„Man lernt Obst und Gemüse kennen, das man davor noch nie gesehen hat“, erzählt Lowik Hardeel, während er einen Bund dunkelbrauner Bananen in seine Tüten packt. Vor dem 20-jährigen stapeln sich Kisten voller Obst und Gemüse: Eine Tüte Spinat, ein Dutzend Chilischoten und eine Schachtel Himbeeren – alles ist dabei. „Das ist eine typische Ausbeute“, resümiert er. Lowik ist als Foodsaver unterwegs. Er ist damit einer von 120000 Foodsavern, die sich deutschlandweit für die Rettung von Lebensmitteln einsetzen. Sie organisieren ihre sogenannten Rettungseinsätze über die Plattform foodsharing.de. Das Prinzip ist relativ simpel: Registrierte Betriebe stellen kostenlos Lebensmittel zur Abholung bereit, die sonst in der Tonne landen würden. Foodsaver holen die Lebensmittel ab und verwerten sie weiter. Wer Foodsaver werden will, muss zuerst ein Onlinequiz absolvieren. Nach zwei bis drei Probeabholungen mit erfahreneren Foodsavern können dann eigenständig Lebensmittel gerettet werden.
Bedarf für solche Rettungsaktionen gibt es ausreichend. Laut einer Studie einer Umweltorganisation landen in Deutschland jährlich rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Genau dieser „Wegwerfkultur von Lebensmitteln“ will Foodsharing begegnen, wie der gemeinnützige Verein auf seiner Website schreibt. Für Lowik spielen neben ideellen auch finanzielle Gründe eine Rolle. „Das Einzige, was ich letzten Monat eingekauft habe, war Bier“, erklärt der Politikstudent schmunzelnd. Für ihn sei Foodsharing zur Normalität geworden, Einkaufen zur Ausnahme.
Es bietet eine legale Alternative zum Containern und sei viel entspannter, findet Lowik: „Wir gehen in den Laden und zeigen unseren Foodsaver-Ausweis. Die Besitzer wissen immer Bescheid und haben die Lebensmittel meist schon vorbereitet.“ Heute holt Lowik Lebensmittel bei dem Bio-Supermarkt Fair & Quer in Handschuhsheim. Der Supermarkt arbeitet schon länger mit foodsharing. de zusammen. „Es fühlt sich einfach gut an, fast keine Lebensmittel wegschmeißen zu müssen“, erklärt Antje Seyler, die Geschäftsführerin der Handschuhsheimer Filiale, am Telefon. Geld verdient der Supermarkt damit nicht. Nachdem Lowik die Lebensmittel für den eigenen Bedarf aussortiert hat, bringt er den Rest in die Fairteiler. Das sind Verteilungsstationen, an denen jeder übrig gebliebene Lebensmittel mitnehmen darf. „Es ist einfach schön zu sehen, dass hier die Lebensmittel immer wegkommen“, sagt Lowik, während er eine Handvoll Pfirsiche in das Regal legt. Mit dem wachsenden Bewusstsein für einen nachhaltigen Lebensstil wachsen auch die Alternativen zum klassischen Einkaufen im Supermarkt.
„Wir müssen gar nichts mehr wegschütten“
Eine davon ist die App Too Good To Go. Gastronomiebetriebe und Geschäfte bieten hier ihre Produkte zwar nicht kostenlos, aber zu einem stark vergünstigten Preis an. Das Heidelberger Start-up Heerlijk verkauft sein eigens gebrautes Bier über Too Good To Go. „Als wir mit der Produktion begonnen haben, hatten wir zunächst Probleme mit dem Abfüllgerät“, begründet Oliver Matlok das anfänglich überschüssige Bier. Oliver ist einer der jungen Geschäftsführer, die der ruprecht im kleinen Laden der Firma, in der Dossenheimer Landstraße besucht hat. Die Gründer fanden in Too Good To Go schnell die passende Lösung für ihr Problem. Denn auch jetzt kommt es noch vor, dass die Füllmengen beim Abfüllen nicht immer passend sind. Auch Rohstoffschwankungen oder eine falsche Etikettierung können Gründe dafür sein, dass ein Bier nicht in den regulären Verkauf kann. Seit November letzten Jahres bietet das Unternehmen daher in der App ihre „Magic Bags“ an, in welcher sich je fünf bis sechs Flaschen des eigenen Bieres befinden. Für die Selbstabholer:innen ist das ein guter Deal: Statt 13,50 Euro zahlen sie nur noch 4,50 Euro für das Bier.
Für Heerlijk wiederum lohnt sich die Kooperation aus dem finanziellen Aspekt nicht, zumal Too Good To Go von dem eingenommenen Umsatz auch nochmal einen Anteil erhält. Dennoch halten die Gründer an der App fest, auch weil es eine gute Werbung für ihr Bier ist: „Kund:innen, die uns vorher nicht kannten, kommen nun in unseren Laden“, beschreibt Oliver einen der Vorteile der App. Angenommen wird das Angebot allemal: Bisher wurden 530 Überraschungstüten verkauft. Zu dem ursprünglichen Zweck der App, Lebensmittel zu retten, trägt das Start-up daher seinen Anteil bei, wie Oliver abschließend noch einmal unterstreicht, als er auf die Frage antwortet, wie viel denn noch weggeschüttet werden muss: „Gar nichts.“
Bisher sind Plattformen wie foodsharing.de oder Too Good To Go jedoch noch mehr Nische als Mainstream. Aber sie zeigen eindrucksvoll, dass es Alternativen zum klassischen Einkaufen gibt, denn qualitativ hochwertige Lebensmittel gibt es hier entweder deutlich günstiger oder sogar kostenlos.
Joshua Sprenger studiert Politikwissenschaft und öffentliches Recht und schreibt seit dem Sommersemester 2021 für den ruprecht. Er interessiert sich vor allem für Politik, die unterschiedlichsten Sport-Themen und alles was unsere Gesellschaft gerade so umtreibt. Seit dem Wintersemester 2021/22 leitet er das Ressort Weltweit.
Marcel Impertro studiert Anglistik und Germanistik im Master und ist seit dem Sommersemester 2022 beim ruprecht. Am liebsten schreibt er über wissenschaftliche Themen.