Nach über elf Jahren Bürgerkrieg, ist Jemen stark gezeichnet vom Einwirken brutaler Gewalt und schwerer Geschütze. Die Auseinandersetzung zwischen der Regierung und den Huthi-Rebellen ist ein nicht endender Konflikt, in dem auch militärische Ableger des Al-Qaida und des Islamischen Staates sowie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Emirate mitwirken. Seither war die Anti-Huthi-Regierung sehr instabil. Im April 2022 trat Präsident Hadi von seiner Position zurück und betraute den Präsidialrat mit seinen Aufgaben. Wie sich die politische Situation weiterentwickeln wird, ist ungewiss. Die durch den Ramadan ausgerufene Waffenruhe ist Hoffnungsträger für Organisationen wie „Hayati Karamati“.
Serban Mihnea Precup ist Masterstudent in Heidelberg und seit Februar dieses Jahres freiwilliger Helfer bei Hayati Karamati, was übersetzt „Mein Leben, meine Würde“ bedeutet. Die gemeinnützige Organisation ist noch im Aufbau und besteht aus 15 festen Mitgliedern sowie freiwilligen Helfer:innen. Der Fokus der Organisation liegt auf der Bildungsförderung jemenitischer Kinder, um ihnen Zukunftsperspektiven außerhalb extremistischer Organisationen zu ermöglichen. Mittlerweile fördert Hayati Karamati zehn Schulen, 300 Lehrer:innen und 5.500 Schüler:innen in einer Provinz 90 Kilometer südlich von der Hauptstadt Sanaa. Durch Geldspenden wird der Wiederaufbau von Schulgebäuden und die Wiederaufnahme des Schulunterrichts ermöglicht. Den Schüler:innen wird Essen, Wasser und Schulausrüstung zur Verfügung gestellt. Das Lehrpersonal erhält ein sicheres Einkommen.
Etwa 22 Millionen Menschen leiden im Jemen Hunger. So, sagt Precup, gelangen die Kinder zu extremistischen Organisationen, die ihr Leid zu ihren Gunsten ausnutzen: Sie versprechen den Kindern Nahrung und erwarten im Gegenzug ihren militärischen Einsatz. Hayati Karamati möchte diesen Zyklus aufbrechen und dem Krieg entgegenwirken, indem sie Jemens Kindern eine Perspektive bieten. Bildung schützt und Bildung hilft, so Precup.
Die Vereinten Nationen sprechen von der größten humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Der Ukraine-Russland-Krieg verschärft die Krisen-Situation im Jemen zusätzlich. Durch den Verlust des wichtigsten Getreidelieferanten, der Ukraine, ist das Entwicklungsland Hungersnöten umso mehr ausgesetzt.
„Es schmerzt, dass der Jemen so zurückgelassen wird“
Said AlDailami, Deutscher mit Migrationshintergrund aus dem Jemen, ist Gründer von Hayati Karamati. Er weist besonders auf die fehlende internationale Hilfeleistung hin: „Der Jemenkrieg war schon vor dem Ukraine-Russland-Krieg unter dem Radar der Weltöffentlichkeit. Es wird bewusst kaum über den Krieg berichtet, weil die Saudis und Emiraties kein Interesse daran haben. Die Berichterstattung ist also sehr schwierig.“ Mit Schmerzen beobachtet er den unterschiedlichen Umgang mit Kriegen durch den politischen Westen.
Seiner Meinung nach erfährt der Jemen schon sehr lang viel zu wenig Aufmerksamkeit und nicht die notwendige Unterstützung, die er dringend braucht. „Man kann Kriege nicht gegeneinander aufwiegen, das ist mir klar, dennoch schmerzt es, dass der Jemen so zurückgelassen wird, während die Ukraine so viel Hilfe erfährt.“
Nach dem Rücktritt von Präsident Hadi glaubt er nicht, dass sich die politische Lage durch die Regierung des Präsidialrates verbessern wird: „Das wird die Situation nicht deeskalieren, im Gegenteil. Die sechs Mitglieder des Präsidialrats haben alle eigene Interessen und ihre Finger in diesem Krieg im Spiel. Sie werden daher auch nicht von der Bevölkerung unterstützt und haben keinen schlichtenden Effekt auf den Kriegsverlauf.“
Mit dem Ramadan kam die Erleichterung: eine bis jetzt andauernde Waffenruhe. Damit Hilfsorganisationen besser ansetzen können hoffen viele, dass diese auch bestehen bleibt. Der Gründer des Vereins geht allerdings nicht davon aus, dass der Waffenstillstand von Dauer sein wird. Keine Seite habe Interesse daran, den Krieg langfristig zu beenden. Seine Organisation habe aufgrund des Ramadans keine große Veränderung verspürt. Die Helfer:innen vor Ort seien entspannter gewesen, da man nicht mit Luftangriffen rechnen musste. Der Schulbetrieb wurde wie gewöhnlich wegen des Ramadans für den Monat eingestellt, die Zahlungen an die Lehrer:innen vor Ort gingen weiter.
Trotz aller Hindernisse bleibt Hayati Karamati optimistisch und sieht Fortschritte in seinem Wirken – sowohl für das Leben als auch für die Würde der jemenitischen Familien und ihrer Kinder.