Eine spröde Hand mit vier Patronen öffnet sich, ein Gewehr wird entsichert. Wären da nicht die seichten Klavierklänge im Hintergrund – die Sequenz könnte glatt einem paramilitärischen Bekennervideo entstammen.
In Wirklichkeit handelt es sich um die ersten Filmsekunden des Tracks „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ des Aachener Rappers Danger Dan, der in Sachen „Politische Musik aus Deutschland“ als Song des Jahres gelten kann.
Der Sinn der Kriegsmetapher wird nach wenigen Takten klar: Danger Dans eigentliche Waffe ist das Wort, und diese Waffe feuert scharf, wenn er singend zum Rundumschlag gegen die neurechte Publizistikszene ausholt.
Im Vorlauf der Veröffentlichung hat sich der Rapper juristisch beraten lassen. Man hört es dem Song an. Denn auf jede grenzwertige Diffamierung des politischen Gegenübers folgt prompt die Rechtfertigung, die schon im Titel steckt: „Zeigt mich an und ich öffne einen Sekt…“ – den Reim kann man sich denken.
Das Genre des sozialkritischen Chansons, in das sich der Beitrag einfügt, ist alt. Es entsteht Anfang der 1920er-Jahre aus der Arbeiterbewegung und erreicht ein Popularitätshoch, als die Musik der Liedermacher um Hannes Wader zum Motor der westdeutschen 68er-Bewegung avanciert.
Als letzte unbequeme Band von Bedeutung sehen viele „Die Ärzte“, die den Tätern von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen in „Schrei nach Liebe“ noch 1993 ein „A….loch!“ entgegenbrüllen.
Kurz darauf flaut der Trend ab: Schon Ende der 1990er-Jahre attestieren Soziologinnen der jungen Generation eine kulturelle Verflachung und Entpolitisierung. Von der ideologiebeladenen Epoche des Kalten Krieges sei man geradewegs in eine schrille „Spaßgesellschaft“ hineingeschlittert. Der Hedonismus scheint die großen Ideale und das Streben nach gesellschaftlichem Wandel als Lebensphilosophie ersetzt zu haben; Romane der Popliteratur wie Christian Krachts Faserland sind davon geprägt, dass die wohlstandsverwahrlosten und melancholischen Protagonisten aus einem „Sinnvakuum“ heraus ihr Heil im Konsumzwang suchen.
Ein Vakuum: So lässt sich auch das Schicksal des Politsongs seit der Jahrtausendwende beschreiben. „Musik ist keine Lösung“, lautet deshalb das resignative Statement von Danger Dans Rap-Kollegen Alligatoah: „Ein Anti-Kriegs-Klangerzeugnis? Pff, ganz was Neues! John Lennon hat das schon in den 70er-Jahren gemacht – hat ja richtig was gebracht!“. Hat die Musik den Status quo also akzeptiert?
Nein, der Kulturkampf in der Kunst, er ist noch da, nur wurde er in den letzten Jahren auf anderen Bühnen ausgefochten. Mit seinem Erdoğan-Schmähgedicht brachte Jan Böhmermann 2016 eine Staatskrise ins Rollen. Auch Böhmermann berief sich damals in satirischer Weise auf Art. 5 des Grundgesetzes. Im Rückblick aber stellt er fest: „Die Möglichkeit(en), den Ball mit Kunst auch einmal nach oben zu schießen“, seien in Deutschland begrenzt.
Das hat viel damit zu tun, dass es meist nicht mehr die langhaarigen Gitarristen sind, die mit schönen Worten gesellschaftliche Missstände aufdecken. Die Bühnen politischer Botschaften haben sich auch in die Welt des Sprechgesangs verlagert.
Den Anfangspunkt für diese Entwicklung setzte 1992 die Heidelberger Gruppe Advanced Chemistry mit „Fremd im eigenen Land“. In ihrer Tradition stehen Künstler wie Alligatoah, K. I. Z. oder eben Danger Dan.
Dass deren Statements bislang allenfalls als Randnotiz erscheinen, liegt daran, dass dem Rap noch immer der Geruch der Bildungsferne anhaftet. Anders ist das in den USA, wo der Hip-Hop als kulturelle Ausdrucksform verankert ist. Hierzulande aber empfindet ein nicht kleiner Teil der Gesellschaft ihn als eine Art Subkultur und die Texte schon wegen der in ihnen enthaltenen Fäkalausdrücke nicht als würdig, in ihrer Sinnhaftigkeit näher ergründet zu werden.
Dennoch: Politische Kunst ist wieder im Kommen, auch in Deutschland. Wenn bei „Fridays for Future“ Zehntausende als inoffizielle Hymne der Bewegung „Hurra die Welt geht unter“ singen, hat das vielleicht noch nicht die Schlagkraft von „Imagine“.
Es zeigt aber eines ganz deutlich: Die Zeit der politischen Teilnahmslosigkeit ist lange vorbei und Musik hat wieder einmal das Potential, Motor einer Bewegung zu sein. Man wird sich wohl oder übel mit ihr auseinandersetzen müssen.
Von Lennart Schiek