Vor zwei Wochen erhalte ich die Meldung: Semesterbeitrag fällig. Jedes Semester überrascht sie mich aufs Neue. Aber dieses Semester empört sie mich besonders. Wofür genau bezahle ich 171 Euro und 80 Cent? Das Ende des Semesters naht und ich bekämpfe immer noch die Müdigkeit, die mich plötzlich befällt, wenn ich mich mit dem Laptop ins Bett lege. Wo bleibt dieses „Studieren“, für das ich so viel Geld zahle? Anderthalb Jahre vor dem Schreibtisch – es ist ja aktuell nichts anderes möglich. Nun ist die Inzidenz seit Wochen unter 10 und das gesamte restliche öffentliche Leben blüht auf. Ich frage mich wieder und wieder: Wo bleibt unser Studium?
Das Land Baden-Württemberg verzeichnet bis zum 29. Juni in seiner Corona-Verordnung, dass „Veranstaltungen in Präsenzform und sonstige Präsenzformate des Studienbetriebs der Zulassung durch das Rektorat oder der Akademieleitung bedürfen“. Heißt, jede Universität ist selbst dafür verantwortlich, Präsenzveranstaltungen zu genehmigen.
Betrachten wir doch mal, wie sich die Uni Heidelberg dazu äußert. Auf ihrer Webseite fand sich vor Kurzem noch folgendes: „Im Rahmen des dritten Öffnungsschrittes des Landes sowie der weiterhin stabilen Inzidenz unter 35 im Stadtgebiet Heidelberg kann darüber hinaus die Durchführung von zusätzlichen Präsenzlehrveranstaltungen […] unter gewissen Auflagen vom Rektorat genehmigt werden.“ Nun, die Inzidenz liegt heute bei 9,3. Und die Uni hat auch endlich reagiert. Drei Wochen vor Ende der Vorlesungszeit kommen erste Lockerungen. Aber jede Veranstaltung muss einzeln genehmigt werden. Wir sind schon lange über das Ziel des dritten Öffnungsschrittes (welches noch Tests in der Außengastronomie vorsah) hinausgeschossen. Also, lieber Herr Eitel, warum kommt jetzt erst was?
Man hätte schon damit beginnen können, kleinere Seminare zu erlauben, mit 20 bis 30 Teilnehmer:innen. Mit Maske und Abstand zwischen den Plätzen wäre das Infektionsrisiko mit Sicherheit eingedämmt. Außerdem sind sowieso schon viele Studierende einmal oder zweimal geimpft. Aktuell redet sich die Universität damit heraus, dass einige Studierende pandemiebedingt nicht an diesen Veranstaltungen teilnehmen könnten. Kein Problem. Der Studierendenrat hat sich beispielsweise schon eine „Eule“ besorgt, also eine 360-Grad-Kamera, mit der man sich in Online-Konferenzen verbinden und auch aus der Ferne zuhören kann.
Aber das interessiert viele Fakultäten nicht. Ja, es gibt auch welche, die sich jetzt an Hybridveranstaltungen heranwagen. Aber es bleibt immer noch das Gefühl, dass alles auf der absolut niedrigsten experimentellen Stufe stattfindet. Für Erst- und Zweitsemester in Jura gab es bisher eine Vorlesung in Präsenz, von der weitläufig geschwärmt wurde. In der Realität musste man getrennt mit FFP2-Maske in den Saal einlaufen und stets vier Sitzplätze freihalten. Was eigentlich eine Art Kennenlernen der Universität und Kommiliton:innen darstellen sollte, bleibt also lediglich eine dystopische und unnatürliche Einschleusung in einen Alltag, den es so nie gegeben hat. Schöner Hörsaal. Aber so lernt man doch keine Universität kennen.
Und dabei ist die Juristische Fakultät noch am mutigsten. Die Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Bergheim blendet jegliche Öffnungsperspektiven ganz aus. Das Historische Seminar kommt nicht auf die Idee, Seminare mit teilweise zehn Teilnehmer:innen zuzulassen. Es ist fast, als wären sie überrumpelt. Als hätten sie das alles nicht kommen sehen. Jetzt, nach drei Semestern, den Studierenden entgegenkommen? Das ist einfach zu viel. Zurücklehnen und entspannen, das ist viel leichter. Und überhaupt: Was wollt ihr denn von uns? Online-Lehre lief doch bisher ganz gut, oder nicht?
Von Natascha Koch
Natascha Koch studiert Politikwissenschaften und Geschichte und schreibt seit 2019 für den ruprecht. In ihren Artikeln dreht es sich um aktuelle politische und gesellschaftliche Trends und alles, was die Welt bewegt – oder auch nur das Internet. Seit 2020 leitet sie das Ressort für die Seiten 1-3.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.