„Also mein guilty pleasure ist ja, dass ich auch manchmal was aus den Charts höre.“ – Nein, Annika, du willst uns gerade einfach nur zeigen, wie edgy du bist und deine Aussage zeigt, wie gnadenlos der Begriff „guilty pleasure“ popkulturalisiert wurde.
Wir wenden ihn auf alltägliche Kleinstigkeiten an, instrumentalisieren ihn, um ihn selbst als Schutzschild zu verwenden und bewirken damit, dass sich andere schlecht fühlen. „Guilty pleasure“ ist der Kampfbegriff der medialen Geschmackshierarchisierung – und das nervt.
Klar, ist ein guilty pleasure moralisch verwerflich oder eine Straftat, ist man auf jeden Fall guilty. Ganz unironisch. Wir beziehen „guilty pleasure“ im Alltag aber auf alle möglichen Konsumentscheidungen. Also, weiter eingrenzen: Dass deine H&M-Shoppingsucht die Ausbeutung von Arbeiter:innen in Bangladesch fördert, ist nicht unwahrscheinlich. Und dass das Aldi-Steak, das du jeden Tag isst, nicht die positivste Auswirkung auf die CO2-Emissionen und damit die Umwelt hat, auch.
Konsumentscheidungen haben – Überraschung – Konsequenzen. Aber müssen wir uns auch schlecht fühlen, wenn das guilty pleasure niemandem schadet? Wenn es auf der Mikroebene bleibt? Zuerst Pandemie, dann Krieg in Europa und obendrauf anhaltender Uni-Stress und Zukunftsängste. Und da hörst du gerne One Direction? Schön für dich. Dein Lieblingslied ist „Oops… I did it again“? Okay. Du schaust jeden Abend Trash-TV? Von mir aus. Du hörst Bibi Blocksberg zum Einschlafen? Alright. Solange es dir was gibt und niemandem schadet: Go ahead.
Abgesehen davon sind die Grenzen für guilty pleasures fließend. Was heute peinlich ist, ist morgen vielleicht edgy und andersum. Je nachdem, wo die Trendwelle uns hinträgt. Manchmal entsteht ein guilty pleasure auch wie ein Pop-Up und man wusste davor gar nicht, dass man sich dafür schlecht fühlen sollte.
Das habe ich gemerkt, als ich die offizielle Guilty-Pleasures-Playlist auf Spotify entdeckt habe: Seit wann ist „Mr. Brightside“ von „The Killers“ ein guilty pleasure?! Ich habe so viele Fragen.
...studiert Germanistik im Kulturvergleich und Geschichte. Sie schreibt seit 2021 für den ruprecht. Mona berichtet gerne über Kultur, die Welt und alle möglichen Diskurse. Eigentlich über alles, was die Gesellschaft gerade bewegt - oder bewegen sollte.