Kommentar
Plitsch, Platsch, spritz ab – das eigenständige Vergnügen soll nun vorbei sein. Der Grund: Masturbieren soll als kleine Schwester der schönsten Nebensache eingestellt werden, da Mann nach dem Masturbieren“ ständig auf dem Rausch nach den neuesten Perversionen [ist]”. Der stellvertretende Landesvorsitzende der jungen Alternative Bayern, Thomas Richard Deutscher, zieht mit diesem Auszug aus seinem Anti-Masturbations-Manifest ein unbefriedigendes Resümee: Es gehe sogar soweit, “daß bei manchen der tatsächliche Geschlechtsakt mit einer Frau als eher langweilig und unerregend empfunden wird.”
Deutscher suggeriert nicht nur ein heteronormatives Sexualbild, sondern lässt unbewusst auch ein anderes Thema durchblicken: den Orgasm-Gap. Eine Studie dazu, die im Fachblatt “Archives of Sexual Behavior” erschienen ist, zeigt, dass lediglich 65% der heterosexuellen Frauen beim Geschlechtsakt kommen. Während 95% der heterosexuellen Männer nach eigenen Angaben onanieren. Die heterosexuellen Frauen bilden beim Orgasmieren im Vergleich hinter homosexuellen Männern, bisexuellen Männern, homosexuellen Frauen und bisexuellen Frauen das Schlusslicht. Vielleicht sollten wir uns an diesem Punkt die übergeordnete Frage stellen: Weshalb masturbieren Männer, als auch Frauen apart, und warum muss Pornokonsum unter Frauen enttabuisiert werden?
In Deutschers Tweet vom 23.Februar spricht er von einer “Pornoepidemie”, auch „wenn es „Wichtigeres” zurzeit gäbe. Dabei bezieht er seine Stellungnahme auf einen Artikel des „Lügenblatts” SZ , in dem ein Protagonist mit Pornosucht porträtiert wird. Nur verwechselt Deutscher eine zwanghaft sexuelle Störung, die Pornosucht, mit verhältnismäßigem, gesundem Masturbieren. Das Masturbieren geht selbstverständlich bei einem Pornokonsum einher, da man so die sexuelle Erregung abbauen kann, aber sie “beraubt einen [nicht] der schöpferischen Energie, vieler Nährstoffe und männlichen Kraft” – diese Ideologie der hegemonialen Männlichkeit führt er weiter fort.
Seine absurde Anti-Masturbations-Theorie überhöht er mit einem misogynistischen Thread-Post: “Meine Ausführung mit „Kraft“ und „Energie“ klingt etwas esoterisch, aber denkt mal nach; ein Mann, der sich nicht täglich selbst befummelt, ist eher gewillt den Daseinskampf zu führen und Frauen anzusprechen, produktiv und erfolgreich zu sein, was wiederum Frauen anzieht.” Zum einen bedient Deutscher sich einem Sprachrepertoire, das sich dem der NS-Ideologie ähnelt, zum anderen wollen wir heterosexuellen Frauen nicht von Daseins kämpfenden Männern erobert werden.
Apropos Masturbieren/Cumen: Nur 4 bis 20% der Frauen kommen durch penetrativen Sex. Die Zahlen sprechen für den Orgasm Gap. Die überwiegende Mehrheit benötigt eine klitorale Stimulation, denn die Klitoris ist für die weibliche Erregung unentbehrlich. Wohingegen die Pornosucht eine ernstzunehmende sexuelle Störung ist, aber die Ursachen auf das übermäßige Masturbieren zurückzuführen, ist falsch.
Die Justus-Liebig Universität Gießen informiert auf ihrer Instituts-Internetseite für Psychologie und Sportwissenschaft, dass “Schätzungen [zufolge] in Deutschland etwa 500.000 Menschen sexsüchtiges Verhalten zeigen, wobei Männer etwas 4-5 mal häufiger betroffen sind als Frauen.” Die Masturbation ist ein Selbstermächtigungstool für Frauen, um unabhängig von einem Mann es sich selbst geben zu können. Die weibliche Selbstbefriedigung und diese zu enttabuisieren, bedeutet, gesellschaftliche Konventionen zu brechen, die Deutscher gerne weiter hinter Vorhänge versteckt halten will.
Nach so viel Aufregung um Deutschers Tweets, lautet die neue Devise im Schlafzimmer der Frauen: ‘Wixxen gegen die AfD’.
Von Vivien Mirzai
Vivien Mirzai studiert Politikwissenschaften und Germanistik im Kulturvergleich seit dem Wintersemester 2019/20. Seit Oktober 2019 schreibt sie für den ruprecht über Wissenschaft, Internationales und Rassismus. Sie wechselt zum Wintersemester 2020 in die Ressortleitung Feuilleton.