Die Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA lesen sich sehr drastisch. Angesichts der Grausamkeit bekommt man das Gefühl, dass manche beteiligte Polizeibeamt*innen nicht mehr den Menschen sehen, wenn sie rücksichtslos Gewalt ausüben. Seit der Tötung von George Floyd im Mai ist das Thema beinahe allgegenwärtig, in den USA wie in Europa. Neben der gesellschaftlichen Brisanz steht die statistische Tatsache, dass Afroamerikaner*innen von gewaltsamen Polizeieinsätzen überproportional häufig betroffen sind.
Es gibt verschiedene Studien, die die Ungleichverteilung der Todesopfer bei Polizeieinsätzen ergründen. Cody Ross und Kolleg*innen haben untersucht, ob die Opfer tödlicher Polizeigewalt eher Schwarze oder Weiße sind. Dabei kommt es zunächst darauf an, ob ein*e Zivilist*in bewaffnet ist oder nicht. Unter Bewaffneten sind Schwarze nicht überrepräsentiert, unter Unbewaffneten dagegen schon. Gerade Tötungen unbewaffneter Bürger*innen, wie Eric Garner oder eben George Floyd, haben in den letzten Jahren viele Debatten angefacht. Studien wie die von Ross finden keinen belastbaren Zusammenhang, dass Schwarze, gemessen am Bevölkerungsanteil, insgesamt häufiger getötet würden.
Ross und Kolleg*innen argumentieren, dass nicht nur die Häufigkeit von Gewalt, sondern auch die Häufigkeit des Aufeinandertreffens mit der Polizei wichtig sei. Je mehr Schwarze angehalten würden, desto öfter bestehe eine Gelegenheit zu Polizeigewalt. Berücksichtigt man nur die Zahl gewalttätiger Einsätze, treffe es Weiße vielleicht häufiger. Bringt man aber die Gewalt in ein Verhältnis zur Zahl der Einsätze und dem weit geringeren Bevölkerungsanteil, so wird deutlich, dass für Schwarze die Wahrscheinlichkeit eines gewalttätigen Einsatzes deutlich höher ist als für Weiße, wenn sie häufiger angehalten werden.
Wenn Polizeibeamt*innen rassistisch wären, würden sie Schwarze häufiger anhalten als Weiße. An diesem Punkt setzen Studien von Michael Siegel und Odis Johnson an. Sie untersuchen, wann es zu tödlichen Zusammenstößen mit der Polizei kommt und weshalb die Zahl der Zusammenstöße in den USA je nach Stadt stark variiert. Die Studien kommen zu dem Schluss, dass Bürger*innen häufiger durch Polizeigewalt sterben, wenn die Schwarze Bevölkerung stark auf einzelne Stadtgebiete konzentriert ist. Die Studien bekräftigen die These des sogenannten minority threat: In stark segregierten Stadtteilen fühlen Polizist*innen sich stärker bedroht und wenden deshalb schneller Gewalt an. Je stärker die Segregation, desto mehr Polizeigewalt.
Allerdings gibt es nicht unbedingt dort mehr Polizeigewalt, wo insgesamt mehr Schwarze leben. In Städten mit einer hohen Schwarzen Gesamtpopulation ist die Polizeigewalt sogar eher niedrig. Die Behandlung der Schwarzen könnte dort für Politiker*innen wichtiger sein, da sie bei Wahlen für Missstände abgestraft werden könnten.
All dies zeigt verschiedene mögliche Lösungen auf. Maßnahmen gegen segregierte Stadtteile könnten das Bedrohungsgefühl verringern und Polizeigewalt abbauen. Siegel bemängelt, dass Polizisten lediglich für den Umgang mit Individuen geschult werden und nicht gezielt für das Verhalten gegenüber der Bevölkerung eines Stadtteils. Forschung allein kann Polizeigewalt nicht beenden. Sie zeigt der Politik aber, wie man sie verringern könnte.
Siegel kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass es mehr Schwarze Opfer gibt, wenn die Zahl der Polizist*innen pro Kopf höher ist. Zusätzliche Beamt*innen zeigten, wie die Gemeinschaft Ressourcen zuteilt: Auf soziale Probleme würde bloß mit mehr Polizei reagiert.
Zusäzlich steige die Opferzahl bei einem höheren Bevölkerungsteil von Latinos. Siegel vermutet, dass Polizist*innen auch hier einen minority threat spüren und schneller mit Gewalt reagieren.
Siegels Studie untersucht nur Fälle tödlicher Polizeigewalt, nicht Begegnungen mit weniger folgenreicher oder gar keiner Gewalt. Sie weist zudem darauf hin, dass minority threat nicht die einzige Ursache für Polizeigewalt speziell gegen Schwarze sein könne. Für die Forschung bleibt damit noch einiges offen.
Von Thomas Degkwitz
Thomas Degkwitz will seit 2019 die Netzwerke der Stadt verstehen. Das hat er für zwei Jahre auch als Ressortleiter “Heidelberg” versucht. Ihm ist das Thema Studentenverbindungen zugelaufen, seitdem kümmert er sich darum. Außerdem brennt er für größere Projekte wie die Recherche zur Ungerechtigkeit im Jurastudium. Lieblingsstadtteil: die grünflächige Bahnstadt (*Spaß*)