Sechshundert Meter Anarchie verbinden den Bismarckplatz mit dem Universitätsplatz. In der Plöck scheinen keine Verkehrsregeln zu gelten, es spazieren Menschen auf der Straße, Fahrräder überholen auf Gehwegen Autos, es wird gerast und gedrängelt – manchmal auch gepöbelt. Tausende radeln täglich durch die Plöck, bei den Studierenden genießt die Straße Kultstatus.
Paradoxerweise ist die Plöck wohl nicht so gefährlich, wie es sich beim Fahren anfühlen mag. „Man unterscheidet objektive und gefühlte Sicherheit“, erklärt Bernhard Pirch-Rieseberg vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) Rhein-Neckar. 2017 ergab eine Analyse des Heidelberger Umwelt-und-Prognose-Instituts (UPI): Ab dem Friedrich-Ebert-Platz, wo die Plöck zur Fahrradstraße wird, passieren pro Radkilometer ein Drittel weniger Unfälle als im Heidelberger Durchschnitt. Da aber im vorderen Teil der Plöck ein erhöhtes Unfallrisiko besteht, wird die Stadt diesen im Frühjahr ebenfalls in eine Fahrradstraße umwandeln.
Durch die Plöck führt auch der Campus-Rundweg, ein von der Stadt empfohlener Radweg für Studierende. Dieser verläuft westlich der Plöck quer über die Rohrbacher Straße. Das ist die Kreuzung südlich vom Bismarckplatz, wo viele Radfahrende unbeholfen in die „Kleine Plöck“ einbiegen. Mangels angemessener Querung nutzen sie dafür entweder eine Lücke im zweispurigen Bundesstraßen- und Bahnverkehr oder warten vor einer der überfüllten Fußgängerampeln.
Diese Möglichkeiten werden auf Anfrage des ruprecht auch von der Stadtverwaltung empfohlen. Sie erklärt dazu, dass die Verkehrszusammenhänge an dieser Stelle komplex seien und Verbesserungen eine grundlegende Umgestaltung des gesamten Verkehrsknotens erfordern würden. Pirch-Rieseberg erinnert an mögliche Alternativen: „Früher gab es auf dem Gehweg vor dem Blumenladen einen Radweg, das war eine ganz smarte Lösung“. Der ADFC habe auch vorgeschlagen, die Poststraße an dieser Kreuzung für Autos zu sperren, um so mehr Platz für abbiegende Radfahrende zu schaffen.
Manche Teilstrecken des Campus-Rundwegs bergen laut der UPI-Analyse zudem ein hohes Unfallrisiko, etwa die enge Nord-Süd-Achse zwischen Mathematikon und Betriebshof oder die Brückenstraße in Neuenheim, wo das Unfallrisiko im Vergleich zum städtischen Durchschnitt sogar doppelt so hoch ist. Da es in Heidelberg eine Menge unterschiedlicher Problemstellen gibt, fordert der ADFC neben einem durchgängig verbundenen Radnetz viele kleinere Maßnahmen wie bessere Ampelschaltungen, neue Straßenbeläge und sichere Querungsmöglichkeiten.
Anstelle von punktuellen Verbesserungen geht es dem Radentscheid Heidelberg hingegen um das große Ganze. Das Bündnis will mit einem Bürgerbegehren eine einheitliche Fahrradstrategie bei der Stadt erwirken. Für seine Forderungen sammelte es 2021 über zehntausend Unterschriften.„Heidelberg ist trotz allen grünen Anstrichs eine autogerechte Stadt“, sagt Dominic Egger vom Radentscheid. Obwohl es gute Einzelbeispiele und politische Mehrheiten gebe, fehle Entscheidungs-träger:innen der Mut, die Vorhaben konsequent umzusetzen. Einzelne Ziele wie im Klimaschutzaktionsplan seien oft vage formuliert, geplante Projekte würden zu lange dauern.
Außerdem herrsche eine Not-In-My-Backyard-Einstellung. Als Beispiel nennt er einen radelnden Politiker, der sich gegen wegfallende Parkplätze in der eigenen Straße ausgesprochen haben soll.
Egger bemängelt beidseitig beparkbare Straßen und fordert baulich getrennte Verkehrswege. Es brauche eine Umverteilung des öffentlichen Raums, die den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht werde.
„Eigentlich sollte nichts tabu sein, was die Stadt noch lebenswerter, sicherer und klimafreundlicher machen kann“, sagt er. Dass die Interessen von Radfahrenden im Rathaus nicht ausreichend wahrgenommen werden, liege daran, dass diese sehr genügsam seien. Egger hofft auf eine stärkere Politisierung, vor allem von Studierenden und jungen Eltern.
Und die Stadt? Die plant und baut: ein Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof, eine Fahrradbrücke über den Neckar und Fahrradstraßen, wie die in der Gaisbergstraße, für die auch Pirch-Rieseberg und Egger lobende Worte finden. Stolz präsentiert die Stadt ihre Vorhaben, so auch die für 2022 angekündigten Fahrradstraßen in der Plöck und in der Steubenstraße in Handschuhsheim.
Die Idee dafür entstand bereits 2016 im Gemeinderat, dem 2017 Machbarkeitsstudien und Empfehlungen vorlagen. Die Plöck sollte bereits 2020 umgewandelt werden. All diese einfachen und günstigen Vorhaben blieben jahrelang in den Strukturen der Stadt liegen – zum Nachteil der Radfahrenden.
von Philipp Rajwa
...hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.