Gegen 17:00 Uhr versammelte sich am Freitag am Anatomiegarten in der Hauptstraße eine Gruppe von Protestierenden, um auf die aktuelle politische Situation in Kolumbien aufmerksam zu machen. Außer in Heidelberg gingen übers Wochenende auch in anderen Städten weltweit Menschen in Solidarität mit kolumbianischen Bürgern auf die Straße.
Die Demo wurde laut David Streiber Mariño, einem der Organisatoren, ziemlich kurzfristig bei der Stadt angemeldet und organisiert. Hintergrund waren die nach der Ankündigung eines Generalstreiks am 28. April aus Kolumbien kommenden Nachrichten und Bilder, die Szenen starker Proteste und Polizei- sowie Militärgewalt gegen die kolumbianischen Bürger zeigten. Unter dem Hashtag #SOSCOLOMBIA waren auf Twitter und anderen sozialen Medien brutale Videos zu sehen, in denen die Polizei Demonstrierende angriff und mit scharfer Munition auf sie schoss. Ein Video zeigt, wie eine Gruppe von Polizisten auf Motorrädern an einem jungen Mann, der auf dem Bürgersteig läuft, vorbeifährt. Einer der Polizisten schießt mit seiner Waffe auf ihn und der Mann fällt zu Boden.
Solche erschütternden Szenen waren keine Einzelfälle, drangen aber nicht immer leicht an die Öffentlichkeit. In Cali, einem der Orte mit den stärksten Ausschreitungen, gab es über einen längeren Zeitraum kein Internet oder Strom. Protestierende gehen davon aus, dass der Staat Berichte über die Situation in Kolumbien versucht zu zensieren.
Hintergrund der Proteste war ein Gesetzesentwurf, der eine Reform des Steuersystems in Kolumbien vorsah. Die Protestierenden sehen diesen Entwurf als eine Methode, um die Armen im Land durch stärkere Besteuerung noch ärmer zu machen. Zudem kulminierten in den Demonstrationen auch Proteste gegen die aggressiven Sicherheitskräfte der Spezialeinheit der Polizei für Demonstrationen (ESMAD) und die neoliberale Wirtschaftspolitik der Regierung von Präsident Iván Duque.
David Streiber Mariño ist Deutsch-Kolumbianer, in Bogotá aufgewachsen und studiert in Heidelberg Geschichte und Musikwissenschaft. Er und eine Gruppe von kolumbianischen FreundInnen haben die Demonstration in der Altstadt zusammen organisiert. Er berichtet, dass sie schon 2019 eine Demo am Bismarckplatz zu einem ähnlichen Thema auf die Beine gestellt haben. Dabei ging es um die damals schon hohe Arbeitslosigkeit, die seit 2019 von 10 Prozent auf heute mindestens 16 Prozent gestiegen ist, und um die wirtschaftlich ausweglose Lage in Kolumbien. Er erzählt mir, dass die meisten Kolumbianer, die er in Heidelberg kennt, aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen sind. Sie sehen in ihrem Heimatland keine Zukunft. Vor allem bemängelt David die privatisierte und teure Bildung im Land. In Heidelberg könne er für einen Bruchteil der Kosten eine bessere Hochschulbildung erlangen als an einer privaten Universität in Kolumbien.
An der Demo beteiligten sich im Laufe der Veranstaltung nach Schätzung der Organisatoren um die 60-70 Personen. Viele von Ihnen selbst KolumbianerInnen, aber auch deutsche Studierende waren unter den Teilnehmenden. Die Gruppe forderte internationale Solidarität mit den BürgerInnen in Kolumbien und trauerte um die Toten der Proteste. Auf ihren Plakaten standen Sprüche wie „Nos estan matando“ (deutsch: „Sie töten uns“) und „Policía en todas partes, justicia en ningun lado“ (deutsch: „Überall Polizei aber nirgendwo Gerechtigkeit“), mit denen sie die Unrechtssituation und die Gewalt der Polizei verurteilten. Viele trugen kolumbianische Flaggen, einige Personen hatten traditionelle Instrumente dabei und es wurde Musik gespielt, gemeinsam gesungen und auch getanzt.
Trotzdem wurde klar, wie ernst die Lage ist und wie wichtig die Anliegen den Demonstrierenden sind, aber auch, dass sie sich die Hoffnung für die Zukunft Kolumbiens nicht von der Regierung nehmen lassen wollen.
Von Luisa Hinke Martinez