„Ein Spiel mit der Sehnsucht nach dem Nullpunkt, nach dem Moment, dass jetzt alles anders ist nach diesen zweieinhalb Jahren Pandemie,“ so Florian Schroeder, über sein aktuelles Bühnenprogramm „Neustart“. Geprägt von der Klimakrise, Corona und einem Krieg in Europa suchten wir, wie noch nie, den „neuen Messias“. Wünschten uns die Erlösung, den Retter, in Zeiten geprägt von Unruhe. In seiner Show begibt sich der Kabarettist, gemeinsam mit seinem Publikum, auf die Suche. Vergangenen Mittwoch trat er im Theaterhaus in Stuttgart auf. Dort treffen wir ihn zum Interview.
Es ist 19.20 Uhr, um 20 Uhr beginnt die Show. Verwinkelt im Backstage sitzt der gebürtige Badener in einer verspiegelten Garderobe. Gerade dabei sein Abendessen zu beenden, dazu ein Glas Wein. Der rhetorisch ausgefeilte Satiriker und messerscharfe Kritiker empfängt uns herzlich mit den Worten: „Macht es euch gemütlich.“ Ruhig und konzentriert wirkt er, wobei Lampenfieber noch nie wirklich ein Thema gewesen sei.
„Wenn ich aufgeregt bin, wird alles schlechter“, so der Bühnenprofi. Wie genial er das beeinflussen kann, denke ich mir. In der Harald Schmidt Show, „Schmidteinander“ feierte Schroeder mit gerade einmal 14 Jahren seinen ersten Fernsehauftritt. Damals sei er dann doch „höllisch aufgeregt“ gewesen, gibt er zu. Nachdem er bereits seine Mitschüler auf langen Busfahrten unterhalten und mit seiner Oma regelmäßig „Wetten, dass…?“ nachgespielt hatte, schickte er eine Kassette mit seinen ersten Parodien von Prominenten ein und wurde prompt eingeladen.
Auch heute noch sind seine Parodien wichtiger Bestandteil des Bühnenprogramms. Mehr als 100 verschiedene Charaktere hat er sich angeeignet. „Manche gedeihen schneller als andere. Wenige muss ich ganz aufgeben“, erklärt Schroeder. So schlüpft er an diesem Abend in die Rolle von Olaf Scholz, Markus Lanz, Christian Lindner, Alice Schwarzer oder Sarah Wagenknecht. Nur bei der Comedian Carolin Kebekus, die sich Silke aus dem Publikum wünscht, muss Schroeder passen. Gut für Silke, die damit sein neues Buch „Schluss mit der Meinungsfreiheit“ geschenkt bekommt. Ein absoluter Lieblingscharakter des Kabarettisten: Karl Lauterbach. Der Experte, der ihn durch die Pandemie trug und der Gesundheitsminister, von dem Schroeder jetzt so enttäuscht sei. Wo denn der Experte stecke, wenn der Minister spricht, fragt er ins Publikum. Am Ende findet sich der Kabarettist doch in Lauterbach wieder: „Er ist genau wie ich, gnadenlos hochbegabt, doch schafft es einfach nicht über die Rampe.“
Provokant, scharf und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen parodiert und kritisiert er sowohl PolitikerInnen und andere Prominente, als auch seine Nachbarsfamilie im Stadtteil Prenzlauer Berg, als Exempel unserer, wie Schroeder es formuliert „hyperwoken“ Gesellschaft. „Woke“ sei beispielsweise ein Lastenfahrrad zu besitzen, in das mindestens so viele Hunde wie Kinder passten, um Wetten abzuschließen, ob zuerst die Kinder oder die Hunde ihr Abitur schaffen würden. Er selbst berichtet davon sich mit der Zeit ein dickes Fell angelegt zu haben, um den Job machen zu können. Gleichzeitig gäbe es Kritik, die trifft: „Wenn ich merke, dass ich einen ernsthaften Fehler begangen habe oder jemand einen Schwachpunkt entdeckt, ärgere ich mich wahnsinnig über mich selbst. Teilweise beschäftigt mich das über Tage hinweg.“
Für die Entwicklung der Show liest der 42-Jährige Alleinunterhalter philosophische, politische, psychologische und vor allem journalistische Lektüre. „Von taz, über NZZ, bis zur Jungen Freiheit, ohne Scheu wird alles inhaliert, um ein möglichst breites Bild zu bekommen“, beschreibt er seine Recherchearbeit. Zeiten ohne Handy gäbe es nicht beziehungsweise nur dann, wenn er schlafe. Mit einem Lächeln meint er nur: „Ich bin ein ziemlicher Nerd.“ Während er in seinem Bühnenprogramm die Sozialen Medien durch den Dreck zieht, gesteht er im Interview seine große Liebe zu diesem, wie er meint, „tief demokratischen Instrument“. Potentiell könne es politische Teilhabe und Mitsprache weltweit eröffnen. Wäre da nicht noch der „widerliche Ausfluss“, „Menschen, die Plattformen missbrauchen, um zu zerstören – und diese sind leider diskursprägend geworden“.
Wenn man den Gewinner des „Deutschen Kleinkunstpreises 2021“ nach seinem Bestreben fragt, so antwortet er prompt: „Ich strebe nach der Weltherrschaft. Ich bin die Patricia Schlesinger der Satire. Damit habe ich die mega Überschrift geliefert.“ Auf kurze Stille folgt schallendes Gelächter. In Wahrheit sei er im Moment sehr zufrieden mit der bunten Vielfalt an Tätigkeiten. Ob er vor einem Höhenflug gewappnet sei? „Ich glaube, den habe ich schon hinter mir. Ich hatte schon einen Höhenflug, als ich noch gar nicht geflogen bin. All meinen Wahnsinn und meine Fantasien kann ich in meinen Büchern oder auf der Bühne ausleben. Das ist mein Glück. Es hindert mich daran zum Massenmörder zu werden“, antwortet Schroeder.
In seiner Show inszeniert er sich jedoch tatsächlich als Bundeskanzler. Nicht zuletzt, um zu beweisen, wie fragil unsere Demokratie letzten Endes ist. Schritt für Schritt gewinnt er die Herzen des Publikums, indem er für einen immensen Spitzensteuersatz und bedingungsloses Grundeinkommen plädiert, sowie ankündigt, den öffentlichen Nahverkehr so auszubauen, dass sich Autofahren nicht mehr lohne. Im Jubel der Menge wirbt Schroeder für innere Sicherheit beziehungsweise für ein vollständiges Überwachungssystem. Plötzlich wird es ruhiger. Vereinzelte Klatscher paaren sich mit Verwirrung. Er treibt es bis auf die Spitze, schlängelt sich gewandt durch unseren Rechtsstaat, um diesen am Ende mit seinen eigenen Waffen zu einer Diktatur auszuhöhlen. Die Blase der Fiktion platzt und Schroeder schließt: „So führt man in Deutschland eine Diktatur ein. Ohne Gewalt und ohne Revolution. Das Einzige, was man braucht, ist ein ruchloser Opportunist wie ich und ein Publikum wie ihr, das verlässlich an den richtigen Stellen applaudiert.“ Die Menge klatscht – und lacht. Aus Begeisterung über die Erkenntnis oder doch mehr aus Verlegenheit?
Die Gefahr veralteter hierarchischer Machtstrukturen sieht Schroeder ebenfalls in den öffentlich- rechtlichen Medien: „Das Gros der Mitarbeiter dort macht mit bestem Wissen und Gewissen einen sehr guten Job. Das Problem sind meist Führungsfiguren, die das ganze System diskreditieren.“ Sein persönlicher Anspruch: das Publikum zu unterhalten. Gleichzeitig wünscht er sich den Menschen etwas mitzugeben, „eine Art Gravur“, damit der Abend eine Spur hinterlasse. „Wenn die Leute mit mehr Fragen hinausgehen als hinein, bin ich zufrieden“, erklärt uns Schroeder. So konfrontiert er das Publikum mit seinen eigenen Ambivalenzen und Abgründen. Vom gestressten Bahnfahrenden, über den orgiastischen Moment beim Scannen des 3G-Nachweises, bis zu „hyperwoken“ Eltern, die mehr Zeit in der Kita verbrächten als ihre Kinder selbst. Er selbst berichtet davon ein Tempolimit „wirklich klasse“ zu finden, „aber bitte nur nachts und nicht für Selbstständige“. Auch würde er wirklich gerne an die Nordsee reisen, um Urlaub machen, wäre es dort nicht so kalt und nach Mallorca mit dem Fahrrad fahren, wäre das Meer nicht dazwischen. Florian Schroeder, der sich selbst als weiß, reich und privilegiert bezeichnet, beteuert dabei stets ein „wahnsinnig schlechtes Gewissen“ zu empfinden. So komme es auch, dass er aus Leidenschaft „Grün“ und nicht die „FDP“ wähle.
Im Interview spricht er von kabarettistischem Gesinnungslachen, bei dem sich auf einen gemeinsamen Feind geeinigt würde. Besonders hervor hebt er jedoch das Lachen über die eigene Person: „Wenn sie sich in mir oder dem was ich erzähle, ertappt fühlen und ihre eigenen Abgründe erkennen, ist das ein besonderes, sehr befreiendes Lachen.“ Satire solle daher auch vermehrt eine Kritik an der breiten Gesellschaft und nicht an den Opfern oder den Schwächeren darstellen, wobei Kunst letzten Endes alles dürfe. Dabei gilt es, den richtigen Moment abzupassen. Mit „Komödie ist Tragödie plus Zeit“ zitiert er Woody Allen. „Vor der Welle sein“ – ein Leitgedanke in der Pandemie – sei in der Komik nichts.
Sein Anliegen an die Heidelberger Studierendenschaft ist deutlich: „Habt den Mut, euch nicht von ECTS-Punkten jagen zu lassen und jagt nicht sie. Nehmt euch stattdessen die größtmögliche Freiheit.“ Freiheit sei dabei nicht gleichzusetzen mit Verantwortungslosigkeit. Vielmehr gelebt davon Risiko einzugehen, doch auch Fehler zuzugeben und für diese Verantwortung zu übernehmen, nicht nur diepolitische Verantwortung, die nämlich gar keine sei. „Habt Fantasie und nutzt die Zeit als Zeit der „Nicht-Disziplin“ im Sinne von Ausschweifen, Ausprobieren, Verrückt sein, Leben. Das wäre mein Wunsch!“
Am Ende der Show, nach Umwegen über menschlichste Menschlichkeiten, stellt sich erneut die Ausgangsfrage: „Wer wird uns die Erlösung bringen? Wann können wir wieder „neustarten“?“ Ein letztes Mal erstrahlt der Bühnenstar im Scheinwerferlicht und erleuchtet sein Publikum mit den Worten: „Der Messias wird nicht mehr kommen. Er muss schon dagewesen sein. Das bedeutet: Es gibt keinen Grund mehr zu warten auf seine Ankunft. Gemeinsam können wir jeden Tag die Welt ein Stückweit verrücken, um nicht verrückt zu werden.“
Am heutigen Mittwoch, den 28.09. um 20 Uhr kommt Florian Schroeder mit seiner Show „Neustart“ nach Schwetzingen in die Wollfabrik.
...studiert Humanmedizin und schreibt seit März 2021 für den „ruprecht“. Während im Studium die funktionellen Zusammenhänge des menschlichen Körpers im Vordergrund stehen, fasziniert sie bei ihrer Arbeit als Redakteurin der Mensch in seiner Gesamtheit. Besonders gerne tritt sie direkt mit den Menschen in Kontakt und interessiert sich für Einblicke in ihre Lebensrealitäten und Ansichten. So führte sie zahlreiche Interviews, zum Beispiel mit dem Comedian Florian Schroeder oder dem Lokalpolitiker Sören Michelsburg.