden von Erziehenden mit generischen Antworten abgespeist.
Wie sieht Berufsorientierung an den geisteswissenschaftlichen Instituten der Uni Heidelberg aus? Fragt man Martina Engelbrecht und Giulio Pagonis vom Institut für Deutsch als Fremdsprache (IDF), heißt es, man könne eine professionelle Berufsberatung nicht ersetzen, nur ein Zusatzangebot schaffen. Man verstehe aber den Wunsch nach speziell fachbezogener Berufsinformation. Auch Tina Theobald vom Germanistischen Seminar (GS) kennt diesen Wunsch und findet, es sollte stärker in der Zuständigkeit der Fachbereiche liegen, über berufliche Perspektiven aufzuklären. Für sie ist klar: „Gerade die Dozierenden haben nicht selten vielfältige Kontakte, und somit einen guten Blick dafür, welche beruflichen Wege man nach dem Studium einschlagen kann. Auch sollten sie gut einschätzen können, welche praxisrelevanten Kenntnisse in Praktika, Volontariaten oder Nebenjobs noch gefördert werden sollten.“ Am Historischen Seminar (HS) ist man stolz darauf, mit dem hauseigenen Career Service, der nach eigener Aussage ein breites Angebot anbietet, auf den Bedarf reagiert zu haben.
Wenn man sich durch die Angebote der anderen Institute, wie dem der Kunstgeschichte, der Soziologie oder Slavistik klickt, fällt übergreifend Eines auf: Zu oft landet man bei einem „Seite nicht mehr verfügbar“. Die Angebote sind teils schlecht gepflegt – bei einigen Initiativen ist der letzte Eintrag von 2014. Das könnte mit einem Umstand zusammenhängen, den auch Tina Theobald kennt: Am GS wurde 2007 die aus Studiengebühren finanzierte Studiendozentur „GiG – Germanisten in der Gesellschaft“ als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis eingeführt. Nach der Abschaffung der Gebühren 2012 wurde GiG zurückgefahren und mittlerweile fordert das Seminar, jegliche Aktivitäten einzustellen. Im Rahmen der Initiative hatte Theobald ein Netzwerk aus Alumni und regionalen Unternehmen aufgebaut, über das bis heute Stellenangebote bereitgestellt werden. In einem Punkt sind sich alle Befragten einig: Bedarf für Berufsorientierung ist vorhanden – „denn die Studierenden haben meist keinen genauen Überblick“, so Theobald. Viele denken an „irgendwas mit Medien“ und lernen dann doch andere interessante Bereiche kennen. Dass auch zum Ende des Studiums bei Einigen noch Unsicherheit darüber herrscht, was sie genau mit ihrem Studium anfangen können, ist problematisch, „da es sinnvoll ist, früh verschiedene Bereiche kennenzulernen, um besser in die Berufswelt starten zu können“. Sowohl Engelbrecht und Pagonis als auch Renghart berichten, dass sich das Bewusstsein über berufliche Aussichten im Laufe des Studiums immerhin steigert. „Gegen Ende des Studiums haben viele unserer Studierenden mindestens ein Praktikum absolviert“, heißt es vom IDF.
Laut Renghart hilft auch der „Austausch mit Lehrenden und anderen Studierenden“ über Orientierungslosigkeit hinweg. „Gerade aber alternative Karrierewege sind oft unbekannt. Tätigkeiten in Unternehmen, politischen Netzwerken oder in den vielfältigen Nichtregierungsorganisationen müssen aufgezeigt werden.“ Schätzen die Studierenden ihren Marktwert eigentlich realistisch ein? Theobald erklärt das Dilemma: „Je weniger sie sich mit beruflichen Möglichkeiten auseinandergesetzt haben, desto weniger haben sie sich auch ihre ‚praxisrelevanten‘ Fähigkeiten vergegenwärtigt. Hinzu kommen Stimmen von außen, die durchscheinen lassen, dass der Marktwert eines Geisteswissenschaftlers nicht sonderlich hoch sei. Was so im Übrigen nicht richtig ist.“
Renghart bestätigt: Geisteswissenschaftler:innen leiden unter „chronischer Selbstunterschätzung und sind sich ihrer Stärken im Vergleich zu anderen Absolventen nicht bewusst. Häufig ist nicht klar, welchen Wert es hat, Gedankenzusammenhänge sicher herzustellen, Überblicke zu schaffen und anschaulich zu präsentieren. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns.“
von Lara Stöckle