Lucas Hand zittert, als er das leichtzerknickte Stück Papier aus seiner Hosentasche holt. Die Menschenmenge, die sich vor dem Landesgericht in Heidelberg versammelt hat, schaut zu ihm auf. Luca holt tief Luft, dann beginnt er zu sprechen:
„Es geht nicht klar, der Kritik mit Repressionen zu begegnen, das macht uns nur stärker.“ Bei dem Wort Repressionen verhaspelt er sich. „Entschuldigung Leute“, sagt er, mehrmals. Er blickt wieder auf sein Blatt Papier. Währenddessen bleibt die Menge still. Nach einigen Momenten startet Luca einen neuen Versuch.
„Die Repressionen versuchen uns als Klimabewegung zu kriminalisieren. Heute zeigen wir, dass wir umso entschlossener kämpfen werden“. Dieser Versuch gelingt, „Repressionen“ kommt flüssig über seine Lippen. Die Menge vor dem Landgericht applaudiert. Luca lächelt, fast ein wenig stolz.
Luca ist einer von vier Klimaaktivist:innen der Organisation „Wurzeln im Beton“, die sich am 9. August vor dem Heidelberger Amtsgericht wegen Hausfriedensbruch verantworten müssen. Im August letzten Jahres protestierte die Aktivist:innengruppe gegen HeidelbergCement, dem zweitgrößten Zementproduzenten weltweit.
Dabei stiegen einige der Aktivist:innen auf das Vordach der Firmenzentrale in Neuenheim, um ein Transparent zu platzieren, das auf die Umweltzerstörung des Unternehmens aufmerksam machte. Einer davon war Luca.
„Die Aktion war rein symbolisch. Das kann gar kein Hausfriedensbruch gewesen sein, wir sind nicht mal in das Gebäude eingedrungen“, sagt er. „Darüber hinaus macht es die Klimakrise notwendig, dass auch Mittel des zivilen Notstandes eingesetzt werden und gerechtfertigt sind.“ Das Gericht sieht das anders. Das Verfahren wird gegen eine Zahlung von 2100 Euro Strafe zuzüglich Prozess- und Anwaltskosten eingestellt. Auf den von den Aktivist:innen vorgetragenen Klimanotstand wird nicht eingegangen.
Luca verschränkt die Arme. Er hält das Urteil für skandalös. „Es ist ein Skandal, dass eine solche Lappalie so stark geahndet wird“, sagt er. Das Wort Skandal wird er an diesem Tag noch oft benutzen. Er löst einen Arm aus der Verschränkung und gestikuliert in Richtung des Amtsgerichts. „Es ist ein Skandal, dass am Ende der Protest, der hier im friedlichen Rahmen stattgefunden hat, kriminalisiert wird, während eigentlich HeidelbergCement vor Gericht stehen müsste.“ Bei seinen Worten erntet er Nicken und applaus. Viele der Zuschauenden scheinen dies genauso zu sehen.
HeidelbergCement ist für die zweitmeisten CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Die Zementproduktion macht 7 Prozent der weltweiten Emissionen aus. „Zement ist ein Brandbeschleuniger der Klimakrise. Es reicht nicht, dass das Unternehmen bis 2050 klimaneutral werden wollen, da können wir nicht tatenlos zusehen“, sagt Luca. Seine Stimme wird bei diesen Worten lauter. Einer der Zuschauer pfeift anerkennend.
Drinnen, im Landgericht, lehnt sich Herr Perron zurück. Der Präsident des Landgerichtes streicht sich über das Kinn und blickt kurz aus dem Fenster. „Die Wut der jungen Leute verstehe ich, menschlich“.
Allerdings sei er Jurist. Da müsse er die Lage etwas anders beurteilen. „Ich sehe das Argument der Dringlichkeit, allerdings gibt es in unserer Verfassung hinreichend Möglichkeiten die Politik unter Druck zu setzten.“
Er verweist auf die Demonstrationsfreiheit im öffentlichen Raum. Letztlich müsse man für seine Überzeugung Mehrheiten gewinnen, um Veränderungen zu erreichen. „Wer denkt, dass Gesetzesbruch notwendig ist, um politische Aufmerksamkeit zu erzeugen, muss dann in Kauf nehmen, dafür bestraft zu werden“, sagt er. „Wir sind als Justiz dafür verantwortlich, dass sich die Menschen an die Gesetze halten, auch wenn sie den Sinn nicht einsehen.“
Luca hält diese apolitische Haltung des Gerichts für skandalös. „Politik und Klimakrise lassen sich nicht trennen. Die gesamte Gesellschaft wird sich umstellen müssen, dies wird auch Auswirkungen auf die Justiz haben.“ Bis es dazu kommt, will Luca weiter-machen. „Die Zementindustrie ist uns als Störer lange noch nicht los“, sagt er. Am Ende seiner Rede hält Luca sein Blatt hinter dem Rücken. Abgelesen hat er in den vorangeganenen Minuten kein einziges Mal. Er schaut in die Augen seiner Unterstützer:innen. Dann formt er mit seinen Händen einen Lautsprecher und ruft so laut er kann: „WHAT DO WE WANT? CLIMATE JUSTICE! WHEN DO WE WANT IT? NOW.“
von Lina Abraham
...hat während der Coronapandemie ihre Liebe zum Schreiben und zum ruprecht entdeckt und war bis zum Ende ihres Studiums in Heidelberg Teil der Redaktion. Sie leitete das Ressort „Seite 1-3“ und erlebte, wie der ruprecht im Jahr 2021 als beste Studierendenzeitung Deutschlands ausgezeichnet wurde. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr eine Recherche über das Unternehmen „Heidelberg Materials“ und dessen Umgang mit Menschenrechten in Togo. Lina ist weiterhin journalistisch aktiv und schreibt für das Onlinemagazin Treffpunkteuropa. Zudem ist sie als Podcast Autorin beim BdV tätig und berichtet über Flucht und Vertreibung in Europa.