Bevor mein Selbstexperiment startet, stelle ich fest: Wer nach Eindeutigkeit sucht, findet sie in der theoretischen Auseinandersetzung mit der Meditation nicht. Es gibt nicht „die eine“ Meditation. Es gibt nicht „das eine“ anzuvisierende Ziel. Und damit schon gar nicht „den einen“ Weg, der wo auch immer hinführt. Eine Erkenntnis, die mich fürs Erste aber auch nicht abschreckt. Vielmehr eröffnet mir die Mehrdeutigkeit eine Fülle an Zugängen zur Meditation.
Eine Fülle an Möglichkeiten
Ob begleitet durch eine anleitende Stimme, entspannende Musik und Naturgeräusche oder doch in Stille wird sich zeigen. Werde ich meine Gedanken an meinem inneren Auge vorbei schweifen lassen, meinen Körper aufmerksam beobachten oder meinen Atem verfolgen? Weiß ich noch nicht. Meditiere ich morgens, in einer Mittagspause oder vor dem Einschlafen? Wo es hingeht, wie es dort hingeht und ob ich diesen Weg danach weitergehe? Das ergibt sich für mich innerhalb der nächsten sieben Tage. Bisher steht nur eines fest: Ich gebe mein Bestes und das eine Stunde täglich.
Tag eins. Ich bin seit einer halben Stunde wach, trinke ein Glas Wasser und putze meine Zähne. Heute läute ich den Tag sofort mit einer Meditation ein. Ohne großes Hinterfragen setze ich mich auf mein improvisiertes Meditationskissen und atme tief ein und aus. Dabei lausche ich Naturgeräuschen auf YouTube und fühle mich für ungefähr fünf Minuten tiefenentspannt. Meinen Atem zu verfolgen gelingt mir erstaunlich gut. Nach diesem Höhenflug siegt aber doch zunehmend meine pessimistische Vorahnung. Ich werde im Minutentakt unaufmerksamer. Meine Gedanken schweifen immer wieder ab, weg von meinem Atem und hin zu Denkgebäuden, wie sie auch im alltäglichen Grübeln entstehen.
Auch am zweiten Tag versinke ich in jene Tagträumereien. Heute meditiere ich mittags und abends jeweils eine halbe Stunde. Wieder folgen auf erste Minuten der gefühlten Tiefenentspannung und Beruhigung, Minuten der Skepsis sowie des Bewegungsdrangs. Wieder stellt sich Enttäuschung ein. Und wieder bin ich mir darüber bewusst, dass das üblich ist. Nachdem ich die Meditationen aber „durchgesessen“ habe, löst sich die Spannung schnell auf. Es folgt gar ein positives, entspanntes, äußerst diffuses Gefühl. Ich hinterfrage es nicht näher und nehme es wohlwollend zur Kenntnis.
Tag drei. Wie am ersten Tag entscheide ich mich für die Morgenvariante – heute an der frischen Luft. Das vollkommene Gegenprogramm zur morgendlichen Handy-Session. Anstatt im Bett vertieft in Instagram-Belanglosigkeiten, bin ich nun vollkommen bei mir und werde durch die winterliche Luft spürbar wach. Die beinahe eisige Luft erlaubt mir, meinen Atem genau zu beobachten und mich dadurch zu entspannen. Lediglich meine Aufmerksamkeit leidet nach kurzer Zeit unter dem gewählten Ort. Heraufziehende Rollläden und der Lärm der Müllabfuhr vertreiben das schöne Vogelgezwitscher. Was ich mitnehme: Der Ort der Meditation sollte nicht nur Vogelzwitschern und frische Luft versprechen, sondern auch die Sicherheit vor Unterbrechung und Ablenkung.
Am vierten Tag wage ich mich an eine einstündige Abendmeditation. Stilecht zünde ich mir ein Räucherstäbchen und ein paar Kerzen an, setze mich auf mein Kissen und lausche beruhigenden Worten. Denn heute ist eine „geführte“ Meditation geplant. Eine Stimme, unterlegt mit entspannender Musik, gibt mir Anweisungen, wie ich atmen soll, und was ich mir bestenfalls innerlich sage. Der anleitende Charakter scheint mir für Anfänger sinnvoll. Sicherlich können Atemtechniken und Selbstaffirmationen den Einstieg in die Welt der Meditation erleichtern. Trotzdem stelle ich fest: Stille, höchstens begleitet durch sehr ruhige Musik, überzeugt mich bisher weit mehr.
Stück für Stück naht der siebte Tag. Erstmal heißt es aber Tag fünf auszukosten. Heute ohne Musik, ohne Naturgeräusche – nur ich, möglichst aufrecht auf einem Kissen sitzend. Dabei verdient letzteres an dieser Stelle eine Hervorhebung. Das aufrechte Sitzen muss gelernt sein. So sagt man, sei es für die Mediation essenziell, muss aber auch bestenfalls ohne ablenkende Schmerzen vonstattengehen. Bis das absolut problemlos funktioniert, brauche ich aber mehr als nur sieben Tage.
Erstmal steht aber der sechste Tag vor der Tür. Ich versuche mich aufgrund wunderschöner, morgendlicher Wintersonnenstrahlen erneut an einer Meditation außerhalb der eigenen vier Wände – heute im Wald. Dementsprechend ohne akustisches „Müllabführtreiben“. Dass ich meinen Morgen gerne in der Natur verbringe, habe ich bereits in einem anderen Selbstexperiment festgestellt. Dass sich das aber auch sehr gut mit einer Meditation verbinden lässt, habe ich erst heute bemerkt. Ich mache es mir auf einer Bank gemütlich, folge meinem Atem, versuche mir dabei keinen Druck zu machen und mich für aufkeimende Gedanken nicht zu verurteilen. Ich fühle mich danach einfach besser. Dies stelle ich vor allem während des anschließenden Spaziergangs fest. Achtsamer und entspannter kann ich den morgendlichen Wald noch mehr genießen.
Obwohl ich nicht von Tag eins „den einen Weg“ gehe und mich vielmehr ausprobiere, kehrt allmählich Routine ein. In all dem Entdeckerwahn heißt es heute aber Rückbesinnung. Am siebten und letzten Tag entscheide ich mich für die 3×20-Minuten-Version meines Auftaktes. Trotz gleicher Rahmenbedingungen ist die Erfahrung eine vollkommen andere. Selbstverständlich driften meine Gedanken noch immer zu To-dos ab und münden teils sogar in existenzielle Sorgen. Natürlich kribbeln mir manchmal die Finger und ein Griff zum elektronischen Harmoniezerstörer rückt in bedrohliche Nähe. Ohne Frage ärgere ich mich dann über meine Fehlbarkeit. Doch zu den alten Bekannten hat sich immer häufiger auch eine langersehnte, verloren geglaubte Freundin gesellt: die Gelassenheit.
Aaron Löffler studiert Politikwissenschaft und Philosophie. Für den ruprecht schreibt er seit dem SoSe 2020. Dabei liegt sein thematischer Schwerpunkt vor allem auf dem politischen und philosophischen Zeitgeschehen - in Heidelberg und der Welt außenrum.