Wie findet man im Jahr 2022 die große Liebe? Nach dem Seminar von dem süßen Typ aus der ersten Reihe auf einen Kaffee eingeladen werden oder bei einer WG-Party stundenlang quatschen, bis man schließlich zusammen nach Hause geht? In Zeiten von Corona und Online-Uni mussten wir uns anders zu helfen wissen. Schließlich macht der Wunsch nach zwischenmenschlichen Beziehungen und Nähe auch in Pandemiezeiten keine Pause. Nutzen seit der Pandemie mehr Menschen Online-Dating und wie geht es Studierenden in Bezug auf Tinder und Co? Um diese Frage zu beantworten, komme ich mit verschiedenen Studis ins Gespräch.
Viele sagen, sie nutzen keine Dating-Portale, da diese zu oberflächlich und die Leute dort hauptsächlich auf schnelle Nummern aus seien. „Ich finde es viel schöner, Menschen im Real Life kennenzulernen“, sagt Sophia, die mit ihrer Freundin auf der Wiese am Marstallhof sitzt. „Um ehrlich zu sein, ich finde Tinder auch ein bisschen creepy, du weißt ja auch nicht, wer deine Bilder sieht“, fügt diese hinzu. „Man kann online auch voll faken, wie man rüberkommt und wenn man die Leute dann in echt sieht, ist das vielleicht charakterlich ein ganz anderer Mensch, als man erwartet hätte.“
Trotzdem nutzen sieben von zehn Menschen Dating-Apps wie Tinder, Lovoo oder Bumble. Insgesamt flirtet jede und jeder Dritte im Netz. Laut dem Bitkom ev. sind die meisten Menschen in Deutschland im Jahr 2022, die Online-Dating-Dienste nutzen, zwischen 30 und 49 Jahre alt. 34 Prozent der Nutzer:innen sind zwischen 16 und 29 Jahre alt. Wie erwartet scheint online-Dating also auch bei jungen Menschen sehr beliebt zu sein. Dazu passen die vielen positive Stimmen bei meiner Straßenumfrage. „So eine Dating-App ist echt perfekt, um sich mal auszuprobieren. Auch für Leute, die vielleicht etwas schüchtern sind“, wird mir erzählt. Einige erzählen sogar, sie hätten ihre:n Partner:in online kennengelernt.
Auch Corona spielt oft eine Rolle. „Während dem Lockdown habe ich mir aus Langeweile Tinder runtergeladen, ich glaube, das hat sich seitdem auch geändert. Davor ging es hauptsächlich ums F*cken, aber jetzt ist das schon sehr weit verbreitet, habe ich das Gefühl“, sagt der 20-jährige Jonas. Weltweit sind die Nutzer:innenzahlen seit der Pandemie auf jeden Fall gestiegen. Der Tinder-CEO selbst bestätigt die Mutmaßungen: Durch Corona seien nicht nur die Nutzerzahlen gestiegen – das Engagement der bereits bestehenden Nutzer hätte ebenfalls deutlich zugenommen.
„Ich bin froh, dass man jetzt wieder im echten Leben Menschen kennenlernen kann!“, findet Jurastudent Simon. Er erzählt mir, dass viele Tinder-Klischees tatsächlich stimmen. Diese Erfahrung habe ich leider auch schon machen müssen. Zwischen Männern mit unterirdischen Anmachsprüchen und Belästigung beim ersten Date war schon fast alles dabei. Außerdem zielt das System von Dating Apps, ähnlich wie Social Media, auf das Belohnungszentrum des Gehirns ab. Dieses schüttet Dopamin aus und lässt uns Glücksgefühle spüren. Das „Swipen“ bei Tinder und Bumble funktioniert wie eine Slot Machine und kann nachweislich süchtig machen.
Viele Menschen aus der LGBTQ-Community haben nochmal eine andere Perspektive auf Dating-Apps. Leila ist lesbisch und ist der Meinung: „Dating ist viel einfacher, seit diese Apps so weit verbreitet sind. In einer Bar oder auf dem Campus weiß ich ja nicht immer, ob eine Person, die ich gut finde auch gay ist, dann traue ich mich meistens gar nicht, sie anzusprechen. Online ist das dann klar und dann kann man sich voll entspannen.“ Vielleicht zeigt das aber auch, dass uns in Heidelberg ein Ort fehlt, an dem sich queere Menschen mit ihrer Sexualität sicher fühlen können. „In Berlin hat man an jeder Ecke eine Gay-Bar, hier gibt es sowas gar nicht. Deswegen nutzt man eben Grindr, um Leute zu treffen“, findet auch Mert, ein Physikstudent.
„Unabhängig davon, wie man zu Dating-Seiten und Co steht, ist es gut, dass wir alle endlich wieder vor die Tür können“, sagt Meltem. Auch alle um sie herum am Tisch im Marstallhof stimmen ihr zu. „Wäre eigentlich voll schön, wenn wir uns wieder mehr trauen würden, einfach mal eine Person anzusprechen, wenn sie uns gefällt!“, fügt jemand hinzu. „Ich glaube das freut die meisten, wenn sie ein ehrliches, respektvolles Kompliment bekommen.“
Das denke ich auch. Wozu brauchen wir denn ‚Bibcrush‘, wenn man auch ein Zettelchen zustecken, nett lächeln oder einfach nur hallo sagen kann?
...studiert Politikwissenschaften und Literaturwissenschaft und schreibt seit dem Wintersemester 2021/22 für den ruprecht. Nach langer Zeit in der Leitung widmet sie sich nun hauptsächlich Meinung, investigativen Recherchen und gesellschaftskritischen Themen.