Angeliki Alina Papagiannaki-Sönmez, die von allen Alina genannt wird, ist 53 Jahre alt und gebürtige Griechin. Die frühere Unternehmerin hat in Heidelberg Mathematik und Astronomie studiert, heute arbeitet sie als Berufsschullehrerin und lebt in Leimen. Sie ist im Verein „Freunde Arabischer Kunst und Kultur in Heidelberg“ ehrenamtlich aktiv und eine Mitbegründerin der Wähler:innenvereinigung „Heidelberg in Bewegung“ (HiB). Bereits bei der Begrüßung im HiB-Bürger:innenbüro einigen wir uns darauf, das Du zu verwenden.
Warum kandidierst du als Oberbürgermeisterin?
Meine Motivation ist, dass ich als einfache Bürgerin Verantwortung für das Geschehen und die Gestaltung dieser Stadt übernehmen möchte. Und in Zeiten, wo viele Herausforderungen und Krisen aufkommen, möchte ich ein Zeichen setzen, als Bürgerin. Dabei möchte ich Bürgerbegehren sichtbarer und hörbarer machen, und dass auch die Umsetzung durch Bündeln von Expertise und Engagement gelingt.
Viele Menschen kannten dich vor deiner Kandidatur wohl noch nicht. Was qualifiziert dich für das Amt?
Das stimmt für die breite Masse, aber ich würde nicht sagen, dass ich politisch nicht bekannt bin in Heidelberg. Schon als Unternehmerin habe ich das „Heidelberger Modell“ gemeinsam mit Stadtverwaltung, Arbeitsagentur und Schulen hier ausgeführt. Ich hatte ja auch versucht mich 2019 in den Gemeinderatswahlen aufzustellen. Dadurch, dass ich in Leimen wohne und in Heidelberg auf die Schnelle keine bezahlbare Wohnung finden konnte, konnte ich dieses Engagement nicht zutage bringen und mich auf der Liste nicht aufstellen.
Mit der Liste meinst du Heidelberg in Bewegung (HiB). Wofür steht ihr?
Eines unserer Hauptthemen ist das Stärken von aktiver Bürgerbeteiligung in der kommunalen Politik. Es gibt Beispiele der Vergangenheit, wo Bürger nicht nur gefragt wurden, nach ihren Bedürfnissen, nach ihrer Meinung, sondern tatsächlich auch mit ihrem Engagement und Expertise aktiv mitgestalten durften. Dafür steht HiB. Kommunale Politik soll mit der Basis, von der Basis, für die Basis gestaltet werden. Weitere Themen sind Bildung, Kultur, Inklusion, Mobilität. Wir haben ja bereits einen Stadtrat, Waseem Butt, der auch ein Zeichen setzt, dass das die richtige Richtung ist.
Nun ist Waseem Butt kein Unbekannter in der Heidelberger Kommunalpolitik. Er wurde 2016 aus der CDU-Fraktion entlassen. SPD und Grüne wollten ihn nicht aufnehmen, er ist seitdem fraktionslos. Womöglich sind da noch alte Wunden. Hättest du als Oberbürgermeisterin denn genügend Rückhalt im Gemeinderat, wo es ja auf Zusammenarbeit ankommt?
Wir können bewusst entscheiden, in welcher Zeit wir leben wollen: In der Vergangenheit oder im Hier und Jetzt. Das bedeutet für mich nicht, die Vergangenheit zu vergessen, sondern ich verweile darin nicht. Waseem Butt ist Waseem Butt. Er hat Entscheidungen getroffen für sein politisches Leben und ich treffe Entscheidungen für mein politisches Leben. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich mir im Gemeinderat als Oberbürgermeisterin erstmal den Rückhalt erarbeiten müsste. Ich kann keine Prognose stellen, aber ich bin selbstbewusst genug um zu sagen: Ich kann, wenn man mich agieren sieht, die Menschen dazu bewegen, mir Rückhalt zu geben. Das hat mir das Leben beigebracht.
Was beschäftigt junge Menschen in Heidelberg deiner Meinung nach gerade am meisten?
Es gibt das Thema Persönlichkeitsentwicklung im Studium. Es gibt pragmatische Themen, die mit dem Studium direkt zu tun haben, mit der Wahl des Studiums oder einen Studienplatz zu bekommen. Wie ist die Willkommensstruktur für Studierende mit Migrationshintergrund: wie gehe ich mit Formalitäten und Bürokratie um, wie finde ich mich hier in diese Stadt hinein. Dazu auch große Schwierigkeiten wie Wohnungssuche, bezahlbares Wohnen und die Jobsuche – auch während des Studiums. Ich kenne meine Zeit als Studierende in Heidelberg, Anfang der Neunziger und ich habe die Erfahrung durch unsere eigenen Kinder, deswegen sehe ich, dass die Herausforderungen für Studierende sich in manchen Bereichen nicht wirklich geändert haben.
Im Wahlkampf wird viel über die großen Themen wie Klimaschutz, Wohnen und Verkehr geredet. Welche Themen werden deiner Meinung nach zu wenig diskutiert?
Menschen auch Gehör zu geben, die keine laute Stimme haben und gering sichtbar sind. Das Thema Inklusion, also Menschen, auch Studierende, mit Beeinträchtigungen. Alle diese großen Themen betreffen unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Art und Weise, in einer Perspektive die man holistisch betrachten muss. Also es geht um das Thema Chancengleichheit im Studium, Teilhabe im Sozialleben dieser Stadt. Außerdem: Wie schaffen wir es berufliche Bildung und akademische Bildung auf Augenhöhe zu bringen? Darüber wird sehr wenig gesprochen.
Du willst das Handwerk stärken. Wie gelingt das in der Wissenschaftsstadt Heidelberg?
Indem ich das Verständnis fördere und beide auf Augenhöhe bringe. Es gibt auch in anderen Universitätsstädten vergleichbare Beispiele, wo Universitäten handwerkliche Startup-Unternehmen unterstützen. Ein anderes Thema: wie schafft man Nachwuchs fürs Handwerk? Da ist es wichtig, dass man bewusst den Schülerinnen und Schülern in Heidelberg das Handwerk attraktiv macht, etwa mit Wohnkonzepten für Auszubildende. Auch dass man das bestehende Handwerk fördert, Hilfestellung gibt bei bürokratischen Ausschreibungen. Handwerker können nicht alles auf das Fahrrad draufstellen und unterwegs sein, wie kann man bei der Stadtplanung das Handwerk berücksichtigen?
Du würdest gerne einen Zukunftsrat mit ausgelosten Bürger:innen bilden. Wie stellst du dir das genau vor?
Ein regelmäßig tagendes Gremium, dass die Expertise der Stadt an einen Tisch bringt. Deshalb ist mein wichtigstes Ziel, als Oberbürgermeisterin den interdisziplinären Zukunftsrat zu etablieren. Dieser soll mithilfe der Schwarmintelligenz der Stadtgesellschaft bilaterale Lösungen entwickeln und maßgeblichen Einfluss auf politische Entscheidungen haben – in meinen Augen können nur so die in den nächsten Jahren auf die Stadt zukommenden Entscheidungen optimal und für alle zufriedenstellend getroffen werden. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Ziel absolut erreichbar ist, und werde mich auch nach Wahl für die Integration von anderen Formen der Bürger:innenbeteiligung innerhalb der politischen Prozesse Heidelbergs einsetzen.
Zum Thema Bürgerbeteiligung hatte eine deiner Mitbewerberinnen die Idee…
Also, wir schaffen alle vergleichbare Analysen und die Lösungen sind auch fast gleich. Letztendlich ist es eine Entscheidung, die der Gemeinderat trifft und da können wir als OB-Kandidaten und -Kandidatinnen dafür Sorge tragen, diesem Gemeinderat alle Lösungen gleichwertig zu präsentieren. Eine OB-Wahl ist in meinem Verständnis auch eine Persönlichkeitswahl. Deswegen bin ich nicht jemand, der die Lösungen vergleichen möchte, sondern für mich ist das Thema: die Persönlichkeit, das Wirken der Person. Und das wäre mein Einsatz.
Hast du das Gefühl, dass das Thema Bürgerbeteiligung endlich angekommen ist und viele realisieren, dass sich endlich was ändern muss?
Jetzt in der Wahlperiode zeigen sich alle Kandidaten und da gibt es eine Bürgernähe, aber ich frage mich: Was passiert nach der Wahl? Bürgerbeteiligung ist für mich nicht nur Informieren, sondern es bedeutet, dass ich auch bei der Fragestellung mitwirke. Und die Fragen scheinen für die Bürgerinnen und Bürger durch die Komplexität der Themen nicht so einfach zu verstehen. Die Stadt und die Bürger müssen in einen wachsenden Lernmodus miteinander und füreinander.
Du stehst für kostenlosen Nahverkehr. Wie würdest du den finanzieren?
Mit einem “VRN-Unterstützungsticket”. Ein “Jahresticket” für 365 Euro, mit dem gutverdienende Personen freiwillig einen Teil zum Aufrechterhalten des ÖPNV beitragen.
Es gibt viele große und bunte Ideen für PHV, Neckarufer, Airfield. Hast du dir auch was Besonderes überlegt?
Auch hier bin ich sehr bescheiden. Es gibt einen großen Ideenpool. Aber auch viele Interessen und Konflikte die die Umsetzung gestoppt haben. Ideen gibt es genug, ich sehe mich als zukünftige Oberbürgermeisterin in der Rolle einer Mediatorin. In meinem Fokus liegt es nicht, neue Ideen zu bringen, sondern: Wie schaffen wir eine Kultur des Miteinanders, die jetzt diese Ideen und Projekte in Aktion bringt. Ich bin kein Mensch der Worte, sondern der Taten.
Wie sähe deine Kulturpolitik aus?
Ich komme aus dem Bereich der Kulturgestaltung, zum Beispiel durch die Vereinsarbeit. Ein wichtiges Thema für mich ist die Zugänglichkeit, also Kultur nicht als ein Vorzeige-Schmuckstück von Heidelberg zu sehen, oder als Zuschauersport. Beispiel: Eröffnungskonzert Enjoy Jazz, 52 Euro – wie bezahlbar ist das? Das andere Thema: Wie sichern wir Kunstschaffende hier in Heidelberg? Und wie schaffen wir Kulturvielfalt im öffentlichen Raum sichtbar und erlebbar zu machen? Mein Vorschlag: neue Modelle der Umnutzung von bestehenden Räumen und Institutionen, zum Beispiel von Sporthallen.
Du und andere Kandidat:innen wurden anfangs zu vielen Podiumsdiskussionen nicht eingeladen, was als undemokratisch kritisiert wird. Hat oppositionelle Politik in Heidelberg außerhalb von großen Parteien überhaupt eine Chance?
Ich denke, dass wir das gerade erleben ist eine Chance für Sensibilisierung. Es geht ja nicht nur um Demokratie, sondern was wir hier auch erleben ist eine suggestive Wirkung auf das Meinungsbild der Bürger und Bürgerinnen. Das ist ein sehr kritischer Moment! Gerade in Zeiten von Krisensituationen müsste man das hoch feiern, dass es so viele Kandidaten gibt. Oppositionelles Denken wird sehr oft als Hindernis verstanden: „Ach wenn ihr acht, neun Leute auf der Bühne seid, dann haben wir nicht die Möglichkeit in die Tiefe zu gehen“. Dadurch zeigt man: es ist ein Hindernis, das uns nicht weiterbringt in der Entscheidungsfindung. Aber es kann aber auch ein Warnsignal sein. Es kann auch andere wichtige Perspektive ins Spiel bringen. Warum versuchen wir, die nicht zu zeigen?
Ihr habt ja auch von den anderen Kandidat:innen Solidarität eingefordert. Kam da etwas zurück?
Nein, und das ist auch der Unterschied der Persönlichkeit, sag ich mal so. Als amtierende Oberbürgermeisterin wäre es in meinem demokratischen Verständnis alle einzuladen. Nicht nur die Veranstalter tragen eine Verantwortung, sondern man stimmt dem ja zu, indem man gar nichts tut. Da hat man mit so einer lautlosen Zustimmung die Demokratie nicht gestärkt, sondern geschwächt. Was bedeutet das für die Persönlichkeit der Kandidaten, wenn sie sich bei einer einfachen Situation so entscheiden? Ohne dass ich was unterstellen möchte, aber es gab einfach keine Reaktion.
Wie sieht ein perfekter Tag in Heidelberg für dich aus?
Für mich bedeutet Heidelberg erstmal Natur. Ich laufe sehr gerne und einer meiner schönsten Wohlfühlmomente ist es, den Philosophenweg hochzugehen und Heidelberg von oben zu sehen. Auch das lebendige Heidelberg gehört für mich dazu: mich mit den Menschen in der Stadt auszutauschen, ins Gespräch zu kommen. Ich mag die Offenheit der Menschen für Begegnung sehr! Auch die kulinarische Seite zu erleben und eine kulturelle Veranstaltung im öffentlichen Raum zu besuchen oder ins Theater zu gehen.
Das Gespräch führte Philipp Rajwa.
...hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.