„Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen“
Ganz im Sinne der englischen Schriftstellerin Evelyn Beatrice Hall wird im Debating Club Heidelberg heiß diskutiert. Ohne Meinungsfreiheit würden Debating Clubs heute wohl gar nicht existieren. Denn unabhängig davon, wer „Recht“ hat, am Ende gewinnt die Seite, die ihre Position mit stichfesten und cleveren Argumenten zu behaupten weiß. Ziel des Debattierens ist es, konstruktiv zu diskutieren und zu zeigen, dass Streiten entgegen der allgemeinen Auffassung Spaß machen kann. An Debattierthemen mangelt es auf jeden Fall nicht. Neben seriösen Debatten zu Politik, Gesellschaft und Wissenschaft gibt es so auch sogenannte „Fun-Debatten“, in denen unter anderem darüber diskutiert wird, weshalb „Rudolph beim Weihnachtsmann kündigen und ein Konkurrenzunternehmen gründen sollte“. Es sind Kreativität und Köpfchen gefragt. Auch wenn Argumente auf den ersten Blick absurd scheinen mögen, haben sie gut begründet dieselben Chancen auf den Sieg.
Die Debatte selbst ist nach klaren Regeln strukturiert, um allen Rednern die gleiche Chance auf den Sieg zu ermöglichen. Zu Beginn der Debatte werden die Streitfrage verkündet und die konkurrierenden Teams sowie eine neutrale Jury ausgelost. Unabhängig davon, welche Meinung man persönlich vertritt, muss jedes Team, die ihm zugeteilte Position verteidigen. Das Thema der heutigen Debatte lautet: „Dieses Haus, als moderater Republikaner, würde Trump wählen.“ Der Ausdruck „Dieses Haus“ bezieht sich auf das House of Lords oder das House of Commons und wird im britischen Parlament zur Antragsstellung verwendet. Später fand dieser Ausdruck seinen Weg ins Debating. Die beiden Seiten, Befürworter und Gegner, werden als Regierung und Opposition bezeichnet. Sie kommen während der Debatte abwechselnd zu Wort. Kritische Zwischenfragen und Zwischenrufe sind erlaubt. Der Redner entscheidet allerdings selbst, ob er auf diese eingehen will oder nicht.
Nach 15 Minuten Vorbereitungszeit wird die Debatte von der Jury eröffnet. Jeder Redner bekommt sieben Minuten Zeit, um seine Argumente vorzubringen und die der Gegenseite zu widerlegen. Die Debatte beginnt mit der Eröffnungsrede der Regierung. Diese gibt sich zufrieden mit der derzeitigen Situation in den USA. Den Bürgern gehe es gut – warum also Biden wählen? Die Opposition kontert, dass Trump zu tief in der Russland-Affäre involviert sei und bei großen Projekten wie auch mit seiner Corona-Politik letztlich gescheitert sei. „Lieber nicht regieren, als falsch regieren.“ Der Ergänzungsredner der Regierung lenkt die Aufmerksamkeit auf Trumps Erfolge. So habe Trump beispielsweise zahlreiche Deals heraushandeln können und für Steuererleichterungen gesorgt. Trump könne also noch mehr für die USA tun. Die Opposition sieht in Trumps Worten nichts weiter als leere Versprechen. Trump sei „unberechenbar“ – ein Risiko für die USA, das die Nation spaltet, statt sie zu einen. Anschließend melden sich die „fraktionsfreien Redner“ zu Wort. Sie gehören weder der Regierung noch der Opposition an und können frei entscheiden, auf welche Seite sie sich schlagen. Wichtig ist, dass sie ihre Position anders als die beiden Fraktionen begründen. Die Schlussredner fassen die Argumente ihrer Fraktion zusammen und versuchen, die Jury für sich zu gewinnen. Die Regierung stellt nun noch einmal Trumps Stärken als Geschäftsmann in den Vordergrund, während die Opposition Bidens Erfahrung und Gelassenheit hervorhebt. Nach ausgiebiger Beratung verkündet die Jury den Sieg des Trump-Lagers sowie das Ranking der Redner und gibt jedem Redner ein Feedback. Was war gut? Was kann beim nächsten Mal noch besser gemacht werden? War die Argumentation schlüssig? Wurde auf die Argumente der Gegenseite geantwortet? Wieso hat es nicht zum Sieg gereicht?
Wer gewinnt, scheint am Ende nicht so wichtig zu sein. Den Debattierenden geht es vor allem darum, sich im Freisprechen zu üben und Spaß zu haben. Den scheinen sie auch zu haben, denn die meisten Mitglieder sind schon seit längerem dabei. Es kostet sicherlich viel Überwindung, seine Position vor der Runde zu behaupten und es ist bestimmt auch nicht immer leicht, mit dem Feedback der Jury umzugehen. Angenehm ist, dass jede Meinung einbezogen und abgewägt wird, solange sie nur gut begründet ist. Das Format genauso im Alltag umzusetzen, ist wohl eher nicht möglich und vermutlich auch nicht beabsichtigt; dazu sind Meinungen oft bereits zu festgefahren oder beruhen auf falschen Annahmen. Bestimmt würde es guttun, sich in die Position des Anderen zu versetzen, um die eigene Meinung kritisch hinterfragen zu können. Ein respektvolles Miteinander und Streiten mögen sich zwar auf den ersten Blick widersprechen. Das bedeutet nicht, dass in einer Gesellschaft nicht gestritten werden darf. Ganz im Gegenteil, Streiten fördert die Demokratie und die Willensbildung. Im Alltag wie auch in der Politik lassen sich Streitsituationen nicht immer vermeiden. Dennoch ist es besser zu streiten als den Dialog direkt zu verweigern. Beim Debating geht es vor allem darum zuzuhören und auf die Argumente des Gegenübers einzugehen. Wer nicht auf seinen Gesprächspartner eingeht, hat auch sonst keine Chance, die Debatte für sich zu gewinnen.
Von Sybille Bleizeffer