Überall bunte Farben, eine bemalte, selbstgebaute Skate-Rampe. Menschen stehen zwischen Essensständen, Bühnen und Liegestühlen. Ein junger Mann sprüht mit Kopfhörern in den Ohren ein Frauenportrait an einen alten Container. Auch für alle anderen Anwesenden ist die Musik schon da, ein DJ spielt Elektro. Die Kunstwerke an den Fassaden fallen sofort ins Auge, die Sonne brennt auf den Beton. Unzählige kreative Machwerke umringen das Publikum. Sie verzieren die 4000 Quadratmeter große Innen- und Außenfläche des „Metropolink’s Commissary”. Die Fassade der Anlieferungszone des ehemaligen US-Supermarkts, sowie jegliche Innenräume, aber auch verschiedene Container im Außenbereich dienen heute als Untergrund für die Kunst, die hier ausgestellt wird. Das gefällt nicht nur dem üblichen Sekt-Publikum.
Ein Event als Symbiose von Kunst, Wissenschaft und politischen Inhalten, das gleichermaßen Jung und Alt anspricht – klingt wie eine Utopie von Veranstaltung, ist aber seit fast einem Jahrzehnt in Heidelberg zu verorten. Es heißt Metropolink und gehört zu den größten Galerien für urbane Kunst in Deutschland. Das Gelände befindet sich im Süden des Patrick-Henry-Village, eine ehemalige US-amerikanische Wohnsiedlung im Stadtteil Kirchheim, die Ende 2013 offiziell geschlossen wurde. Seither gibt es hier fast 100 Hektar freie Fläche, von der bisher nur ein Bruchteil wirklich Verwendung findet.
Der 28.Juli ist Eröffnungstag des einzigartigen Festivals. Auch der Heidelberger Oberbürgermeister Eckart Würzner und Theresia Bauer, die amtierende Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst richten ihre Worte ans versammelte Publikum. Gesprochen wird von kreativen Freiräumen und der Nutzung der Flächen, die die abgezogenen US-Truppen hinterlassen haben. „Wir müssen uns darum kümmern, dass das Metropolink Nachbarn bekommt”, fordert Bauer in ihrer Ansprache. Auch wenn das Hauptaugenmerk des Events auf der Kreativität liegt, geht es hier um viel mehr als Street-Art.
Das Festival ist auch ein Versuch, Menschen aus der Stadtmitte in die Heidelberger Peripherie zu locken. Gleichzeitig ist es ein Paradebeispiel für das sagenumwobene Konzept der „Kreativen Freiflächen”, das seit einiger Zeit Einzug in den politischen Diskurs hält. Gerade jungen Menschen fehlt es in Städten an Platz sich in ihrer Freizeit kostengünstig zu entfalten. Geeignete Orte zu finden, zugänglich zu machen und attraktiv zu gestalten ist nicht einfach, da sie teilweise sehr schlecht zu erreichen sind. Vor allem in großen Städten wie Berlin und Hamburg gibt es einige Positiv- aber auch Negativbeispiele. Es hängt an vielen Faktoren ob das Konzept angenommen wird oder nicht.
In den Innenräumen des Gebäudes ist die Atmosphäre angenehm kühl und ruhig, die meterhohen Decken lassen den Platz endlos scheinen. Schwarze Schriften und gedimmtes rotes Licht machen auf die Arbeit von Philipp Schrögel und Eva Bergdolt vom Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien aufmerksam. Beide sind im Bereich Wissenschaftskommunikation tätig und arbeiten mit verschiedenen Kunstschaffenden und dem diesjährigen Metropolink-Festival zusammen. Sie stellen gleichzeitig auf dem Gelände des PHV und auf Wänden in der Innenstadt aus.
„Die Kunst ist für uns eine wahnsinnig spannende Möglichkeit, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Das Mural, das gerade entsteht, verschafft uns gleichzeitig Präsenz in der Stadt.”, so Schrögel. Gezeigt werden apokalyptische Szenarien mithilfe von Worten, aber auch Malereien, geschaffen vom mexikanischen Künstler Edgar Flores, auch „Saner” genannt. Die Werke bestehen aus knalligen Farben mit vielen Kontrasten. Saner bedient sich mystischer und kultureller Elemente, wie Masken und die allseits bekannten Bauwerke der indigenen Völker Mittelamerikas. In fast allen Werken sind menschliche Figuren zu sehen, in Szenarien, die den Weltuntergang zeigen. Die Bilder sind lebendig, enthalten viele kleine Details, sind fast schon spielerisch. Die Werke beruhen größtenteils auf der Forschung zu den Prophezeiungen der Maya des Heidelberger Gastwissenschaftlers Adolfo Mantilla. Er war es auch, der Saner ins Boot holte. Zum Thema Utopien und Weltuntergangsszenarien finden auf dem Event in den nächsten Tagen zahlreiche Veranstaltungen für alle Altersklassen statt.
„Das Metropolink-Festival frischt die Heidelberger Kunstszene auf und schafft es dabei, auch schwierige Inhalte zu transportieren. Ich denke es ist sehr wichtig für unsere Stadt.”, sagt Bergdolt vom Käte Hamburger Kolleg. „Es ist sehr schön, dass hier so ein breites Publikum angezogen wird. Auch wenn das Gelände sehr weit abseits ist, bedeutet das auch Freiheit für Kreativität.”, äußert Schrögel. Trotzdem wünschen sich beide besser erreichbare Räume des Austauschs und der Kreativität im Stadtkern.
Zu der Geschichte des Areals passt auch der echte Panzer, der zwischen den Feiernden Menschen hervorragt und in bunten Neonfarben leuchtet. Viele der Besucher:innen lassen sich auf dem einstigen Kampffahrzeug nieder, vor allem Kinder klettern auf das Dach, während ihre Eltern auf den Rädern sitzen. An der Seitenwand des Panzers prangt in dicken schwarzen Linien die hut- und sonnenbrillentragende Silhouette von Udo Lindenberg. Nach einem Konzert in der Mannheimer SAP-Arena, feierte der Musiker Anfang Juli seine After-Show-Party auf dem Areal des nun eröffneten Streetart-Festivals – und verewigte sich.
Pascal Baumgärtner, der Leiter des Metropolink-Festivals richtete nicht nur diese Party aus. Seit acht Jahren begleitet Baumgärtner das Gelände und das damit verbundene Festival beim Wachsen und Entwickeln. Sehr viel Fläche und noch mehr kahle Betonwände – Baumgärtner sieht das als Chance. Und er weiß was er tut: Die Stimmung auf dem farbenfrohen Gelände rund um das Commissary ist unvergleichbar. Die Gestaltung ist detailverliebt, jeder Winkel gehört zum Gesamtkonzept. Lichterketten hängen großflächig über dem Außenbereich, eine riesige Discokugel dreht sich und wirft helle Punkte über den ganzen Dancefloor, auf dem hier und da große Topfpflanzen platziert sind. Hinter der Bühne, auf dem später Bands performen, befindet sich ein riesiges angeleuchtetes Gerüst, mit Pflanzen und Lichtern geschmückt. Die besondere Atmosphäre ist garantiert.
„Metropolink ist so erfolgreich, weil das genau das ist, was wir machen wollen. Da steckt unsere ganze Leidenschaft drin“, erzählt Pascal Baumgärtner im Interview. Auch wenn sich die Anbindung zum PHV bis jetzt noch schwertut, bleibt er optimistisch. „Die Entfernungen sind nichts im Vergleich zu anderen Städten. Was sind denn bitte 15 Minuten Fahrrad fahren für diese Location?” Er appelliert auch an die Eigeninitiative junger Menschen: „Freiflächen schafft man sich vor allem selbst. Macht einfach mal was, wenn ihr Bock drauf habt!”. Seine Freifläche hat Baumgärtner im PHV gefunden. „Du kannst hier so viel machen, was in der Innenstadt nicht möglich ist. Deswegen liebe ich das hier so. Das ist meine Insel der Freiheit!”.
Auch Ministerin Theresia Bauer ist offen vom Projekt begeistert. Bauer ist Kandidatin der anstehenden Oberbürgermeisterwahl im November und verspricht dem Urban-Art-Projekt ihre Unterstützung, unterstreicht im Interview aber auch, dass es mehrere solcher Orte geben muss. Dabei fällt auch der Name „Airfield”. Der ehemalige US-Flugplatz liegt zwischen Kirchheim und Pfaffengrund. Eine unmittelbare Anbindung an das Netz des öffentlichen Nahverkehrs besteht nicht. „Man sollte den Menschen die Möglichkeiten geben, Dinge selbst zu gestalten, ihnen den Raum geben etwas selbst zu tun. Eigeninitiative lernt man nur, indem man etwas tut”, so Bauer. Zur Kritik über die schlechte Infrastruktur und schlechte Erreichbarkeit der Flächen des PHV und des Airfields entgegnet sie: „Wenn man sich andere Metropolen anschaut, sind innovative und subkulturelle Initiativen oft von den Rändern gekommen.”
Sie betont aber auch, dass die Nutzung für Kunst und Kultur der Heidelberger Altstadt auch auf ihrer Agenda stehe. „Ohne aktive Gestaltung wird uns die Altstadt als inspirierender Ort mit besonderem Flair verloren gehen. Die Altstadt sollte nicht nur Platz für Menschen mit viel Geld, Massentourismus und Einkaufsketten haben”. Auf Wahlplakaten der OB-Kandidatin sind Forderungen nach Freiflächen im Stadtkern Heidelbergs zu sehen. Im Dialog dämpft sie dennoch die Erwartungen: „Die Häuser sind in privater Hand, die Mieten sind hoch. Es ist nicht einfach in diesen Lagen Freiräume für Kultur zu schaffen. Die Stadt muss etwas tun, aber wir werden das von staatlicher Seite nicht alles auffangen können.” Inwiefern sich die verschiedenen Zusagen in die Tat umsetzen lassen, wird sich zeigen.
Die Versprechen der Politik, die gerade jetzt im Rahmen der Oberbürgermeister:innenwahl fallen, sieht der Leiter Pascal Baumgärtner primär als Versuch junge Menschen als Wähler:innen anzuwerben. „Die Politik verlegt den Strom und stellt die Toiletten hin und will im Nachhinein den Jubel dafür. Das Ding ist, dass man Künstler nicht verwalten muss. Gebt denen den Raum und die machen hundert pro was Gutes draus!” Hier auf Baumgärtners „Insel der Freiheit” haben es die Künstler:innen geschafft. Sie haben eine echte kreative Freifläche, während woanders nur darüber referiert wird.
Bei Einbruch der Dunkelheit weiht mit „Zouj“ die erste Live-Band des Metropolink 2022, die Festivitäten auf der großen Bühne ein. Die Energie des „Future Pops” kommt auch in den letzten Reihen des Publikums an, während Adam Abdelkader Lenox-Belhaj und seine vier Bandkolleg:innen wild und frei auf der Bühne tanzen. Noch bis zum 7. August lädt das Metropolink auf das einstige US-Gelände ein, um mit Street-Art, Musik, Vorträge, Workshops und vielem mehr den Horizont zu erweitern und Menschen miteinander in Kontakt zu bringen.
Die Wandkunstwerke des Metropolinks hingegen bleiben dauerhaft erhalten und sind in ganz Heidelberg zu entdecken. Sie verschönern an vielen kahlen Ecken das Stadtbild. Mal etwas anderes als die üblichen Parkettböden und weißen Wände in alteingesessenen Kunstmuseen. Im Moment entsteht an der Julius-Springer-Schule in Zusammenarbeit mit dem Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien der Universität Heidelberg ein neues sogenanntes „Mural“ vom Künstler Saner.
Das Projekt bezeichnet sich selbst als Sammelbecken für die Urbanen Künste, kann dabei eine riesige Diversität aufweisen und ist gleichzeitig Paradebeispiel für den Traum der „Kreativen Freiflächen”, den irgendwie alle haben. Das Metropolink findet nicht nur einmal im Jahr statt – Es umgibt die Menschen in Heidelberg jeden Tag, durch den politischen Diskurs, alltägliche Kunst und die nachhaltige Kommunikation, die es seit 8 Jahren in Heidelberg schafft.
...studiert Politikwissenschaften und Literaturwissenschaft und schreibt seit dem Wintersemester 2021/22 für den ruprecht. Nach langer Zeit in der Leitung widmet sie sich nun hauptsächlich Meinung, investigativen Recherchen und gesellschaftskritischen Themen.