Demokratie stärken
Bei der letzten Oberbürgermeisterwahl nutzten nur 21,8 Prozent der Heidelberger Wähler:innen ihr Stimmrecht. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass neben Würzner nur ein weiterer Kandidat zur Wahl stand. Dieses Jahr gibt es ganze neun Bewerber:innen, doch von Wahlkampf merkt man in der Stadt wenig. Wer wissen will, was die potentiellen Oberbürgermeister:innen unterscheidet, der wird sich schwertun, denn fast alle Kandidat:innen versprechen die gleichen Dinge: billiger Wohnraum, Mobilitätswende, Kulturförderung. Markante Unterschiede lassen sich nur schwer finden. Das ist gefährlich. Wer keine Ressourcen hat, um sich mit dem Wahlkampf zu beschäftigen, wird nur schwerlich eine Entscheidung treffen können. Das fördert Politikverdrossenheit und Nichtwählertum.
Dabei gibt es durchaus Themen, über die es sich zu streiten lohnt. Zum Beispiel Würzners Kritik am Kandidat-O-Maten: Dieser sei zu sehr auf junge Leute ausgelegt und behandle Kandidat:innen ungleich. Diese Behauptungen wurden wenig später von der Landeszentrale für politische Bildung widerlegt. Hier wäre ein öffentlicher Diskurs über die Fairness des Wahlkampfes und die Rolle des Kandidat-O-Maten wichtig gewesen. Und wenn es nur der demokratische Gedanke selber ist, über den die Bewerber:innen streiten: Ohne klare Kanten bekommt niemand ein Profil.
In dieser Hinsicht ist der Kandidat-O-Mat die richtige Lösung. Die Kandidat:innen sind zu klaren Positionierungen gezwungen, etwas, das die RNZ mit ihren Minigolf-Nachmittagen niemals aus den Bewerbern herausbekommen wird. Man kann als Lokalzeitung die Wahlkampfberichterstattung nicht bloß auf persönliche Vorlieben („Welcher Kandidat am liebsten mit wem ein Bier trinkt“) stützen. Immerhin entsprach die Moderation der Podiumsdiskussionen durch die RNZ wieder dem, was man von der vierten Gewalt im Wahlkampf erwarten sollte: Unterschiede aufzeigen, Diskussionen fördern – und so die Demokratie stärken.
Katastrophenschutz
Das Wasser strömt in Massen vom Königstuhl ins enge Tal, füllt Tiefgaragen und Keller, rauscht über das Kopfsteinpflaster Richtung Neckarufer. Am Westausgang des Marstallhofs schießen die Wassermassen vorbei, der Campus im Neuenheimer Feld ist ein See geworden, aus dem die Institute herausragen. Felder, Bahnschienen, Straßen: überschwemmt.
Ein Szenario, das Heidelberg laut der Starkregenkarte von Geomar bei extremem Starkregen ereilen könnte. Solch ein seltenes Ereignis wird immer wahrscheinlicher, je mehr sich das Klima verändert. Nicht zuletzt die Tragödie aus dem Ahrtal hat gezeigt, wie real die Gefahren durch den Klimawandel werden können. Fast jedes Jahr kommt es wegen Überflutungsgefahr zu Sperrungen am Neckar. Auch Königstuhl und Heiligenberg sorgen durch ihre Bäche für akute Gefahr bei Starkregen; Unterspülungen von Häusern oder Schlammlawinen können lebensbedrohlich sein.
Zwar gibt es seitens der Stadt Bestrebungen, mögliche Wassermassen durch erneuerte Kanalisation und Versickerungsbereiche zu bändigen. Doch Vieles existiert bisher nur auf dem Papier.
Pegelüberwachungen und Systeme zur Warnung der Bevölkerung sind immerhin in Arbeit, aber es drängt die Zeit: Starkregen wird immer häufiger Teil unseres Lebens sein. Der letzte Hitzesommer hat es gezeigt: Wir haben keine Zeit mehr für vage Pläne. Die Stadt ist ihren Bewohner:innen ein umfangreiches Sicherheitskonzept angesichts der Klimakatastrophe schuldig. Neben Bedrohungen durch das Wetter sind durch den Ukrainekrieg Strom- und Gasversorgung bedroht. Um dem entgegenzutreten, soll jede:r Bürger:in laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe einen Vorrat anlegen: 20 Liter Wasser pro Person, Essen für zehn Tage. Letzteres muss kalt genießbar sein – in der Stadt werden die wenigsten eine Möglichkeit zum Kochen über offenem Feuer haben. Welcher Durchschnittsstudi hat den Platz, in seiner Wohnung einen solchen Vorrat zu halten? Besonders in Wohnheimen ist weder genug Keller noch Abstellraum vorhanden, um alle Bewohner:innen im Notfall versorgen zu können.
Die Stadt könnte hier Sicherheit schaffen – mit einem konkreten Plan, wie man mit vulnerablen Gruppen in Notlagen umgeht. Alte, Kranke, Alleinstehende, Geflüchtete, Studierende und Geringverdiener stehen angesichts dieser Bedrohung meist am schlechtesten da. Sie haben kein Auto zum Fliehen, keinen Holzofen zum Heizen oder keine Bekannten in der Nähe, die helfen können. Egal ob Corona, Gasknappheit oder Naturkatastrophe: Wenn die Stadt einen Plan B für die Verwundbarsten hat, fühlt man sich bedeutend sicherer.
Fahrradfreundliches Bauen
Autos werden umgeleitet, Radwege führen geradewegs in die Baugrube. Meist treffen Baustellen die Verkehrsteilnehmer:innen, die ohnehin benachteiligt sind. Fußgänger:innen müssen durch eine Schlammwüste waten und die Bushaltestelle wurde spontan zwei Straßen weiter verlegt. Eine Straße für Autos würde nie ohne Vorwarnung an einer Vollsperrung enden. Bei Radfahrenden fällt es nicht so auf, wenn sie frustriert absteigen und schieben müssen. Im Wahlkampf wird viel über neue Radwege geredet, nicht aber über die kleinen Verbesserungen, die schon jetzt das Fahren in der Stadt deutlich verbessern könnten. Würden Baustellen so ausgelegt, dass sie nicht nur auto-, sondern auch fahrradfreundlich sind, würden die vielen Gräben in der Stadt kaum stören.
Auf der Internetseite anliegen.heidelberg.de kann man Beeinträchtigungen der Mobilität im Stadtgebiet wie schlechte Verkehrsführung oder zu enge Bürgersteige melden. Eine Karte zeigt, wo welche Probleme auftreten und welche davon gelöst wurden. Fast alle Meldungen beziehen sich auf Unannehmlichkeiten für Fußgänger:innen oder Radfahrer:innen. Autos scheinen reibungslos durch die Stadt zu kommen – was für ein Zufall. Würden bei Baustellen und Stadtplanung alle Verkehrsteilnehmer:innen mitgedacht werden, sähe die Karte anders aus.
Für eine nachhaltige Verkehrspolitik ist daher nicht nur das Vorhandensein von Fahrradwegen wichtig, sondern auch ihre dauerhafte Befahrbarkeit und das Einrichten von Umleitungen.
...studiert Physik und schreibt seit Oktober 2019 für den ruprecht. Besonders gerne widmet sie sich Glossen, die oft das alltägliche Leben sowie wissenschaftlichen oder politischen Themen. Sie leitete erst das Ressort Hochschule und später das Ressort Wissenschaft.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.