Frau Rose hieß meine Grundschullehrerin, deren Name mir seit Wochen mindestens einmal täglich in den Sinn kommt. Jeden Tag trug sie dieselbe Frisur, über die wir uns in der fünften Klasse lustig machten. Heute trage ich sie selbst, und neben mir rund ein Viertel des Heidelberger Altstadtcampus. Ich bin aufgesprungen auf den Trend, von dem ich dachte, sein Zug sei damals schon längst abgefahren.
Wohin das Auge reicht, überall sehe ich am Hinterkopf befestigte Klammern, deren fester Griff Haarlängen umschließt und ihre Spitzen bei jedem Schritt zum Hüpfen bringt. Wie ein Springbrunnen, dachte ich früher schon. Frau Roses Hinterkopf.
Die Jungs meiner Klasse interessierte das Haarspitzenhüpfen nur wenig. Kaum sensibilisiert für seltsame Modestatements, trugen die meisten die Klamotten, in die sie ihre Eltern morgens steckten. Und damit waren sie selbst Opfer eines weiteren, weitgreifenden Modetrends: Das Kurzarmhemd. Ob kariert oder einfarbig, es durfte scheinbar auf keinem Klassenfototermin fehlen. Spätestens mit dem Wechsel in die Sekundarstufe verschwand es jedoch aus meinem Blickfeld. Als unverkennbares Merkmal der Busfahrer und Bankfilialleiter wurde es verschrien und weitestgehend vermieden. Doch es ist wieder da, auferstanden von den untersten Schubladen, oder erworben als Schnäppchen im hippsten Second-Hand-Store. Wer zu Zeiten der Bravo-Ära die Schulbank drückte, dem dürfte auch jenes Trendteil ein Begriff sein: Die Low-Rise-Jeans. Pop-Ikonen wie Britney und Paris tapezierten in ihren Hüfthosen die Jugendzimmerwände, wo sich ihr Trendpotential voll entfalten konnte. Gepaart mit einem Glitzergürtel, der mit einem Bauchnabelpiercing um die Wette funkelte, war sie fester Bestandteil der Garderoben der Stars und Sternchen aus den Bravo-Magazinen. Wer wie Hannah Montana sein wollte oder Shakira hörte, besaß ein solches Hosenmodell. Doch mit den Postern im Zimmer verschwand auch die Low-Rise-Jeans. Überholt von der – weitaus bequemeren – High-Waist-Hose, schien die Jeans einer schambehafteten Vergangenheit anzugehören.
Wer hat sie also zurückgeholt, die Fashiontrends meiner Grundschule? Wer dafür gesorgt hat, dass es bunte Perlenketten und Niki-Stoffe, Hüfthosen und Karohemden auf den Campus geschafft haben, muss mächtig sein. Die sozialen Medien erscheinen mir als die üblichen Verdächtigen. In ihnen schlummerte ein kulturelles Fashion-Gedächtnis, das drohte geweckt zu werden. Tief schlafend vergegenwärtigten sich die 2000er-Jahre generationenabhängig lediglich mit dem Blick ins Grundschulfotoalbum oder in die Facebook-Chronik. Doch Tiktok entzündete den Motor einer gewaltigen Trendrückholmaschine. Und diese scheint unaufhaltsam.
Eine Kolumne von Carla Scheiff
...interessiert sich für Kultur und Politik und studierte deshalb Germanistik im Kulturvergleich und Politikwissenschaften. Seit 2021 schrieb sie für den ruprecht und leitete Seite 1-3. Am liebsten widmet sie sich gesellschaftspolitischen Themen und Fragen, die unsere Generation bewegt.