68 Jahre amerikanische Militärpräsenz sind nicht spurlos an Heidelberg vorbeigegangen. Wer heutzutage durch verschiedenste Stadtteile schlendert, trifft auf die Spuren der Amerikaner, die zwischen 1945 und 2013 Truppen in Heidelberg stationiert hatten.
Die Stadt wurde am 30. März 1945 kampflos von der US-Armee eingenommen, nachdem sich die Wehrmacht tags zuvor zurückgezogen hatte. Daraufhin richteten sich die Amerikaner in der ehemaligen “Großdeutschland-Kaserne” der Wehrmacht ein und benannten sie in Campbell Barracks um. Teile des Komplexes stehen noch heute und unterliegen inzwischen dem Denkmalschutz.
Heidelberg erlitt im Krieg nur geringfügige Schäden und wurde nach Kriegsende zum Hauptquartier der US-Armee in Europa.
Die von der US-Armee genutzten Flächen nahmen ein Drittel der Südstadt ein. In den Campbell-Barracks befand sich das Kommandozentrum der US-Army und ein Hauptquartier der NATO. Das Mark-Twain-Village fungierte als Wohnsiedlung mit 852 Wohneinheiten, High School, Kapelle und Kita. Im Süden von Rohrbach wurde die Hospital-Area als medizinisches Versorgungszentrum für die Soldaten und ihre Familienangehörigen
genutzt. Etwas abseits befand sich das Flugfeld der Amerikaner. Das „Airfield“ war kein Stützpunkt für Kampfflugzeuge, sondern ein Transport- und Verkehrsflugplatz der US-Streitkräfte.
Außerdem bewohnten die Amerikaner das Patrick-Henry-Village in Kirchheim mit einer Fläche fast so groß wie die Heidelberger Altstadt. Es lebten bis zu 20.000 Amerikaner gleichzeitig in Heidelberg und machten mitunter bis zu 20 Prozent der Stadtbevölkerung aus.
Die Heidelberger Bevölkerung war den Amerikanern bis in die Fünfzigerjahre aufgrund deren Nähe zur Bevölkerung, des Jazz und nicht zuletzt wegen deren Fähigkeit, Zigaretten zu beschaffen, sehr zugetan. Zum Ende der Sechziger kühlte diese Begeisterung ab. Viele Menschen gingen deutschlandweit auf Anti-Amerika-Demonstrationen, um gegen Vietnamkrieg und Kapitalismus zu protestieren. Die Rolle der USA bei der Befreiung von den Nazis war in diesen Jahren in den Hintergrund gerückt. Auch in Heidelberg spürte man den Stimmungswechsel. Bis in die Achtzigerjahre und zur Zeit des zweiten Irakkriegs ab 2003 gab es vor der Kaserne immer wieder ausgedehnte Proteste. 1972 verübte die Rote-Armee-Fraktion (RAF) einen Anschlag auf den US-Stützpunkt Heidelberg. Dabei wurden drei Amerikaner getötet, 1981 erfolgte ein weiterer RAF-Angriff, bei dem aber niemand starb.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 klinkte sich die US-Armee aus dem Stadtleben aus und verschwand beinahe vollständig aus dem Blickfeld der Heidelberger. Bis dahin waren die Kasernengelände frei zugänglich gewesen. Nun wurden sie rund um die Uhr bewacht, mit Stacheldrahtzaun versehen und Einlasskontrollen eingerichtet. Zutritt war nur für Angehörige der Streitkräfte möglich.
Während die Vereinigten Staaten in Afghanistan Krieg führten, wurde in Rohrbach ein kleines, vom Afghanen Hakim Mossa geführtes Restaurant zu einem der beliebtesten Lokale unter US-Soldaten. Die Soldatenzeitung „Stars and Stripes“ lobte Hakims Imbiss für seine Spare Ribs.
Als das Pentagon 2009 entschied, amerikanische Truppen in der EU zu reduzieren und angekündigt wurde, dass die US-Truppen spätestens im Jahr 2015 Heidelberg verlassen sollten, war die Stadt wenig begeistert. Die Amerikaner waren ein wichtiger Arbeitgeber geworden. Viele Menschen hatten Angst vor einem lokalen wirtschaftlichen Einbruch. Der noch heute amtierende Bürgermeister Eckhart Würzner flog mit seinem Mannheimer Kollegen Peter Kurz persönlich nach Washington DC, um den Abzug der US-Armee aus Heidelberg zu verhindern, letztendlich ohne Erfolg. Nach dem Nato-Abzug 2012 wurde das US-Hauptquartier im März 2013 aufgelöst und im September 2013 offiziell geschlossen.
Trotz kurzfristigem Einbruch im Handel und erhöhter Zahl der Erwerbslosen nach Abzug der Truppen wurde bald erkannt, dass die neu zur Verfügung stehende Fläche von 180 Hektar, also eine Fläche von ungefähr 250 Fußballfeldern, eine große Chance für die wachsende Stadt darstellte. Es folgten Planungen für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in der Südstadt (Mark-Twain-Village) und in Rohrbach (Hospital-area), sowie die Planung des “Heidelberg Innovation Park”, eines Gewerbegebiets zwischen Bahnstadt und Kirchheim (Patton-Barracks). Durch den frei gewordenen Raum konnte die Stadt Heidelberg ab 2015 vor allem im Patrick-Henry-Village Geflüchtete aufnehmen. Dort wurde das Registrierungszentrum für alle Geflüchteten in Baden-Württemberg geschaffen. Aktuell wird das Zentrum verlegt und das Patrick-Henry-Village zur “Wissensstadt von morgen” umgebaut.
Wegen der Möglichkeiten zur Nutzung des freigewordenen Raumes wurde der Abzug der US-Truppen letztendlich von der Stadt zu einer “Jahrhundertchance für Heidelberg” deklariert. Dennoch soll weiterhin die Erinnerung an die amerikanische Präsenz in Heidelberg wachgehalten und der deutsch-amerikanische Dialog zu Zukunftsfragen vorangetrieben werden. Vor zwei Jahren das “Mark-Twain-Center für transatlantische Beziehungen” auf dem Areal der Campbell-Barracks gegründet, um über die deutsch-amerikanische Geschichte zu informieren und diesbezüglich politische Themen zu diskutieren. Auf diese Weise wird der besonderen Beziehung zwischen Heidelberg und den Amerikanern ein Raum gegeben.
Von Sonja Polly und Nicolaus Niebylski
Sonja Polly studiert Spanisch und Geschichte mit Lehramtsoption. Seit Herbst 2020 schreibt sie für den Ruprecht. Bisher hat sie sich mit dem studentischen Leben, sowie mit politischen Ereignissen der Vergangenheit und Gegenwart befasst.
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.