Jedes Jahr leidet jede:r vierte Deutsche an einer psychischen Erkrankung – das zeigen Untersuchungen der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung aus dem Jahr 2021. Aber nur jede:r Zehnte geht auch wirklich zur Therapie. Grund dafür kann die Angst vor Nachteilen beim Abschluss von Versicherungen oder einer späteren Verbeamtung sein. Letzteres Problem betrifft vor allem Lehramtsund Jurastudierende. Aber sind diese Sorgen tatsächlich berechtigt? Der ruprecht hat mit zwei Heidelberger Psychotherapeutinnen gesprochen.
Kristin Grupp kennt das Problem. Sie ist Inhaberin einer psychotherapeutischen Praxis in Neuenheim. Vor allem Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen würden Menschen mit psychotherapeutischer Vorgeschichte aus Angst vor Frühberentung oft ablehnen. Auch die taz berichtet, dass häufig Risikozuschläge von bis zu 30 Prozent bei Privatkassen gefordert würden. Deshalb rät Grupp nach einem Erstgespräch dazu, besagte Versicherungen sicherheitshalber bereits vor Antritt einer Therapie abzuschließen. Zudem solle man sich bei Verbraucherschutzzentralen darüber informieren, was die Versicherung im Ernstfall wirklich zahle. Denn selbst wenn man eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen habe, zahle diese bei psychischen Krankheiten nur sehr ungern.
Aber nicht nur Versicherungen haken bei der psychischen Gesundheit nach. Auch der Staat macht sie zur Voraussetzung einer Einstellung. Das sorgt für Ängste bei Studierenden. „Manche möchten ihre Behandlung selbst bezahlen“, erzählt Grupp. „So lässt sie sich leichter verbergen, als wenn sie mit der Krankenkasse abgerechnet wird.“ Grupp sieht darin ein großes Problem. „Auch der Arbeitgeber sollte doch daran interessiert sein, dass sich eine Person vorneweg stabilisiert“, sagt sie. „Wurde ein Lehrer während seiner eigenen Jugend Opfer von Mobbing oder Missbrauch, hat diese Erlebnisse aber nie aufgearbeitet, könnte er gegenüber Schülerinnen und Schülern später selbst einmal aggressiv werden.“
Aber ist das in der Praxis tatsächlich so?
Doch sind die Sorgen der Studierenden vor schlechteren Chancen bei einer Verbeamtung überhaupt berechtigt? Einem Statement des Innenministeriums Baden-Württemberg zufolge kann eine Eignung nur verneint werden, wenn mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintreten wird“. Einen pauschalen Ausschluss von Bewerberinnen und Bewerbern, die einmal eine Therapie in Anspruch genommen haben, bestreitet das Ministerium. Im Rahmen einer ärztlichen Pflichtuntersuchung werde zwischen verschiedenen Arten psychischer Erkrankungen differenziert.
Aber ist das in der Praxis tatsächlich so? Grupp bestätigt, dass psychische Erkrankung nicht gleich psychische Erkrankung sei. Habe man eine punktuelle Traumatisierung erlebt, wie es bei Zeug:innen des Amoklaufs in Heidelberg der Fall sei, habe man gute Chancen auf eine Verbeamtung. Bei schweren Zwangserkrankungen könne es hingegen schwierig werden, da in diesen Fällen eine erhöhte Rückfallwahrscheinlichkeit bestehe. Nach Ansicht von Heike Bauder kommt es vor allem auf die Einschätzung des Amtsarztes an. Sie selbst hat Lehramtsstudierende bei sich in Behandlung, mit der Verbeamtung habe es aber eigentlich immer geklappt. „Auch eine Patientin, die viele Jahre unter einer Essstörung gelitten und auch einen Klinikaufenthalt in Anspruch genommen hat, wurde verbeamtet.“ Nur einer schizophrenen Patientin sei einmal die Verbeamtung verwehrt worden.
Wie sollen Studierende, die über eine Therapie nachdenken, also nun mit der Situation umgehen? „Am schlechtesten ist es, gar keine Therapie zu machen“, erklärt Bauder. „Denn wenn man sich rechtzeitig Hilfe holt, können viele schwere Verläufe verhindert werden. Bei Panikattacken können schon fünf bis zehn Sitzungen helfen.“ Wenn man sich unsicher ist, empfiehlt sie, die Psychosoziale Beratung für Studierende in Heidelberg aufzusuchen. „Oder man kann auch immer zu einem Erstgespräch bei einem Therapeuten gehen, bevor man mit einer Therapie anfängt.“
Laura Kress studiert Jura und schreibt seit dem WiSe 2020 für den ruprecht. Besonders gerne widmet sie sich Themen im Hochschulbereich oder verfasst Glossen.