Im prunkvollen Spiegelsaal auf dem Kornmarkt der Heidelberger Altstadt spielen zwei Musiker:innen in festlichem Ambiente „Blackbird“ von den Beatles. Der Song war ein Musikwunsch von Hanna Engelmeier, Autorin und gekürte Preisträgerin des diesjährigen Clemens-Brentano-Preises. Diesen durfte sie am 22. Juni entgegennehmen. Mit ihrem Essayband „Trost –Vier Übungen“ überzeugte sie die Jury, die sich teils aus professionellen Literaturkritiker:innen und teils aus Studierenden des Germanistischen Seminars zusammensetzt. Mit dieser Jurykonstellation ist der Heidelberger Literaturpreis in Deutschland einmalig.
Jedes Jahr wird er an Autor:innen verliehen, die weniger als drei Titel veröffentlicht haben -–sich also am Anfang ihrer literarischen Karriere befinden. So auch Hanna Engelmeier. Als Kulturwissenschaftlerin forscht und lehrt sie am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, schreibt nebenbei Kolumnen für eine Zeitschrift und hat im letzten Jahr ihren Essayband auf den Markt gebracht. Trost ist das große Thema, dem sie sich in vier Kapiteln widmet. „Ich glaube, dass Trostspenden für ganz viele Leute ein wichtiger Effekt von Lektüre ist“, antwortet sie auf eine meiner Fragen, von denen ich eine ganze Reihe stellen konnte. Als Studierende durfte ich mich im Rahmen eines Literaturkritik-Seminars an der Preisverleihung beteiligen. Während des Wintersemesters wurden alle nominierten Werke von den Studierenden unter die Lupe genommen und diskutiert. Zum Schluss schafften es drei Bücher in die engere Auswahl.
Drei Kommiliton:innen haben als Jurymitglieder mitwirken dürfen, so auch Linda Spitznagel. „Die professionellen Jurymitglieder sind alle im aktuellen Literaturbetrieb aktiv und haben viel mehr Erfahrung als wir“, so die angehende Germanistin. „Allerdings ist es ja genau diese Mischung der Jury, die den Preis so einzigartig macht.“ Weniger über die internen Vorgänge zu wissen, müsse laut der Studentin kein Nachteil sein: „Stattdessen können interessante Gespräche entstehen. Ich habe einen Mehrwert darin gesehen.“
Auch die Preisträgerin hat das Mitwirken der Studierenden ausschließlich positiv empfunden. „Ich glaube, dass Studierende solche Aufgaben oft viel ernster nehmen als Profis, die schon lange im Geschäft sind und für die so ein Anlass nicht unbedingt etwas Besonderes ist, weil sie meist zum ersten Mal die Juryarbeit oder Literaturkritik kennenlernen“, so Hanna Engelmeier. Außerdem habe es sie sehr gefreut, dass ihr Buch offenbar auch Leser:innen eingeleuchtet hätte, die jünger seien als sie selbst.
Der Titel ist Programm
In diesem Jahr wurden Texte der Gattung Essay gekürt. Das Essay zeichnet sich durch seine Offenheit aus, sowohl was seine Form, als auch seinen Inhalt angeht. Wissenschaftliche, gesellschaftliche oder kulturelle Phänomene stehen meist im Mittelpunkt der literarischen Betrachtung, so auch in „Trost –Vier Übungen“. Dabei ist der Titel Programm. Zum einen sei er eine Anspielung auf seine Gattung, die sich von dem französischen „essayer“ –versuchen, ableitet. „Übungen haben etwas mit Beweglichkeit zu tun. Das, was man übt, ist nicht endgültig, denn die Übung ist ja immer das, was vor dem Eigentlichen kommt“, so die Autorin.
Auf 200 Seiten widmet sie sich der Frage, wie sich Trost als Effekt bei der Lektüre beschreiben lässt. Dabei sind ihr sowohl der deutsche Dichter und Namensgeber des Literaturpreises Clemens Brentano, als auch der Philosoph und Soziologe Adorno gedankliche Weggefährten. Weitere Rollen spielen das Eis im Hörnchen, das Grab einer verstorbenen Verwandten und durchdrehende Dackel. All diesen Motiven liegt ein Konzept zugrunde: das Trostspenden, dem sich Hanna Engelmeier Seite für Seite annähert.
Im Spiegelsaal endete sie ihre Dankesrede mit Vorfreude auf den anschließenden Empfang. Bei Sekt und Häppchen herrschte ein reger Austausch zwischen den Studierenden, die sich im Wintersemester nur online über ihre Leseeindrücke und –erfahrungen unterhalten konnten. Ein halbes Jahr später wurde nun ein neuer Raum geschaffen, in dem die professionellen Jurymitglieder und Studierende erneut aufeinandertrafen. Mit der Veranstaltung wurde den Studierenden, die sich an die Theorielastigkeit der Geisteswissenschaft längst gewöhnt haben, ein Blick hinter die Kulissen ermöglicht. Das Interesse bestand auch seitens der professionellen Literaturkritiker:innen, die mit dem studentischen Neuzuwachs Kontakte austauschten und Gespräche über Berufs-und Zukunftswünsche führten. „Ich glaube, dass praxisbezogene Seminare den Studiengang bereichern. Sie sind eine Möglichkeit, Kontakte und Erfahrungen außerhalb der wissenschaftlichen Blase zu sammeln“, so Linda Spitznagel. „Da ich noch nie bei solch einem offiziellen Empfang war, fand ich das sehr interessant. Es war viel entspannter als erwartet.“
...interessiert sich für Kultur und Politik und studierte deshalb Germanistik im Kulturvergleich und Politikwissenschaften. Seit 2021 schrieb sie für den ruprecht und leitete Seite 1-3. Am liebsten widmet sie sich gesellschaftspolitischen Themen und Fragen, die unsere Generation bewegt.