Wer während des liebgewonnenen Corona-Hobbys Spazierengehen offenen Auges unterwegs ist, bemerkt, dass auf Heidelbergs Grünflächen nicht nur Kiwis und Bananenstauden fremd, aber wachsfreudig sind: Das besondere Klima begünstigt das Wachstum einiger Neophyten.
Einen Neuzugang in der Flora eines Gebiets bezeichnet man in der Botanik als Neophyt. Neben der unbeabsichtigten Verbreitung wurden einige Arten gezielt eingeführt: entweder als Zierpflanze, zur landwirtschaftlichen Nutzung als Bodenverbesserung oder als Futterpflanze. Vor allem Pflanzen in der Stadt müssen einiges aushalten: Typische Probleme in der Stadt wie wärmespeichernde Gebäude werden durch den Klimawandel verstärkt.
Aus diesem Grund greift man im Stadtgebiet Heidelberg zu Neophyten, die weniger Wasser und höhere Temperaturen bevorzugen. Problematisch wird es, wenn es zu einer biologischen Invasion kommt. Man spricht dann von invasiven Neophyten, die sich durch ausgeprägte Widerstandsfähigkeit, üppiges Wachstum und rasche Verbreitung im Kampf um Ressourcen wie Licht und Nährstoffe als äußerst konkurrenzfähig erweisen und heimische Pflanzen verdrängen.
Welche Pflanzen genau im Stadtgebiet Heidelberg wachsen, kann man auf www.stadtgruen-hd.de verfolgen. Hinter der Website steht die in Heidelberg ansässige Germanistin Petra Fochler, die ehrenamtlich im Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU) aktiv ist. Mit ihrem Projekt erklärt Fochler komplexe botanische Inhalte für Laien: „Das Ziel ist, die Wertschätzung der vielfältigen Natur im Stadtbild zu fördern“, erklärt Fochler. Einen Teil dieses Projekts widmet sie invasiven Neophyten. Dazu gehören unter anderem die Amerikanische Kermesbeere, der Drüsige Götterbaum und Arten des Staudenknöterichs.
Die Amerikanische Kermesbeere fällt vor allem wegen ihrer attraktiven weißen bis pinken Blüten und der fast schon schwarzen Farbe der giftigen Beeren auf. Aus diesem Grund wurde sie als Zierpflanze eingeführt. Auch über die Wurzeln stößt sie Giftstoffe aus, die, ähnlich dem Walnussbaum, das Wachstum anderer Pflanzen hemmen. So kann sich die Kermesbeere ungehindert ausbreiten.
Die gleiche Methode nutzt auch der Drüsige Götterbaum, der anspruchslos in der Stadt gedeiht und heute den Spitznamen „Ghettopalme“ trägt. Er sprießt durch Abdeckgitter aus Kellerschächten im Neuenheimer Feld, am Neckarufer und zwischen Straßenbelag und Hauswand an der Flixbus-Haltestelle in Bergheim.
Ebenfalls anspruchslos und nahezu unverwüstlich ist der Staudenknöterich: Wer am Neckar entlang spaziert, begegnet ihm unweigerlich. Ursprünglich als Zierpflanze und Bienenweide aus Asien importiert, fühlt er sich in Heidelberg und Umgebung pudelwohl. Das zeigt sich an massenhaften Beständen am Neckar, die sukzessive benachbarte Pflanzen vom ursprünglich heimischen Standort verdrängen.
Das Verdrängen heimischer Arten gefährdet die Biodiversität. Dabei ist die Vielfalt das, was unseren Planeten ausmacht: Mit jeder Art, die verschwindet, verlieren wir einen Teil davon und Arten, die von der verlorenen Art abhängig sind, werden nach und nach ebenso verschwinden. Auf die Botanik bezogen bedeutet dieser Verlust, dass Tierarten in Bedrängnis geraten, die auf heimische Pflanzen angewiesen sind.
Dies hat eine Studie unter Leitung der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft 2017 in der Schweiz anhand von Schmetterlingen untersucht. Dabei zeigte sich, dass keine einzige Schmetterlingsart von Neophyten profitiere, während 28 Arten unter den neuen Pflanzen litten.
Im Kampf gegen invasive Arten verzichtet die Stadt Heidelberg auf Pestizide, man gehe manuell vor. Das bedeutet, dass dominante Pflanzen wie der Staudenknöterich zweimal jährlich gemäht werden, um das Wachstum zu hemmen, wie Wolfgang Morr erklärt. Er ist der Leiter des Regiebetriebs Gartenbau im Landschafts- und Forstamt der Stadt Heidelberg. Komplett bekämpfen könne man invasive Arten wie den Staudenknöterich aber nicht mehr, erläutert Marcus Koch, der als Leiter des Forschungsbereichs Biodiversität am Center for Organismal Studies (COS) in Heidelberg tätig ist. Dazu müsse man die betroffene Fläche viele Jahre abdecken – das würde auch alle anderen Pflanzen unter der Abdeckung vernichten.
Um zukünftig die Ausbreitung von invasiven Arten zu verhindern, sollte man diese schnellstmöglich bei erstem Vorkommen melden und entfernen, Überdüngung mit Stickstoff vermeiden und kontaminierte Böden nicht verteilen. Der Boden enthalte Samen und Wurzelteile, die dann an neuen Stellen austreiben. Dies hat Koch beim Staudenknöterich beobachtet, der in Deutschland zwar kräftig blüht, aber bisher noch keine Samen produziert: Trotzdem kommt er aktuell nicht nur am Neckar vor, sondern breite sich nun auch an bestimmten Forstwegen aus.
Inwieweit Neophyten heimische Arten bereits verdrängt haben, hat Koch 2019 am Neckarufer untersucht. Er fand heraus, dass ein Drittel der untersuchten Fläche ausschließlich aus Neophyten bestand. Marcus Koch glaubt, dass der Landschaftswandel nicht mehr aufzuhalten sei: In Heidelberg und der Umgebung lässt sich das deutlich beobachten.
Von Daniela Rohleder
...studiert Editionswissenschaft & Textkritik im Master und ist im Herbst 2021 beim ruprecht eingestiegen. Zwischen Oktober 2022 und November 2023 leitete sie das Ressort „Studentisches Leben“. Auch thematisch widmet sie ihr Zeichenlimit gerne dem studentischen Blick auf die Umwelt – wobei sie einiges über Radiosender, Feierkultur und Elternschaft gelernt hat.