Die Autorin Jasmina Kuhnke sollte 2021 ihren Debütroman „Schwarzes Herz“ auf der Frankfurter Buchmessse vorstellen. Als die Anwesenheit eines rechtsextremen Verlegers bekannt wurde, sagte sie ihren Auftritt wegen Sicherheitsbedenken ab und rief zum Boykott der Messe auf. Zusammen mit Autor:innen ihres Buches folgte Evein Obulor diesem Aufruf.
Warum haben Sie als Herausgeberin des Buches „Schwarz wird großgeschrieben“ die Frankfurter Buchmesse boykottiert?
Als Herausgeberin habe ich eine besondere Rolle inne, da es nie nur um mich ging. Wir haben die Perspektiven von zwanzig FLINTA* (Anmerkung der Redaktion: Eine Abkürzung, die Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, trans und agender sowie weitere nicht-cis-hetero-männliche Menschen als Gruppe bezeichnet) eingefangen. Das hat es für mich erschwert, schnell zu einer Haltung zur Buchmesse zu kommen. Es musste erstmal einen internen Prozess der Meinungsfindung geben. Wir wären mit vier Autorinnen vor Ort gewesen. Mit diesen vier Autorinnen hatten wir ein sehr intensives Gespräch, wie wir jetzt vorgehen. Wir haben gemeinsam entschieden, dass wir nicht teilnehmen möchten.
Das hat verschiedene Gründe. Unser Buch ist von Schwarzen Menschen für Schwarze Menschen geschrieben. Dies ist eine besondere Zielgruppe. Wenn diese Zielgruppe auf einer Messe nicht sicher ist, dann hat dies einen ganz anderen Beigeschmack, als bei einem Buch, das die Mehrheitsgesellschaft adressiert und erreichen will. Es ging jedoch auch darum, ein Zeichen zu setzen. In einer postmigrantischen Gesellschaft konnten wir als Schwarze Autor*innen die Präsenz von Rassisten nicht einfach so stehen lassen, wir wollten uns solidarisch zeigen mit Jasmina Kuhnke, Ciani-Sophia Hoeder und den anderen Schwarzen Autor*innen, die ihre Teilnahme abgesagt haben.
Wie haben Sie die Debatte rund um den Boykott erlebt?
Für mich ist es ganz wichtig anzuerkennen, dass es viele Strategien gibt, wie man als Schwarze Person antirassistisch kämpfen kann. So verschieden die Erfahrungen Schwarzer Menschen sind, so verschieden sind auch ihre Wege, mit Rassismus umzugehen. Was mir stark aufgefallen ist, ist, dass sich die Debatte stark hochgeschaukelt hat; entweder ist man solidarisch mit Jasmina oder nicht – man ist dafür oder dagegen. Diese Polarisierung bildet nicht unsere gesellschaftliche Realität ab.
Fast schon wie ein Schwarz-Weiß-Denken?
Genau, aber so ist es ja nicht. Da gibt es Nuancen und Graustufen. Sehr viele Schwarze Menschen waren auf der Buchmesse. Auch diese Entscheidung kann ich gut nachvollziehen. Was aus der Perspektive von meinem Buch auffällt ist, dass bei uns insbesondere mehrfach marginalisierte Gruppen zu Wort kommen. Es geht nicht nur um Schwarz-sein, sondern auch um queer-sein, dick-sein, dark-skinned-sein. Perspektiven, die im Diskurs der Dominanzgesellschaft sowieso kaum sichtbar sind und dadurch jetzt noch weniger sichtbar gemacht worden sind.
Weil es nur die zwei Lager gab?
In diesem Fall weil ihnen die Bühne genommen wurde. Der Preis für den Boykott war hoch. Die Menschen, die sich kritisch gegenüber der Buchmesse geäußert haben, waren überwiegend Schwarze Menschen. Ich habe wenig weiße Menschen oder wenig Verlage gesehen, die sich positioniert haben. Das heißt, dass diese Debatte auf den Schultern der Betroffenen geführt wurde, und das ist ein großes Problem.
Die Frankfurter Buchmesse ist keine Spaßveranstaltung, sie verdient Geld, auch durch die Präsenz rassistischer Verlage. Wir, die der Buchmesse Ferngebliebenen, konnten unser Buch nicht vorstellen und haben so an Reichweite verloren. Dieser finanzielle Aspekt hat meiner Meinung nach nicht genug Aufmerksamkeit erfahren.
Sie standen ja nicht so im Mittelpunkt wie Jasmina Kuhnke, haben Sie trotzdem einen eigenen Shitstorm erlebt?
Ich denke, das hat viel mit Reichweite zu tun. Meine Reichweite in den sozialen Medien ist nicht so groß. Wir haben Autor*innen, wie zum Beispiel Alice Hasters, die eine große Reichweite haben, jedoch hat sich der Hass bei uns in Grenzen gehalten. Wenn man sich die Dynamik jedoch nochmal durch eine diskriminierungskritische Linse anschaut, dann wurden die weniger sichtbaren Menschen noch unsichtbarer gemacht. Schwarze light-skinned Menschen und deren Entscheidung des Boykotts war sichtbarer als die von beispielsweise Schwarzen-queeren oder dark-skinned Perspektiven.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass man auch unliebsame Meinungen aushalten müsse?
Wir leben in einer sich verändernden Gesellschaft. Unsere Realität ist postmigrantisch. Ich bin Schwarz und deutsch. Das schließt sich nicht mehr gegenseitig aus. Menschen mit Migrationsgeschichte verstehen sich als Teil dieser Gesellschaft, fordern ihre Rechte ein und lassen Rassimus und Diskriminierung nicht mehr unkommentiert stehen. Auch die Frankfurter Buchmesse muss sich dieser Realität stellen, „weiter so“ wird nicht mehr funktionieren.
Die Debatte um Meinungsfreiheit ist deshalb meiner Meinung nach fehlgeleitet, denn es gab kein Redeverbot, sondern laute Gegenrede. Für mich sind Rassismus und Rechtsextremismus keine Einstellungen, die sich unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verstecken lassen, sondern eine Gefahr für unsere Demokratie.
Die Frankfurter Buchmesse hatte die Wahl, wem man eine Bühne gibt und wem nicht. Ein rassistischer Verlag wurde im Herzen der Buchmesse und nicht etwa am Rande, im Seitengang vor dem Klo, präsentiert, das ist schon ein Symbol.
Ging die öffentliche Debatte am Thema vorbei?
Absolut! Die Bedrohung von rechts ist eine der größten in unserem Land.
Die Debatte um „was darf man denn jetzt noch sagen“ ist nicht per se schlecht, sie trägt dem Wandel in unserer Gesellschaft Rechnung, denn es sprechen auch andere Menschen als vor 50 Jahren. Es ist dennoch erstmal klarzustellen, dass alle prinzipiell alles sagen dürfen, man muss nur mit den gesellschaftlichen Konsequenzen rechnen. Ähnlich gestaltet sich dies auf der Buchmesse. Man kann nicht mehr einfach so einen rechten Verlag im Herzen der Messe positionieren. Man muss damit rechnen, dass Menschen aufstehen, sich äußern und Haltung zeigen.
Wenn marginalisierte Gruppen laut werden und Raum einnehmen, dann müssen andere, privilegierte Gruppen Platz machen. Dass es Menschen, die es gewohnt sind, sichtbar zu sein und die Deutungshoheit zu haben, nicht leichtfällt, Platz zu machen, ist klar. Dies kann man wunderbar beobachten, wenn man die Feuilletons zu diesem Thema durchblättert.
Können Sie ein Fazit zu der Debatte ziehen? Was ist seitdem passiert?
Es hat alternative Buchmessen gegeben unter dem Titel „Schwarz bewegt(e) Literatur“, was ich unglaublich fand. Innerhalb kürzester Zeit haben sich in ganz Deutschland Communitys zusammengetan, um Schwarzen und Autor*innen of Color eine Bühne zu bieten. Ich glaube, es ist wichtig, diese Bewegung nicht nur als Reaktion auf etwas zu sehen, sondern als ein Zeichen, dass Schwarze Literatur seit vielen Jahren dazugehört, ihre Räume braucht und sie sich auch nimmt. Dies war für mich sehr heilsam.
Ich bin gespannt, wie es nächstes Jahr weitergeht. Diese Debatte wird nicht weggehen. Menschen mit Migrationsgeschichte werden sich nicht mehr an den Rand stellen lassen und zusehen, wie rechtes Gedankengut im Zentrum platziert wird.
Was würden Sie sich in Zukunft von der öffentlichen Debatte rund um das Thema wünschen?
Durchatmen. Unsere Gesellschaft verändert sich, bestehende Machtverhältnisse werden in Frage gestellt, wem wann und wo welcher Raum zusteht und welche Meinungen wo toleriert werden, wird neu verhandelt. Menschen, die aufgrund struktureller Ungleichheiten über Jahrhunderte hinweg in gewissen Räumen keinen Platz hatten und haben, von der Dominanzgesellschaft „gecancelt“ wurden, melden sich jetzt zu Wort. That’s just a fact. Emotional aufgeladene Tweets von Menschen, die sich dadurch mit ihren eigenen Privilegien konfrontiert sehen, sollten unsere Debatte nicht dominieren. Deshalb erstmal dreimal durchatmen und überlegen, woher diese Emotionen kommen und um wessen Erfahrung es hier eigentlich gerade geht.
Das Gespräch führte Lina Abraham.
...hat während der Coronapandemie ihre Liebe zum Schreiben und zum ruprecht entdeckt und war bis zum Ende ihres Studiums in Heidelberg Teil der Redaktion. Sie leitete das Ressort „Seite 1-3“ und erlebte, wie der ruprecht im Jahr 2021 als beste Studierendenzeitung Deutschlands ausgezeichnet wurde. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr eine Recherche über das Unternehmen „Heidelberg Materials“ und dessen Umgang mit Menschenrechten in Togo. Lina ist weiterhin journalistisch aktiv und schreibt für das Onlinemagazin Treffpunkteuropa. Zudem ist sie als Podcast Autorin beim BdV tätig und berichtet über Flucht und Vertreibung in Europa.