Frau Bauer, Sie haben in den 80er-Jahren in Heidelberg studiert. Welche Anliegen hatten die jungen Menschen damals?
Ob Sie es glauben oder nicht: Dieselben wie heute.
Und zwar?
Freiräume! Inzwischen sind meine eigenen Söhne schon groß und beschweren sich bei mir über dasselbe, über das ich mich auch beschwert habe: Dass es viel zu wenig Orte gibt, an denen man zusammenkommen kann, auch sein eigenes Ding auf die Beine stellen kann. Kulturangebot, Theaterarbeit, Partys oder Diskussionen: Es braucht einen Raum, wo man solche Sachen ohne viel Geld auf die Beine stellen kann.
Was haben Sie damals erreicht?
Dort, wo heute das Marstallcafé ist, konnten wir einen selbstverwalteten Ort einrichten, wo Veranstaltungen, Diskussionen, aber auch gute Partys stattfanden.
Heute sind lebhafte Orte rar. Die Untere ist häufig überfüllt. Bei der Neckarwiese ist ab 23 Uhr de facto Schluss. Wer sich gemütlich auf ein Bier treffen will, muss Tourist:innenpreise zahlen. Ist Heidelberg zu spießig für ein echtes Nachtleben?
Als ich als Schülerin das erste Mal in Heidelberg war, faszinierte mich diese junge, internationale und optisch schöne Stadt. Wenn man dann die Wohnungspreise sieht und bemerkt, dass es kaum Orte zum Treffen gibt, wird das große Versprechen, das Heidelberg macht, für junge Leute nicht eingelöst. Das muss besser werden!
Was wollen Sie dagegen tun?
Es braucht mehr Orte, wo man tatsächlich mal feiern kann. Ich will mehr Orte am Neckar schaffen, besonders im Neuenheimer Feld sehe ich noch Potenzial. Früher gab es beim Yachthafen ein Neckarbad mit Absperrungen, Duschen und Umkleiden. Die Wasserqualität im Neckar wird wieder besser. Das Neckarbad könnte man an anderer Stelle wieder aktivieren, sofern das hygienisch vertretbar ist. Mein Herzensprojekt ist das Airfield zwischen Pfaffengrund und Kirchheim als Kreativquartier.
Das Airfield gehört dem Bund und nicht der Stadt. Schlecht angebunden ist es auch…
…und es wird seit acht Jahren nicht genutzt, obwohl die Stadt ein Vorkaufsrecht hat. Wir müssen das Airfield der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) abkaufen. Der Preis wäre Verhandlungssache, ein soziales Konzept mit Gemeinwohlorientierung wird für die Bima akzeptabel sein und der Preis günstiger. Bei der Anbindung muss man noch etwas machen. Für Events könnten Shuttlebusse funktionieren. Vom Pfaffengrund oder von Kirchheim könnte man das Airfield mit Nextbikes oder E-Rollern erreichen.
Welches soziale Konzept planen Sie für den alten Militärflughafen?
Es geht darum, einen Ort herzustellen, der nicht perfekt ist, sondern wachsen kann. Menschen sollen Ideen ausprobieren, die auch mal schiefgehen können. Der Ort soll durch kreative Köpfe immer weiterwachsen. Ein Freiraum ohne große Vorschriften, an dem es mit ausreichend Lärmschutz auch Partys in den Hangars geben kann.
Ein anderer Ort für Partys ist die Untere Straße. Dort gilt eine Nachtruhe, die im Vergleich zu anderen Uni-Städten absurd ist. Feiernde, Clubbetreiber:innen und Anwohner:innen sind im Streit. Werden Sie sich einmischen?
Die Spannung wird bleiben. Die Altstadt kann nicht so ruhig wie der Pfaffengrund werden. Man muss aber aushalten, dass es diese Spannung gibt. Die Anwohner:innen beschweren sich nicht nur über den Lärm, sondern über die fiesen Gerüche und sonstige Hinterlassenschaften nach einer durchfeierten Nacht. Gerade laufen Gerichtsprozesse, die rechtskonforme Spielräume für die Zukunft klären – auch für mich.
Die Anwohner:innen in der Unteren sind unzufrieden. Doch nicht nur sie. Wer in Heidelberg leben will, muss an vielen Orten sehr hohe Mieten zahlen. Alle Kandidat:innen versprechen, dass das mit ihnen besser wird. Wie genau kann man die Situation verändern?
Es ist klar, dass es für die Kommune nicht einfach ist, das mal auf die Schnelle abzustellen. Als ich studiert habe, war das auch schon ein Problem. Es gab zu wenig Wohnungen. Ich finde es skandalös, dass heute wie damals knapp 50 Prozent der Studierenden nicht in der Stadt wohnen. Viele machen das nicht freiwillig und haben durch Fahrzeiten fast nichts vom Studierendenleben. Wir brauchen mehr studentischen Wohnraum. Das Wohnungsthema ist das soziale Thema in Heidelberg und es ist ganz schlecht von der Stadt gestaltet worden.
Inwiefern?
Man hat geglaubt, dass man das Problem einfach lösen kann, indem man mehr Wohnungen auf den Markt bringt. Es sind aber vor allem teure Wohnungen gebaut worden. In Tübingen und Freiburg gibt es fast 200 gemeinnützige Wohnprojekte, in Heidelberg gerade mal 8. Ich will das aktiver gestalten und vor allem denjenigen Projekten den Zuschlag geben, die gute Konzepte für die Zielgruppen präsentieren, die günstigen Wohnraum brauchen: Studierende und Azubis, Erzieher:innen, junge Familien oder Pflegekräfte. Gemeinwohlorientierte Bauträger, Genossenschaften und Wohnprojekte sollen bauen – nicht der Meistbietende. Das beste Konzept soll den Zuschlag bekommen. Die Kriterien wird die Stadt definieren.
Gibt es überhaupt noch genug Fläche, auf der neue Wohnungen entstehen können?
Es gibt noch freie Fläche in Patrick Henry Village (PHV). Mit gutem Internet und guter Anbindung durch Radwege und Schnellbusse können da auch Studierende wohnen. Sonst gibt es nicht so viel Fläche, deshalb müssen wir in der Innenstadt nach Baulücken suchen, mehr in die Höhe bauen und neue Konzepte gegen Leerstand finden. Viele Menschen wohnen allein in ihren Häusern und sind in einer Lebenssituation, in der sie sich nicht alleine neu erfinden können. Das muss die Stadt angehen mit konkreter Beratung und Förderung, um den Wohnraum auf freiwilliger Basis neu zu verteilen.
Zu einem lebenswerten Heidelberg gehört neben dem Wohnraum auch eine intakte Umwelt. Sie haben im Wahlkampf angekündigt, 30 000 Bäume zu pflanzen. Heidelberg ist teilweise sehr dicht besiedelt. Landen die Bäume alle am Stadtrand?
Die Altstadt gehört zu den kniffligsten Orten, aber auch da geht was. Für die 30 000 Bäume brauchen wir alle Stadtteile und es müssen auch Privatleute mitspielen und mehr Bäume in ihre Gärten pflanzen. Mir geht es insgesamt darum, dass wir unsere Plätze und unsere Straßen nochmal anschauen und sie weiterbegrünen und beschatten. Das wurde am Gadamerplatz, dem Europaplatz oder dem Marlene-Dietrich-Platz komplett verschlafen – diese Plätze sind neu entstanden oder noch im Bau. Im Sommer haben viele unter der Hitze gelitten. Da müssen mehr Bäume hin, um das Stadtklima zu verbessern.
Klimapolitik ist eng verknüpft mit dem Verkehr. Das Verkehrsmittel der Studierenden ist das Fahrrad. Spätestens, wenn man in die Plöck will oder von der Theodor-Heuss-Brücke zum Marstall, irritiert die Verkehrsführung. Ist Heidelberg in Ihren Augen eine Fahrradstadt?
Die Stadt hat das Potenzial, weil immer mehr Menschen mit dem Rad fahren. Aber Ausbau, Sicherheit und Qualität der Radwege haben damit nicht Schritt gehalten. Wir brauchen mehr Vorrangstraßen fürs Rad, wo man mal durchgängig schnell fahren kann – auch ins Umland. Wenn wir das verbessern, bin ich mir sicher, dass noch mehr Leute lieber das Rad als das Auto nehmen werden. Die Leute wollen sich nämlich so fortbewegen. Man muss sie nur lassen.
Die Straßen in Heidelberg sind eher eng. Wo ist noch Platz für breitere Radwege?
Autos nehmen vom Platz her zu viel Raum ein, auch wenn sie parken. Wir müssen da umgewichten und gleiche Chancen für Auto und Rad herstellen. Wo es eng wird, müssen wir mit Verkehrsversuchen herausfinden, was geht, um dem Radverkehr mehr Platz zu geben. So einen Versuch möchte ich an der Mittermaierstraße vom Bahnhof zur Ernst-Walz-Brücke machen. Wenn es sich bewährt, wird die Lösung beibehalten.
Ihr Konkurrent Eckart Würzner will den Verkehr entlasten und die B37 von der Theodor-Heuss-Brücke bis zum Neckarmünzplatz entlang der Altstadt tieferlegen und überdeckeln. Eine gute Idee?
Diese Idee bringt er in jedem Wahlkampf. Sie kommt raus wie das Monster von Loch Ness und verschwindet nach der Wahl wieder, weil sie nicht bezahlbar ist. Das ist eine Maßnahme zur Stadtverschönerung, aber keine verkehrspolitische. Das bringt dem Klima nichts, das bringt der Sicherheit nichts und auch der Gesundheit nichts. Und es bewegt niemanden dazu, aufs Rad umzusteigen.
Immerhin hätten Fußgänger:innen und Fahrräder am Neckarufer deutlich mehr Platz.
Aber nur an dieser Stelle. Davor und dahinter sind ja immer noch die Autos. Und teuer ist es auch noch. Würzner sagt, es werden 100 Millionen Euro, ich glaube, es werden mehr. Diese 100 Millionen könnte man nehmen, um den Nahverkehr und die Fahrradwege in der Stadt auszubauen.
Laut der Heidelberg-Studie fühlen sich mehr als 90 Prozent der Menschen in Heidelberg wohl. Ist das nicht das stärkste Argument für Ihren Konkurrenten Eckart Würzner?
Heidelberg ist eine Stadt zum Wolfühlen. Aber nicht wegen, sondern trotz der Stadtspitze. Das ist mein Eindruck. Die Menschen wollen nach 16 Jahren einen Wechsel und einen anderen Stil. Es wird derzeit zu viel schöngeredet. Es gibt zu wenig Tempo beim Klimaschutz, dem Verkehr, bei der Sicherheit und der Gesundheit. Bei sozialen Themen wird weggeschaut. Außerdem äußern Bürger:innen in allen Stadtteilen den Eindruck, dass ihr Engagement nicht wirklich willkommen ist. Menschen mit Ideen und Engagement, auch die Studierenden, die häufg nur auf Zeit in der Stadt sind, sollen offene Türen und Ohren in Heidelberg finden!
Wie wollen Sie das konkret erreichen?
Ich will Veranstaltungen für Neuankömmlinge, wo sie über Heidelberg informiert werden und Fragen stellen können. Studierende sollen über die Verfasste Studierendenschaft (der StuRa Anm. d. Red.) einen regelmäßigen Gesprächskontakt zur Stadtspitze und zum Gemeinderat bekommen. Außerdem will ich in allen Stadtteilen jährlich Stadtteilkonferenzen veranstalten, wo die Menschen ihre Anliegen einbringen und Fortschritte nachverfolgen können.
Was machen Sie, wenn Sie die Wahl verlieren? Wartet schon ein Job in der freien Wirtschaft?
Nein, darüber denke ich nicht nach. Mein Wunsch ist es, zu gewinnen. Und ich tue alles dafür.
Das Gespräch führte Thomas Degkwitz.
Thomas Degkwitz will seit 2019 die Netzwerke der Stadt verstehen. Das hat er für zwei Jahre auch als Ressortleiter “Heidelberg” versucht. Ihm ist das Thema Studentenverbindungen zugelaufen, seitdem kümmert er sich darum. Außerdem brennt er für größere Projekte wie die Recherche zur Ungerechtigkeit im Jurastudium. Lieblingsstadtteil: die grünflächige Bahnstadt (*Spaß*)