Zahlreiche Missbrauchsskandale, zu hohe Kirchensteuer und veraltete Werte: Diese Gründe treiben Mitglieder häufig zum Austritt aus der katholischen Kirche. Darunter befinden sich auch viele Studierende. In einer kleinen Umfrage des ruprecht nannten die Heidelberger Studierenden diverse Gründe für den (Nicht-)Austritt und Ideen für Verbesserungen der Institution, um sie mit modernen Werten vereinbaren zu können.
„Nicht mehr Teil des Problems sein“
Bereits ausgetretene Studierende sagen, sie seien „irgendwann an den Punkt gekommen, an dem [sie] beschlossen habe[n] nicht mehr Teil des Problems sein zu wollen.“ Besonders homophobe Handlungen der Institution und ihrer Vertreter*innen sowie das Aufrechterhalten von Misogynie und veralteten Rollenbildern werden als ausschlaggebende Gründe für den Austritt genannt.
Die Studierenden sehen meist nicht die Kirchensteuer an sich als problematisch an. Sie möchten vielmehr keine Institution finanziell unterstützen, die nicht mit ihren Moralvorstellungen übereinstimmt. Ein Studierender sagt in unserer Umfrage allerdings, dass die Bereitschaft der Studierenden, die Institution durch die Kirchensteuer zu finanzieren, schwinde, da sie ohnehin bereits staatliche Gelder erhält.
Auch geben Heidelberger Studierende an, dass sie Schwierigkeiten hätten, sich mit der Institution weiterhin zu identifizieren oder das Vertrauen in sie verlören. Der meistgenannte Grund sind allerdings bei Weitem die Missbrauchsskandale und deren Handhabung: „Die Skandale werden nicht aus der Perspektive der Opfer aufgearbeitet, was mich stört“, gibt ein*e Studierende*r zu Protokoll.
Insgesamt schätzten die Studierenden die Missbrauchsfälle als gravierendste Problematik ein, dicht gefolgt von der ablehnenden Einstellung der Kirche gegenüber Abtreibungsgesetzen. Auch das Verbot von Hochzeiten nicht-heterosexueller Paare wird als problematisch angesehen.
Kirche – Gemeinschaft und Freiheit
Dennoch gibt es viele Studierende, die weiterhin Mitglieder der Katholischen Kirche bleiben möchten. „Ich habe mich intensiv mit den Lehren des Katholizismus und denen anderer Religionen auseinandergesetzt und bin zu dem Schluss gekommen, dass die Ansichten der Katholischen Kirche mit meinen eigenen moralischen Vorstellungen übereinstimmen,” sagt eine Studierende. Für viele Studierende war und ist die Katholische Kirche auch ein großer Teil ihrer Kindheit und Jugend: „Kirche ist für mich auch Gemeinschaft und Freiheit. [Durch sie] habe ich viele tolle Menschen kennengelernt.“
Und doch denken immer mehr Studierende über einen Austritt nach. Gründe, die die Entscheidung für sie besonders erschweren, sind beispielsweise eine eventuelle kirchliche Hochzeit. Manche möchten sich noch besser informieren, um die Entscheidung nicht im Nachhinein zu bereuen. Auch gibt es Studierende mit der Ambition, die Kirche nach den eigenen Vorstellungen mitzugestalten, anstatt aus ihr auszutreten: „Ich habe persönlich viel Gutes in meiner Heimatgemeinde erfahren. Ich bleibe, weil ich motiviert bin, die Kirche von innen zu verändern, sodass sie ein guter Ort für Frauen und Personen der LGBTQIA+ Gemeinschaft wird.“
Perspektiven
Die Studierenden haben viele Vorstellungen über eine Zukunft der Katholischen Kirche, in welcher sie der modernen Gesellschaft und ihren Werten gerecht wird. Altmodische Traditionen sollten verworfen, die Verteilung der Gelder offengelegt, das Zölibat überwunden und Frauen in allen Positionen erlaubt werden. Nach Meinung der befragten Studierenden sollte die Katholische Kirche zu einer offeneren Institution für alle Menschen werden. Auch homosexuelle Paare sollten gesegnet werden. Dies tun in den letzten Monaten immer mehr deutsche Priester, entgegen den Anordnungen aus dem Vatikan. Generell sollte die Katholische Kirche sich mehr an biblischen Werten wie Nächstenliebe orientieren und vor allem eine „offene und konsequente Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, eine Bestrafung der Täter und Mitwisser und eine Lösung, wie Kinder in Zukunft geschützt werden können“ anstreben.
Wenn die Katholische Kirche sich in ihren Werten anpasst, könnte zumindest die Erosion von studierenden Mitgliedern eingedämmt werden. Viele Studierende stellen sich nicht gegen die Katholische Kirche an sich, sondern gegen bestimmte Werte, die mit ihren Moralvorstellungen nicht zu vereinbaren sind.
Annika Beckers
Annika Beckers ist momentan im zweiten Semester ihres Anglistik und Politikwissenschaft Studiums. Seit 2019 ist sie Autorin beim ruprecht. Dabei berichtet sie sowohl über aktuelle Entwicklungen, als auch über kulturelle Themen.
Liebe Annika!
Wie genau sahen denn die Umfrage-Items aus? Wurde mündlich oder schriftlich gefragt? Wie groß war die Zahl der Befragten?
Danke und viele Grüße aus Münster!