Es wäre so einfach für ihn gewesen. Ein Gespräch mit fünf Corona-geplagten Studierenden aus Heidelberg. Ruhig zuhören, ihre Sorgen ernst nehmen, mit tröstenden Floskeln Mut machen. Die Lokalzeitung würde kurz darüber schreiben, die Öffentlichkeit davon wenig mitbekommen. Ein alltäglicher Termin, bei dem jemand mit Kretschmanns Umfragewerten nichts falsch machen könnte.
Doch stattdessen berichtet nun die RNZ, wie der Ministerpräsident ungebetene Ratschläge erteilte: Studierende hätten keinen Grund, depressiv zu werden, denn es gäbe ja Menschen, denen es gerade noch schlechter gehe. Stattdessen werden Studierende später mit Interesse auf diese erlebnisreiche Zeit zurückblicken. Kretschmann gibt immerhin zu, dass er deren Probleme bisher wenig im Blick gehabt habe, was ihm „ein bisschen“ ein schlechtes Gewissen bereite.
Die entstandene überregionale Empörung ist berechtigt. Aus dem Zusammenhang gerissen sind diese Aussagen bereits vollkommen daneben, der Kontext macht es nur noch schlimmer. Das war das Fazit eines ausführlichen, sechzigminütigen Gesprächs. Junge Erwachsene, von der Politik bisher weitgehend ignoriert oder bestenfalls belächelt, teilen ihre aufrichtigen Sorgen und werden abgewatscht. Von der beiläufigen Verharmlosung von Depression mal abgesehen, ist derartige Empathielosigkeit und Geringschätzung kein staatsmännisches Verhalten, sondern einfach nur respektlos.
In Baden-Württemberg gibt es übrigens mehr wahlberechtigte Studierende als Beschäftigte in der Automobilindustrie oder im Gastgewerbe. Unvorstellbar, dass Kretschmann eine Daimler-Mitarbeiterin oder einen Hotelfachmann ebenso behandeln würde. Doch die angeblich so verwöhnte Jugend ist ein leichtes Ziel. Jedoch ist dieser Diskurs keine Einbahnstraße. Der Arroganz der alten, weißen Männer, die vielleicht gar nicht mehr so genau wissen, wo oben und wo unten ist, darf Grenzen aufgezeigt werden, ihre Niederträchtigkeit muss nicht unwidersprochen stehen gelassen werden. Denn von alleine lernen sie es wohl nie.
Von Philipp Rajwa
...hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.