Der Weltklimarat IPCC trägt immer wieder den aktuellen Stand der Klimawissenschaft zusammen. Er setzt sich aus ehrenamtlichen Wissenschaftler:innen aus zahlreichen Ländern und Fachgebieten zusammen. Am 4. April dieses Jahres erschien der neueste Teil des sechsten Sachstandsberichts.
Der ruprecht hat sich mit Sanam Vardag, Physikerin am Institut für Umweltphysik Heidelberg und Maximilian Jungmann vom Climate Action Science Projekt der Uni Heidelberg und Geschäftsführer von Momentum Novum getroffen. Ein Gespräch über den Inhalt und die Implikationen des Berichts.
Können Sie sich bitte kurz vorstellen und Ihre Tätigkeit beschreiben? Wie ist Ihre Arbeit mit dem IPCC-Bericht verbunden?
Vardag: Ich bin Wissenschaftlerin am Institut für Umweltphysik in Heidelberg und beschäftige mich schon lange mit Treibhausgasen in der Atmosphäre. Mein Fokus liegt auf der Simulation von Treibhausgasen, vor allem auf der regionalen und urbanen Skala. Das heißt, ich beschäftige mich mit der Verteilung von Treibhausgasemissionen, was dann mit den gemessenen Konzentrationen verglichen werden kann. Dabei ist auch die Modellierung des Transports in der Atmosphäre wichtig, damit die gemessenen Konzentrationen mit den berichteten Emissionen verglichen werden können. Es soll durch diese Modellierung auch die Möglichkeit geschaffen werden, Emissionen zu verifizieren, darzustellen und wirklich transparent zu machen. Wie viel wird auf regionaler und urbaner Skala emittiert? Genau das ist natürlich auch für den IPCC relevant, der klar sagt, dass wir Emissionen reduzieren müssen, und zwar in allen Sektoren, Bereichen und Regionen. Deswegen ist es wichtig zu wissen wo die Stellschrauben sind und wie viel tatsächlich emittiert wird und letztendlich auch wie wir die Bevölkerung mitnehmen können.
Welche Emissionen messen Sie? Ist es die CO2-Konzentration oder beispielsweise Stickstoffoxid?
Vardag: Wir messen alle relevanten Treibhausgase, wobei das wichtigste menschengemachte Treibhausgas CO2 ist. Aber auch Methan oder Lachgas sind von großer Bedeutung. Die messe ich nicht selbst, sondern arbeite mit den Gruppen am Institut für Umweltphysik und auch dem Institut für Geowissenschaften zusammen.
Und Sie, Herr Jungmann?
Jungmann: Sanam und ich arbeiten gemeinsam in einem Projekt, dass sich Climate Action Science nennt. Ich bin Politikwissenschaftler, arbeite aber seit einigen Jahren sehr interdisziplinär. Ursprünglich habe ich zu Klimawandel und Gesundheit promoviert, speziell zu der Frage, wie Staaten neue Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel wahrnehmen, wie Sie damit umgehen, um ihre Bevölkerung zu schützen oder zumindest die Risiken zu reduzieren. Die zentrale Frage in meiner Forschung ist dabei, wie sich die Knowledge Action Gap, also die Kluft zwischen Wissen und Handeln schließen lässt. Wie kann es sein, dass auf der einen Seite unser Wissen zu Nachhaltigkeits-Herausforderungen im Hinblick auf den Klimawandel immer weiter zunimmt und wir wissen was wir tun müssen, es aber trotzdem nicht effektiv und schnell genug tun. Dieses Paradoxon beschäftigt mich im Rahmen des Climate Action Science Projekts gerade wenn es um hochaufgelöste Treibhausgas Emissionsdaten und deren Visualisierung geht. Wie gehen Staaten damit um? Was bedeutet es für Städte? In diesem Kontext spielt der IPCC natürlich eine zentrale Rolle. Er ist gewissermaßen die Voraussetzung dafür, dass Entscheidungsträger:innen wissen, wo wir uns hinbewegen und welche Herausforderung es gibt. Einmal mit Blick auf den Klimawandel aber auch ganz konkret in Bezug auf Klimafolgen.
Wie schätzt der aktuelle IPCC-Report den Stand zur Klimakrisenbekämpfung ein?
Vardag: Der IPCC macht selbst keine eigene Forschung, sondern fasst den aktuellen Wissensstand zusammen, das bedeutet, dass peer-reviewte Literatur ausgewählt und aufbereitet wird. Aus dem neuesten IPCC-Bericht ist ganz klar, dass der Mensch für die Temperaturerhöhung, die wir seit der vorindustriellen Zeit sehen verantwortlich ist. Aktuell liegt diese Erwärmung bereits bei 1,1 °C. Ebenso hält der IPCC fest, dass die Atmosphäre, der Ozean und das Land erwärmt werden und jedes der letzten vier Jahrzehnte wärmer als das vorangegangene war. Dieses Ausmaß der Veränderung ist wirklich beispiellos in den letzten Tausend Jahren. Außerdem sieht man, dass sich dieser Temperaturanstieg auf vielfältige Weise auswirkt. Zum Einen sieht man, dass die Eismassen immer schneller schmelze, wodurch in Kombination mit thermischer Expansion der Meeresspiegel ansteigt. Seit 1970 hat sich die Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs fast verdreifacht. Gleichzeitig sieht man eine Zunahme von Wetterextremen in allen Regionen, also zum Beispiel Hitzewellen, starke Niederschläge, Dürren, Wirbelstürme. Die Auswirkung des menschengemachten Klimawandels betreffen also neben der Natur auch die Lebensgrundlage und Gesundheit des Menschen.
Inwiefern geht der Bericht auch darauf ein, welche Maßnahmen jetzt gerade schon unternommen werden? Werden Aussagen dazu getroffen, ob die jetzigen Maßnahmen genügen beziehungsweise ob sie überhaupt einen Einfluss auf das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels haben?
Jungmann: Das wird insbesondere in sogenannten Projektionen thematisiert, die sich bestimmte Emissionspfade anschauen und je nach Szenario unterschiedliche Annahmen treffen. Kürzlich kam eine neue Projektion von der UNWMO (UN World Meteorological Organisation) heraus, die festgestellt hat, dass das 1,5-Grad-Ziel voraussichtlich schon bis zum Jahr 2026 erreicht wird. Um zu evaluieren, wie der Fortschritt in der Klimawandelbekämpfung aussieht, gibt es aber auch noch andere Instrumente wie den Climate Action Tracker, der zusammenrechnet, was es an Maßnahmen auf nationaler Ebene gibt und ob das konform ist mit dem 1,5- oder 2-Grad-Ziel.
Vardag: Tatsächlich gibt es im IPCC einen Bereich der sich anschaut, was in verschiedenen Sektoren und Regionen für Fortschritte gemacht werden im Bezug auf Anpassungsmaßnahmen. Es wird auch festgehalten, dass es in vielen Bereichen Fortschritte und Ambitionen gibt. Allerdings wird auch ganz klar gesagt, dass die Anpassungsfähigkeit zum Teil schon erreicht ist und weitere Anpassung in Zukunft teilweise schwer wird. Zusätzlich bedarf es weiterer Anstrengungen im Bereich Anpassung und Bereich Klima Mitigation, also der Verminderung von Emissionen. Anpassung meint also das, was wir machen müssen, weil wir schon Treibhausgase in der Vergangenheit emittiert haben. Mitigation hingegen bedeutet künftige Emissionen zu verhindern. Es ist also mehr Anpassungen notwendig, wenn wir weniger mitigieren.
Jungmann: Deshalb ist die effektivste Form der Anpassung die Mitigation. In dem Kontext glaube ich ist es auch wichtig zu sehen, dass es Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Institutionen auf internationaler Ebene gibt, die zusammenarbeiten müssen. Hier gilt es insbesondere die COPs zu nennen, also die Conference of the Parties to the United Nations Framework Convention On Climate Change, die die IPCC-Reports als Grundlage für ihre Arbeit nehmen.
Das heißt, die Kernaussagen des aktuellen IPCC Berichts sind, dass der Klimawandel eindeutig menschengemacht ist und dass dringend effektive Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Treibhausgasemissionen global drastisch zu verringern und verheerende Folgen für Mensch und Natur zu verhindern?
Vardag: Richtig. Hinzu kommt noch, dass der Zustand des Klimas sich in Zukunft noch weiter verschlimmern wird. Wir werden noch einen weiteren Anstieg der Temperatur sehen, unabhängig von den Maßnahmen, die heute ergriffen werden. Selbst in den besten Szenarien wird sich die Erde bis Mitte des Jahrhunderts noch weiter erwärmen. Der Grad der Erwärmung und wie die Temperaturen danach weiter steigen, ist aber sehr stark abhängig davon, wie weit wir die Emission reduziert haben werden. Eine weitere zentrale Aussage des IPCC-Reports ist also, dass der Grad der Klimakatastrophe davon abhängt, wie viel Treibhausgas in Zukunft noch ausgestoßen wird.
Jungmann: Es wird deutlich, dass es eine echte Transformation benötigt. Es reicht nicht, einzelne Aspekte unseres Verhaltens oder unseres Wirtschaftens zu verändern, sondern uns bleibt nicht mehr viel Zeit übrig, den Schalter umzulegen.
Was halten Sie von Geoengineering als Weg aus der Klimakrise? Welche anderen konkreten Lösungsansätze werden im IPCC-Report genannt?
Vardag: Schwierige Frage. In den besten Szenarien (SSP1, bzw. RCP 2.6) tauchen negative Emissionen auf, was dann Geoengineering oder Climate Engineering ist. Das heißt, eine gewisse Aufnahme von CO2 aus der Atmosphäre zum Beispiel durch Aufforstung oder aber andere Technologien ist notwendig. Allerdings greifen wir dadurch in das Erdsystem ein, auf eine Weise und in einer Größe, die wir noch nicht kennen. Das heißt, das ist wirklich ein Experiment, was wir im großen Stil anwenden müssen, damit es eine Wirkung hat. Viele der vielversprechenden Climate Engineering Ansätze haben auch ganz klar negative Folgen für das Ökosystem oder den Menschen und sind keine nachhaltige Lösung. Das liegt daran, dass viele dieser Ansätze immer wieder angewendet werden müssen und sobald wir damit aufhören, schießen wir wieder zurück in den jetzigen Zustand. Aber es wird zu Recht daran geforscht. Langfristig aber denke ich, dass man Lösungen braucht, die Emissionen einsparen, und zwar so schnell wie möglich.
Jungmann: Vielleicht sollte man noch kurz den Begriff Geoengineering genau definieren. Sanam hat ja sehr gut erklärt, was unter Carbon Dioxide Removal verstanden wird, also CO2 aus der Atmosphäre zu binden und zu lagern. Die andere Option, die aus meiner Sicht fast noch umstrittener ist, ist solar radiation management. Dabei geht es darum, den Strahlungshaushalt der Erde zu manipulieren, beispielsweise mit Spiegeln im Weltall oder mit Sulfaten in die Stratosphäre. Da gibt es ganz unterschiedliche Ideen, die als effektiver eingeschätzt werden in vielen Bereichen, was die kurzfristige Wirkung angeht. Aber es birgt potenziell noch viel größere Risiken, weil man da das Klima sehr stark manipuliert. Im Bereich CO2 removal gibt es erste Forschung und es gibt auch schon erste Projekte, sowohl an Land als auch im Wasser. Es gibt auch schon erste Initiativen, die sehr viel Finanzierung erhalten haben in den letzten Jahren von technologischen Ansätzen bis zum nun ja konventionellen Bäume pflanzen, was ja auch CO2 removal bedeutet.
„Die Corona-Pandemie zeigte, wie viel eine drastische Veränderung des Mobilitätsverhalten und der Industrieproduktion ausmacht“.
Gibt es neben dem CO2 removal andere Lösungsansätze, die im IPCC-Report hervorgehoben werden?
Vardag: Es gibt nicht die eine Lösung die besonders betont wird, nein. Es ist ganz klar, dass alle Sektoren und alle Regionen dazu beitragen müssen, ihre Emissionen zu reduzieren und zwar rasant. Um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen, muss in den nächsten drei Jahren die CO2 Emission sinken und das erfordert eine grundlegende Transformation in allen Sektoren. Das wird ganz klar im IPCC-Report gesagt, aber es wird nicht vorgeschrieben wie die Politik zu agieren hat.
Jungmann: Es gibt eine starke Trennung der Aufgaben und der Mandate beim IPCC. Deshalb funktioniert der IPCC ja auch so gut, weil es ein ganz klar wissenschaftliches Instrument ist, wo darauf geachtet wird, dass der aktuelle Stand der Wissenschaft wiedergegeben wird und keine eigene Forschung passiert. Die politische Ebene wird in anderen Rahmen diskutiert, insbesondere eben auf der COP. Auf der COP in Madrid wurde zum Beispiel viel über Kreislaufwirtschaft diskutiert und danach viel über sustainable finance.
Kann man im neuesten IPCC-Bericht einen Einfluss der Corona-Pandemie sehen?
Vardag: Die Pandemie hat tatsächlich zu einem globalen Rückgang der Emissionen um 5,4% geführt. Allerdings sind direkt im nächsten Jahr, also 2021, wieder auf das Vorjahresniveau gestiegen. Die Coronapandemie hat aber auf jeden Fall gezeigt, wie viel so eine drastische Veränderung im Mobilitätsverhalten und Industrieproduktion ausmacht. Die gute Nachricht ist also, dass eine Änderung unseres Verhaltens als Menschen tatsächlich Auswirkungen hat, obwohl 5,4% nicht viel ist. Das wurde im IPCC-Report konkret aber nicht diskutiert.
Kann man vom ersten zum neuesten IPCC-Report eine Entwicklung feststellen bezüglich der Themenschwerpunkte oder dem Umgang mit dem Report in der Öffentlichkeit?
Jungmann: Die Themen haben sich insbesondere mit Blick auf die Klimawandelfolgen verändert, weil der Stand der Forschung beispielsweise im Bereich Gesundheit und Klimawandel enorm zugenommen hat. Außerdem werden jeden Tag neue wissenschaftliche Artikel publiziert, die neue Erkenntnisse über die weitreichenden Folgen des Klimawandels und Zusammenhängen mit anderen Phänomenen wie Globalisierung offenlegen zum Beispiel in Bereichen wie Migration und eben Gesundheit. Der Klimawandel ist ein Faktor in der Gleichung, der immer wichtiger wird, bei dem wir auch immer weniger Ungewissheit haben darüber, dass er einen Beitrag leistet und welchen Beitrag. Entsprechend sieht man auf jeden Fall einen Veränderung in der Geschichte der IPCC-Berichte, weil es immer der aktuellen Stand der Wissenschaft abgebildet wird. Worin man auch aus meiner Sicht auch eine Veränderung sieht, ist die Anzahl an Wissenschaftler:innen, die ganz klar sagen, dass es einen Klimawandel gibt und der menschengemacht ist. Mittlerweile liegt der Prozentsatz bei 99%, wohin gegen man vor ein paar Jahren noch von 97% davor von 95% gesprochen hat.
Vardag: Von naturwissenschaftlicher Seite kann ich ergänzen, dass seit dem ersten Bericht, der 1990 erschienen ist, klar ist, dass sich das Klima durch den Menschen erwärmt. Vom Bericht zu Bericht hat es aber natürlich schon Verfeinerung gegeben. Seit dem fünften Sachstandsbericht haben sich die Hinweise auf den menschlichen Einfluss von Hitzewellen, starken Niederschlägen, Extremwetterereignissen verstärkt. Außerdem hat sich die Unsicherheitsspanne bei der Klimasensitivität, also der Temperaturanstieg der bei einer Verdopplung der CO2 Emissionen zu erwarten ist, verringert. Das grundsätzliche Bild hat sich seit 1990 kaum verändert.
„Der IPCC sagt nicht ‚Es muss gehandelt werden“ sondern „Es muss gehandelt werden, wenn das 1.5 ° C Ziel erreicht werden will‚„
Welche Relevanz hat der IPCC-Bericht für die Politik? Sie haben schon die COP-Konferenzen angesprochen, wo der IPCC die Diskussionsgrundlage bildet. Gibt es weitere konkrete Auswirkungen auf politischer Ebene, in Deutschland und auch auf internationaler Ebene, nach dem Erscheinen eines IPCC-Berichts?
Jungmann: Es hat vor allem zwei große Auswirkung: Zum Einen gibt es viel Aufmerksamkeit für das Thema, insbesondere wenn es die Medien aufgreifen. Wie stark die politische Agenda zum aktuellen Zeitpunkt beeinflusst wird, hängt dann von verschiedenen Faktoren ab, beispielsweise aktuelle Mehrheiten oder andere gesellschaftlich relevante konkurrierende Themen. Neben der COP, die der Höhepunkt der Klimaverhandlungen ist, gibt es auch auf nationaler Ebene Verhandlungen, die den IPCC-Bericht als Grundlage nehmen. Zum Anderen wird in nationalen Strategien zu Anpassungsmaßnahmen ganz konkret Bezug genommen. Des Weiteren setzt der IPCC in vielerlei Hinsicht den internationalen Standard, an dem sich Staaten orientieren und dann auch subnationale Organisationen und letztlich auch Städte und Unternehmen und so weiter. Aber der IPCC-Bericht ist nicht rechtlich bindend. Also es ist nicht so, dass ein neuer IPCC rauskommt und das unmittelbar die Welt verändert, weil alle darauf reagieren, sondern es sind eher indirekte Einflussfaktoren, die aber unglaublich wichtig sind.
Inwiefern hat denn andersherum die Politik Einfluss auf den Bericht? Beispielsweise gibt es ja die Regelung, dass die Länder den Wortlaut anpassen können und das daraufhin gearbeitet wird, dass am Ende alle Ländern den Bericht unterschreiben. Woher kommt diese Regelung und führt sie dazu, dass der IPCC-Report von politischer Seite beeinflusst wird?
Vardag: Der Anstoß zur Gründung des Weltklimarats kam von politischer Seite und die executive summary wird auch heute noch von verschiedenen Ländern abgenommen. Dabei wird auch oft hart um den genauen Wortlaut diskutiert, aber der Kern der Aussagen kann nicht verändert werden. Es obliegt allein den Autor:innen zu entscheiden, ob sie die Änderungsvorschläge der Politik einarbeiten. Das Building ist somit zwar politisch aber die Forschungsergebnisse werden nie geändert.
Jungmann: Dieses Argument der politischen Einflussnahme kommt ja daher, dass es intergovernmental panel und nicht international panel heißt. Aber das bezieht sich auf die Gründung und auf das freie Mandat, das Regierungen dem IPCC gegeben haben. Bei dem executive summary geht es vielmehr um die Verabschiedung durch die Staatengemeinschaft. Die Idee dahinter ist, dass der impact durch die Unterschrift der Staaten deutlich steigt, da nicht nur die Wissenschaftler:innen sondern auch die Vertreter:innen der Länder diesen Stand anerkennen.
Sie haben klar betont, dass es eine klare Trennung der Wissenschaft und des politisches Prozesses gibt. Würden Sie dennoch sagen, dass man anhand des IPCCs eine Trendwende innerhalb der Wissenschaft sieht weg von einer Abkopplung von sozialen und politischen Umständen hin zu einem Verständnis das Wissenschaft politisch ist? Hin zu „es muss gehandelt werden“?
Vardag: Zunächst mal sagt der IPCC nicht „Es muss gehandelt werden“ sondern „Es muss gehandelt werden, wenn das 1.5 ° C Ziel erreicht werden will“. Es ist also eine Faktendarstellung. Das Leitbild des IPCC sagt, dass er politikrelevant aber niemals politikpräskriptiv sein soll. Er gibt somit keine Empfehlungen sondern klärt nur, inklusive Fehlerabschätzung, darüber auf was der Stand der Forschung ist. Bei den Personen allerdings, den Wissenschaftler:innen, die diesen Bericht ganz sachlich anfertigen, löst das bestimmt eine Betroffenheit aus. Auch ich kenne in meinem Umfeld immer mehr Wissenschaftler:innen, die sich in ihrer Freizeit politisch einsetzen.
Vielleicht kann man es dann als „Wissenschaft ohne Politik, aber keine unpolitischen Wissenschaftler:innen“ zusammenfassen?
Jungmann: Es geht darum, politisch relevant zu sein, es geht nicht darum, Politik zu machen. Dafür hat die Wissenschaft kein Mandat. Der IPCC kommuniziert die Erkenntnisse, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen und dafür muss im Blick auf Treibhausgasemissionen das und das passieren. In der Gleichung der Politikerinnen und Politiker stecken aber noch viel mehr Faktoren als nur die Treibhausemissionen. Dies wiederum bedingt auch die Frustrationen in der Gesellschaft Wenn man sich nur die wissenschaftlichen Fakten anschaut, dann ist ganz klar, was gemacht werden muss. Aber in der Politik werden überdies hinaus auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren eingerechnet, die den Politiker:innen ebenfalls kommuniziert werden.
Nun nochmal zurück zum wissenschaftlichen Inhalt des IPCCs. Was ist denn die konkrete Aussage vom IPCC-Report zum 1,5 ° C Ziel. Frau Vardag, Sie hatten ja eben schon angesprochen, dass in den nächsten drei Jahren die Emissionen dafür stark sinken müssen. Gibt der Report eine Einschätzung dazu, wie realistisch das ist?
Vardag: Im Prinzip rechnet der IPCC mit Wahrscheinlichkeiten und Budgets. Im IPCC steht beispielsweise: wenn wir das 1,5°C Ziel mit 66%er Wahrscheinlichkeit erreichen möchten, haben wir seit Anfang 2020 noch ein Budget von 400 Gigatonnen CO2 zur Verfügung. Zum Vergleich: 2019 Hat die Menschheit 43 Gigatonnen verursacht, die Emissionen sind weiterhin steigend. Eine Ausnahme stellte nur das Covid-19 geprägte Jahr 2021 dar. Da kann sich natürlich jeder ausrechnen, dass wir momentan nicht auf dem Weg dahin sind, dieses 1.5°C Ziel zu erreichen. Antonio Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, kann wiederum eine politische Einschätzung geben und er sagt klar, dass wir nicht auf dem Weg dahin sind, das 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Wir sind gerade eher auf dem Weg über 3 Grad zu erreichen.
Gibt es denn dennoch gute Neuigkeiten im IPCC-Bericht, ein bisschen Optimismus?
Vardag: Nicht um optimistisch zu sein, nicht um die Menschheit zu motivieren. Wenn man zwischen den Zeilen liest, gibt es aber tatsächlich gute Nachrichten, beispielsweise, dass sich die Emissionszunahme verlangsamt. Das heißt aber leider nicht, dass die Emission als solches abnehmen, das Coronajahr ausgenommen.
Jungmann: Ich glaube, der größte Optimismus kommt nicht aus dem IPCC-Report oder den UN-Prozessen, sondern aus dem, was sich in den letzten Jahren parallel dazu entwickelt hat. Es gibt immer mehr Aufmerksamkeit für das Thema und immer mehr Druck auf die Politik und auch auf die Wirtschaft.
Analysiert denn der Bericht auch, was bestimmte Unternehmen oder bestimmte Regierungen schon umgesetzt haben und wie effektiv das war oder ist das kein Bestandteil des Berichts?
Jungmann: Das passiert parallel. Staaten müssen im Rahmen des UNFCCC-Prozesses darüber Bericht erstatten, welche Maßnahmen sie bereits unternommen haben, was ihre Ziele sind und das regelmäßig neu definieren. Bei Unternehmen gibt es noch keinen konsolidierten Mechanismus, jedoch einige Systeme, die aus privaten oder zivilgesellschaftlichen Initiativen entstanden sind. Umso wichtiger ist es auch, dass man nicht nur von der Inventarisierung ausgeht, sondern dass man auch beispielsweise Konzentrationen misst und wie sie sich verteilen beispielsweise mit Satelliten Technologien.
Gibt es eigentlich von politischer oder anderer Seite begründete Kritik am IPCC-Report?
Vardag: Es gibt Kritiker:innen, die dem IPCC vorwerfen, Fakten selektiv zu vermitteln. Aber wie wir es bereits angesprochen haben, weise ich das vehement zurück. Der IPCC basiert auf peer reviewed Literatur und geht ganz transparent mit Unsicherheiten und Unklarheiten um. Die Wissenschaftler:innen werden nicht bezahlt und arbeiten nach besten Wissen und Gewissen. Die Tatsache, dass 99% der Wissenschaftler:innen an den menschengemachten Klimawandel glauben und die meisten Wissencschaftler:innen diesem Report stehen, zeigt, dass es keine begründete Kritik gibt.
Jungmann: Ich denke, es ist wichtig hervorzuheben, dass eine 99% Zustimmung wirklich außergewöhnlich ist. Wissenschaft lebt von Kontroversen und dass man sich gegenseitig herausfordert. In keinem anderen Wissenschaftsbereich gibt es eine solch breite Zustimmung. Und vor diesem Hintergrund sind dann auch die Stimmen einzuordnen, die dennoch das Ganze in Frage stellen, denn sie haben dafür einfach keine Basis.
Inwiefern passen dann allerdings diese Entwicklungen zusammen, dass es zwar innerhalb der Wissenschaft immer stärkere Zustimmung gibt und die Wissenschaftler:innen sich selbst mehr der Kommunikation verschreiben, auf der anderen Seite aber immer mehr Menschen die Klimakrise zu leugnen beschließen?
Vardag: Die Implikation des IPCCs ist, dass wir eine systemische Veränderungen benötigen, um die selbstgesteckten Ziele zu erreichen, wir müssen in allen Sektoren CO2 sofort und drastisch reduzieren. Das bedingt eine Abkehr vom business as usual, wir können nicht mehr so weitermachen, wie wir das jetzt tun. Das ist unangenehm und das bedingt eine natürliche Abwehrhaltung. Etwas vergleichbares haben wir auch bei der Corona Pandemie gesehen: „Das darf nicht stimmen, das kann nicht stimmen.“
Jungmann: Das ist eine hoch relevante Forschungsfrage, zu der es noch keine Antwort gibt. Aber es gibt unterschiedliche Hypothesen und Ansätze. Parallel zu dieser unbequemen Wahrheit, die erstmal den Reflex auslöst, das nicht zu akzeptieren und einfach so weiter zu leben bis zum point of no return, gibt es Veränderungen in unserem Mediensystem, insbesondere was soziale Medien angeht, was die Verbreitung von Informationen durch einzelne Akteure betrifft und was es bedeutet, unkonventionelle Dinge zu sagen und dafür Zuhörerschaft zu erhalten. Das war vor einigen Jahren in dieser Form nicht möglich. Alles auf soziale Medien zu schieben, wäre aber wiederum auch zu kurz gegriffen. Dass sich etwas stark verändert innerhalb unseres Mediensystems aber auch in unserer Gesellschaft ist jedoch nicht mehr von der Hand zu weisen.
„(…) wir müssen doch jetzt handeln, und wir vertun eine Chance, die wir nicht so lange haben“
Wissen Sie denn, ob diese Klimaleugnerschaft ein westeuropäisches Phänomen ist und ob es beispielsweise in Ländern, die direkter und drastischer von der Klimakrise betroffen sind, einfach nicht gibt?
Jungmann: Es gibt meines Wissens nach keinen direkten Zusammenhang zwischen dem level of exposure, also der Art der Betroffenheit oder der Vulnerabilität und der politischen Performanz, also wie gut oder wie effektiv die Politik zum Klimaschutz oder der Klimaanpassung umgesetzt wird. Klimaleugnung findet man auch über Westeuropa hinaus, aber für genaueres benötigt es noch mehr Forschung, da kann ich zu diesem Zeitpunkt keine fundierte Aussage zu treffen.
Eine letzte Frage: Sie beide beschäftigen sich ja hauptberuflich mit der menschengemachten Klimakrise und den Auswirkungen. Wie gehen Sie damit um, jeden Tag mit solch schlechten Nachrichten und Zukunftsaussichten zu tun haben?
Vardag: Auch als Wissenschaftlerin denkt man nicht jeden Tag darüber nach, welches Leid auf uns zukommt, sondern man arbeitet an seiner eigenen Forschungsfrage. Es passiert aber auch regelmäßig, vor allem wenn man die eigene Arbeit kommuniziert, dass man erklärt, was denn die Folgen des Klimawandels sind, und das sind immer wieder Momente, in denen man sich bewusst macht, wie einschneidend das sein wird. Das wird mich direkt nochmal weniger betreffen als meine Kinder, mein jüngstes Kind wird das Jahr 2100 noch miterleben und das sind gerade die Projektionen, die im IPCC im Fokus sind. Und wir erleben jetzt schon enorme Auswirkungen, aber die, die bis 2100 stattfinden werden, sind einfach unvorstellbar und werden ein Leben, so wie wir es jetzt kennen, auf der Erde nicht mehr möglich machen. Das macht mich traurig und zum Teil auch wütend, weil ich denke, wir müssen doch jetzt handeln, und wir haben es jetzt in der Hand und wir vertun gerade eine Chance, die wir nicht so lange haben. Das Möglichkeitenfenster zu handeln, das wird sich irgendwann schließen, und deswegen versuche ich, Gelegenheiten, bei denen ich meine Forschung kommunizieren kann, anzunehmen und so meinen Beitrag dazu zu leisten, dass diese Diskussion nicht abebbt. Und das mache ich dann auch als Privatperson, als Mutter, als Teil der Gesellschaft und nicht ausschließlich als Wissenschaftlerin.
Jungmann: Insbesondere zu Beginn meiner Promotion, als ich mich sehr stark in die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels einarbeiten musste, hatte ich sehr damit zu kämpfen. Denn da wurden mir viele Dinge bewusst, die so nicht über die Medien kommuniziert werden, eben wie umfangreich die Auswirkungen sein werden. Ich glaube auf der einen Seite wissen wir alle, dass sehr viel auf uns zukommen wird und dass es gravierende Folgen hat und dass die Welt nicht mehr so sein wird wie sie mal war. Wir haben trotzdem noch in der Hand, das Allerschlimmste zu verhindern, und das sollten wir tun. Im Laufe der Zeit entwickelt man eine gewisse Resilienz, man begreift die Relevanz und Dringlichkeit zwar weiterhin, aber man versteht ebenso, dass man auch im Moment leben muss. Das Leben hat keinen großen Mehrwert mehr, wenn man sich kontinuierlich nur um die Zukunft sorgt. Das ist leichter gesagt als getan, in der Praxis gelingt uns das auch nicht immer. Aber wir müssen Nachhaltigkeit in alle Bereiche integrieren, in unser tägliches Handeln, in unser Wirtschaft, unsere Politik, in unsere Kommunikationen und unsere Kultur und eben auch unsere eigene Energie nachhaltig einsetzen. Wenn wir unsere gesamte Energie darauf verwenden, uns Sorgen zu machen und dadurch paralysiert sind, können wir uns nicht dafür einsetzen, tatsächlich einen positiven Beitrag zu leisten. Es gibt mir auch immer wieder Mut, Menschen jeden Alters zu sehen, die sich sehr stark engagieren und Nachhaltigkeit vorleben.
Vardag: Wir haben da auch das große Privileg mit unserer Forschung einen Beitrag zu leisten, diese knowledge action gap zumindest ein Stück weit zu schließen, in dem wir neue Daten produzieren, die vielleicht die Gesellschaft mitnehmen und anders motivieren oder in dem Forschung gemacht werden, welche Daten überhaupt notwendig sind oder was es bedarf, damit Klimamitigation effizient, aber auch motivierend und inklusiv gestaltet werden kann. Die Betroffenheit hat man trotzdem, aber man fühlt sich nicht ganz ohnmächtig, denn wir sind an der Gestaltung der Lösungen beteiligt. Ich glaube, das tröstet, zumindest ein Stück weit.
Das Gespräch führten Zarah Janda und Pauline Seubert.
Korrektur (27. Mai 2022): Die Affiliation von Matthias Jungmann war in einer früheren Version inkorrekt angegeben. Sie wurde nun geändert.
Zarah Janda studiert Molecular and Cellular Biology und ist seit dem Wintersemester 2020/21 beim ruprecht dabei. Am liebsten schreibt sie über Wissenschaft im Alltag.