ruprecht: Wer bist du und was machst du in Heidelberg?
Ich bin Sofia und bin vor sieben Jahren nach Heidelberg gezogen. Ich bin in Costa Rica geboren und aufgewachsen. Zunächst musste ich das Studienkolleg machen, dann habe ich angefangen zu studieren. Heute bin ich nicht nur Studentin, sondern habe in Heidelberg zwei Vereine mitgegründet und mehrere Projekte initiiert, wie das Zena-Kollektiv, das Paradoxon und Familie Fuchs. Ich bin auch Unternehmerin, habe den Keramikofen in der Unteren Straße, und auch Musikerin, als DJ aktiv und lebe an mehreren Orten in Heidelberg. Dann bin ich in der Subkultur viel unterwegs, habe vor knapp zwei Jahren eine Netzwerkgruppe gegründet. Und ich mache auch Wochenprogramme, in denen man sehen kann, was so abgeht in Heidelberg. Ich arbeite auch als Jugendbegleiterin, bin Facilitator bei einem Projekt („reSET“ vom Youth Think Tank und Mosaik Deutschland), bei dem ich junge Erwachsene und Jugendliche dabei begleite, ein DIY-Festival selbst auf die Beine zu bringen. In der Jugendarbeit war ich viel aktiv, in der Pflege. Und als Mensch, als Freundin, als Tochter, Tante, Schwester, Co-Parent.
ruprecht: Wieso willst du in die Politik?
In Heidelberg in die Politik zu kommen, den Wunsch gibt es schon etwas länger, und zwar immer dann, wenn ich in Situationen komme, in denen ich mir denke „Das kann’s doch nicht geben“ oder „Das kann doch nicht sein, dass diese Regelungen so und so sind.“ Politisch aktiv bin ich schon seit meiner Kindheit, als ich in Costa Rica gelebt habe und mit zwölf Jahren einen Brief an den Präsidenten geschrieben habe, dass er seinen Job nicht richtig macht, weil ein Wald gerodet wurde, um Gold auszugraben! Also im Herzen war ich immer aktiv, in erster Linie als Aktivistin.
ruprecht: Du könntest dich in einer Partei engagieren, wieso willst du Oberbürgermeisterin werden?
Ich mag es nicht, in eine Schublade reingesteckt zu werden. In einer Partei zu sein würde das auf jeden Fall machen. Ich würde mich in keiner Partei so wirklich repräsentiert fühlen, bin aber froh, dass es sie gibt. Als ich nach Deutschland gezogen bin und gefragt wurde, was ich werden will, habe ich gesagt: Bürgermeisterin. Damals dachte ich aber in Costa Rica, aber ich lebe jetzt hier, ich habe hier mein Leben. Und in Heidelberg gibt es so viel zu tun! Mein Herz brennt dafür, die Stimmen von uns, die den Alltag in der Stadt gestalten, hörbar zu machen und ihre Wünsche umzusetzen.
„Weil er uns nicht repräsentiert“
ruprecht: Warum bist du unzufrieden mit der Politik von Eckart Würzner?
Ich bin jetzt genau sieben Jahre hier, also letztendlich seine komplette zweite Amtszeit, und ich fühle mich null vertreten von ihm. Oberbürgermeister:innen sind dafür da, die Gemeinde und deren Interessen zu vertreten, und wenn ich mit Menschen in meiner Umgebung spreche, in der Unteren Straße zum Beispiel, verschiedene Menschen, Studierende, oder aus anderen Bereichen: Bis heute ist mir noch kein Mensch über den Weg gelaufen der mit seiner Arbeit zufrieden ist. Genau aus dem Grund: Weil er uns nicht repräsentiert! Er ist nicht der Vertreter von uns, sondern der Vertreter von anderen, kleinen Gruppierungen, die bestimmt viele finanzielle Mittel haben. Aber reine Spekulation.
ruprecht: Welche Vision hast du für Heidelberg?
Also Heidelberg ist ja schon sehr lebhaft, sonst wäre ich ja auch gar nicht hier und sonst würden viele nicht bleiben. Aber ich kriege schon viel mit von Studierenden: Die kommen her, ziehen ihr Studium durch und wollen wieder gehen. Und ich finde das ziemlich schade und traurig. Es ist oft, weil hier eher eine Durchgangsstadt ist. Und das sieht man ja auch: Heidelberg ist ultra attraktiv für Touristen, die hier nicht jeden Tag leben. Aber ich möchte gerne was ändern. Dazu zählt: bezahlbarer Wohnraum, Fahrradstraßennetz, Freiräume, Safer spaces, kulturelle Angebote. Auch mehr Treffen zwischen Generationen. Also dass es nicht so ist: Studis bleiben unter sich, Eltern und Kinder bleiben unter sich, sondern, dass man anfängt, miteinander zu leben. Auch das Thema Nachhaltigkeit ist sehr wichtig in Heidelberg: Wir haben viele Siegel und Stempel, wir sind sehr ökologisch, aber Heidelberg hat viel mehr Schein als tatsächliche Taten dahinter, und das möchte ich ändern.
ruprecht: Viele Heidelberg:innen sind wohlhabend und zufrieden mit der Lebensqualität in der Stadt. Wie willst du diese Menschen von dir überzeugen?
Ich möchte ihnen vor Augen führen, dass es in Heidelberg viele Lebensrealitäten gibt, die nicht zufrieden sind. Wir sehen es ja anhand der letzten OB-Wahl, dass 80 000 Menschen nicht wählen waren. Achtzigtausend sind schon wahnsinnig viele, die unzufrieden sind. Und da liegt eigentlich der Fokus und nicht bei denen, die ziemlich zufrieden sind. Weil sie nicht unzufriedener werden, sie werden zufrieden bleiben.
„Ich brauche 150 Unterschriften“
ruprecht: Eckart Würzner hat den Amtsinhaberbonus, Theresia Bauer eine starke Partei hinter sich. Was ist deine „Superpower“ für den Wahlkampf?
Meine Superpower ist, dass ich von unten komme, dass ich mitten im Heidelberger Leben bin. Das heißt: ich bin Studierende, da sind 39 000 Menschen, mit denen ich praktisch mitfühlen kann. Ich bin auch im Familienumfeld, auch mit anderen Eltern viel im Gespräch. Ich lerne unfassbar gerne Menschen und deren Geschichten kennen und helfe ihnen auch unfassbar gerne. Und ich glaube, das ist meine Stärke: dass ich zuhöre und auch aktiv werde, ohne wirkliche Mittel zu haben.
ruprecht: Wie funktioniert so eine Kandidatur? Welche Schritte stehen dir jetzt bevor?
Am 22. Juli wird die Stelle erst ausgeschrieben, am 23. Juli kann ich mich darauf bewerben und auch die Unterlagen für die Unterstützer:innen-Unterschriften beantragen. Da ich parteilos kandidiere, brauche ich Euch, weil es geht ja tatsächlich um Euch alle! Ich brauche 150 Unterschriften, um zu kandidieren.
ruprecht: Wer unterstützt dich im Wahlkampf?
Ich kriege so viel Zuspruch und Hilfe angeboten, ich bin überwältigt, was das angeht! Von Familie, Freunden und Bekannten, auch Follower auf Instagram. Auch Menschen, die meine Arbeit in den letzten Jahren begleitet haben und davon überzeugt sind und diese tatsächlich auch bewundern, die möchten helfen. Das ist für mich das Wichtigste und das finde ich cool und darum geht es ja auch: Dass wir anfangen, aktiv zu werden und Politik, vor allem Kommunalpolitik, wieder zurück zu uns bringen. Das ist unsere Stadt und wir müssen handeln und mit dieser Unterstützung, hoffe ich, klappt das auch.
„Auflegen ist meine Therapie“
ruprecht: Der OB-Job lässt wenig Zeit für andere Projekte. Wie würde es in den nächsten acht Jahren mit Paradoxon und Keramikofen sowie deinen DJ-Gigs weitergehen?
Ich müsste eine komplette neue Geschäftsführung im Keramikofen einführen, im Paradoxon den Vorstand abgeben und in den anderen Projekten würde ich auch alles abgeben. Aber ich bin ja da! Ich bin in Heidelberg, ich gehe ja nicht weg. Das heißt, wenn man mich fragen möchte, nach Tipps und allem möglichen, ich bin da. Die DJ-Gigs würde ich trotzdem machen, das würde ich nicht aufgeben! Auflegen ist meine Therapie. Man geht ja auch zum Therapeuten, oder hat diese Ventile und das ist Auflegen für mich. Nichts spricht dagegen, dass ich zwei Mal im Monat nachts auflege.
ruprecht: Angenommen, nach einem erfolgreichen ersten Wahlgang würden dir Theresia Bauer oder Eckart Würzner für den Verzicht auf deine Kandidatur eine Stelle anbieten, etwa als Kulturbürgermeisterin. Würdest du das Angebot annehmen?
Nein! Würde ich nicht, weil das ist ja auch eine Art Bestechung und das ist ja der Grund, weshalb Politik die ganze Zeit nicht funktioniert. Es geht um Kommunalpolitik und es ist langsam an der Zeit, dass Menschen aus dem Alltag auch hier die politischen Entscheidungen treffen. Was ich mir vorstellen könnte, falls der Fall eintreten sollte, ist, dass man sich nach der Wahl zusammensetzt und sagt: „Wie kriegen wir jemanden nach vorne, der auf jeden Fall Vertreter:in der Gemeinde sein könnte?“ Und da könnte ich mir vorstellen, auch zurückzutreten. Dafür muss diese andere Person mich tatsächlich davon überzeugen, die bessere Wahl zu sein. Aber momentan sieht es nicht danach aus. Ich gehe All-In, also ich trete an, damit wir gewinnen.
Das Gespräch führte Philipp Rajwa
...hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.
Sophia Leser ist intelligent, schlagfertig, sympathisch und als Geschäftsfrau erfolgreich. Sie wird vermutlich überraschend viele Stimmen bekommen und man wird in der Heidelberger Szene auf sie aufmerksam werden. Auf den Ausgang der Wahl bin ich sehr gespannt, da ich seit mehr als 50 Jahren in und um Heidelberg zu Hause bin.