Zügig und ohne großes Aufsehen eröffnete die Universität ihre dreizehnte Fakultät. Derzeit besteht sie vor allem aus einem Türschild
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ie Universität Heidelberg hat zu Semesterstart eine Fakultät für Ingenieurwissenschaften gegründet. Hierzu wurden verschiedene bestehende Institute zusammengeführt. Mit dem Wintersemester begann der offizielle Betrieb unter Leitung des Gründungsdekans Guido Kanschat, der Professor am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) ist. Die neue Fakultät befindet sich im Neuenheimer Feld, und damit in unmittelbarer Nähe zu den naturwissenschaftlichen Einrichtungen, denen sie auch inhaltlich nahesteht.
Klassische Ingenieurdisziplinen wie Elektrotechnik und Maschinenbau, die einen Grundstein von Technischen Universitäten bilden und in Heidelberg bereits an der SRH Hochschule angeboten werden, spielen für die Universität Heidelberg keine Rolle. Stattdessen sollen Forschungsergebnisse eines interdisziplinären Potpourris aus Medizin, Lebens-, Umwelt- und Naturwissenschaften sowie Mathematik und Informatik in industrielle Anwendungen übersetzt werden.
In sogenannten innovativen Engineering-Ansätzen sollen Bereiche wie die molekularen Lebenswissenschaften und das wissenschaftliche Rechnen verbunden werden, um so neue Technologien zu entwickeln, die etwa in der Medizin Verwendung finden. „Beispiele innovativer Engineering-Ansätze sind biogene Verpackungstechnologien für mRNA-Impfstoffe, künstliche Zellen als Transportsysteme im Körper oder eine neue faserartige Batterietechnologie, die effizienter den Strom leitet und höhere Stromstärken erlaubt“, erklärt die Universität auf Anfrage.
Die Ingenieursfakultät besteht aus 26 Professuren und etwa 350 Wissenschaftler:innen. Sie vereint das Institut für Technische Informatik, das Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie, das Center for Advanced Materials sowie das Institute for Molecular Systems Engineering. Weiteres wissenschaftliches Personal stammt aus interdisziplinären Forschungseinrichtungen wie dem IWR oder dem BioQuant-Zentrum.
Für Studierende dieser Institute soll sich vorerst wenig ändern. Die Studiengänge bleiben zunächst in ihren ursprünglichen Fakultäten und wechseln erst zum Wintersemester 2022/2023 an die neue Fakultät. Fachschaften und Studiendekan:innen sollen hierbei ausreichend Vorbereitungszeit für einen reibungslosen Übergang der Lehre erwirkt haben. Das Promotionswesen hingegen ist bereits aktiv, sodass die Universität schon jetzt den akademischen Grad des Doktors der Ingenieurwissenschaften (Dr.-Ing.) verleihen darf.
Obwohl Gerüchte über die bevorstehende Gründung einer ingenieurwissenschaftlichen Fakultät schon seit Jahren im Umlauf waren, entstanden konkrete Pläne erst im Sommer 2020. Diese konnten zu Beginn des Jahres 2021 – trotz Hochphase der Pandemie – rasch weiterverfolgt und ausgeführt werden. Dabei beklagten studentische Vertreter:innen ein anfängliches Informationsdefizit: Sie seien erst spät eingeweiht worden und wären von der Schnelligkeit der Umsetzung überrumpelt gewesen. Zunächst sei unklar gewesen, welche Institute und Studiengänge überhaupt Teil der Fakultät werden sollten. Mitte April sprach der Studierendenrat im Bezug auf die neue Fakultät noch von „Planspielen“ im Hintergrund, wohingegen der Senat am 4. Mai bereits die Gründung der Fakultät beschloss. Auskünfte sollen die Studierenden erst auf ihre eigene Initiative hin erhalten haben.
Letztendlich sei die Universität auf den Wunsch nach studentischer Teilhabe eingegangen und habe Studierende als beratende Mitglieder in die Gründungskommission der neuen Fakultät entsandt, weshalb die Stimmung in Fachschaftskreisen inzwischen eher positiv sei. Die Universität betonte hierzu auf Rückfrage, dass sie die Dekane früh über die Gründungspläne aufgeklärt habe, auch mit dem Zweck, in Sitzungen der Fakultätsräte weiter darüber zu informieren. Weiterhin kündigte sie Informationsveranstaltungen für Studierende an, in denen der Umzug der Studiengänge thematisiert werden soll.
Wie schnell und geräuschlos die Fakultät hochgezogen wurde, zeigt sich auch in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung. Außer einer einzelnen Pressemitteilung und einer spärlichen Homepage weist noch wenig auf ihre Existenz hin. Dass die Fakultät tatsächlich mehr als ein Papierkonstrukt ist, belegt ein Blick ins Mathematikon: Dort ist das Türschild des Dekanats bereits montiert.
Von Philipp Rajwa
...hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.