Sexuelle Belästigung – in vielen Bereichen wird sie als Ausnahmefall abgetan. Eine Umfrage hat ergeben, dass fast ein Drittel der Studierenden geschlechterbezogene Gewalt an der Hochschule erfährt. Erwartung und Realität scheinen auseinanderzuklaffen. Die Umfrage wurde vor kurzem von der EU-weiten Organisation UniSAFE veröffent-licht.
Es handelt sich um die ersten Ergebnisse zum Thema sexualisierte Belästigung an Universitäten und Arbeitsplätzen. Die Studie machte zudem auf ein großes Problem aufmerksam: Die Betroffenen sind sich oft nicht sicher, ob ihnen sexuelle Belästigung widerfahren ist und suchen sich folglich keine Hilfe.
UniSAFE hat sich außerdem mit den Konsequenzen sexueller Belästigung beschäftigt. Bei den Betroffenen würde die Produktivität deutlich sinken. Zudem würden einige ihre universitären Veranstaltungen verpassen und einen Studienabbruch in Erwägung ziehen.
Eine uniinterne Studie der Uni Heidelberg greift das Thema sexuelle Belästigung ebenfalls auf. Die Studierenden Tirthankar Chakraborty (Südasienwissenschaften) und Alicka Machurich (Anthropologie) haben eine Studie gestartet, um herauszufinden, wie oft sexuelle Belästigung/Nötigung an der Universität passiert.
Im Sommer 2019 wurden 146 Studierende befragt. Die Ergebnisse der Umfrage wurden 2020 veröffentlicht. Die Umfrage ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil fragte ab, was man grundsätzlich unter sexueller Belästigung und Nötigung versteht. So wollte man herausfinden, ob sich die Befragten im Klaren sind, was unter sexuelle Belästigung und Nötigung fällt.
Der zweite Teil befasste sich mit den individuellen Erfahrungen der Befragten. Der dritte Teil konzentrierte sich auf die Wünsche und Besserungsvorschläge der Befragten einerseits und den Ersteller:innen der Umfrage andererseits. Dabei stand im Vordergrund, dass Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden sollte, ihre Erfahrungen zu teilen.
Bei den Ergebnissen fiel auf, dass die Mehrheit der Befragten sexualisierte Gewalt im Sinne der Gesetzesvorlage korrekt definieren konnte. Was unter Nötigung fällt, konnten jedoch nur 45 Prozent der Befragten richtig einordnen. Dies ist problematisch, denn um sexuelle Nötigung zu erkennen, braucht es natürlich das Wissen, was darunter fällt. Von den Befragten gaben circa 44 Prozent an, sexuelle Belästigung erlebt zu haben und 7,5 Prozent sexuelle Nötigung, wobei nur zwei PersoSnen die nötige Hilfe im Nachhinein erhalten haben. Angesprochen wurde auch das Thema Consent, wobei es sich um einvernehmlichen Sex handelt. Hierbei äußerte sich die Mehrheit kritisch zum deutschen „Nein-heißt-Nein-Modell“ und befürworteten eher das schwedische „Ja-heißt-Ja-Modell“. Das schwedische Modell gibt keinen Raum dafür, ein fehlendes „Ja“ als Einwilligung zu interpretieren.
Die uniinterne Umfrage zeigte auf, dass die meisten Studierenden sich mehr Hilfsangebote von der Universität wünschen würden.
Ein konkreter Vorschlag besagte, dass man verpflichtende Veranstaltungen für Erstsemester anbieten sollte. In solchen Kursen könnten nötige Informationen und Ansprechpartner:innen genannt werden. Es wurde explizit der Wunsch geäußert, dass der Ruf der Universität nicht über dem Wohlergehen der Studierenden stehen sollte. Die vollständigen Ergebnisse der uniinternen Umfrage sind über die Webseite des Gleichstellungsbüros einsehbar. Dort gibt es auch weitere Informationen zum Thema sexualisierte Belästigung und Hilfsangebote für Betroffene, wie zum Beispiel die Kontaktdaten einer Anwältin. An diese kann man sich mit rechtlichen Fragen wenden. Trotzdem ist das uniinterne Angebot an Aufklärungsarbeit nicht besonders breit. Daher sollte man über den Uni-Rahmen hinausblicken und sich auch anderweitig informieren. Der Frauennotruf Heidelberg ist hierfür eine gute Anlaufstelle.
Der Frauennotruf hat seit November dieses Jahres eine digitale Vortragsreihe eingeleitet, die sich mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzt. Ein Teil des Programms richtet sich explizit an Studierende. Aber was genau versteht man unter sexualisierter Gewalt?
Mit dieser Frage kommen viele Menschen in die Beratung des Frauennotrufs, da sie sich nicht im Klaren sind, ob ihnen sexualisierte Gewalt widerfahren ist. Da dieses Thema gesellschaftlich tabuisiert wird, fehlt die nötige Aufklärung. Die kostenfreie Vortragsreihe des Frauennotrufs soll dem entgegenwirken.
Der Auftakt fand am 8. November 2022 statt. Dabei wurde erklärt, was sexualisierte Gewalt ist und in welchen Formen sie an uns herantreten kann. Unter sexuelle Gewalt fällt unter anderem sexuelle Belästigung, sexuelle Nötigung und Missbrauch in der Kindheit und Jugend. Dazu gehört auch Stalking, Zwangsheirat, Zwangsprostitution und organisierte Gewalt.
Überwiegend richtet sich sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Faktoren, die ein Risiko für Betroffenheit steigern, sind Alter, Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung, sozioökonomischer Status, Migrations- und Fluchthintergrund oder Behinderung. Betroffene bekommen beim Frauennotruf eine kostenlose und vertrauliche Beratung.
Diese dient der Stabilisierung und Krisenberatung, es können auf Wunsch der Betroffenen Anwält:innen und Prozessbegleitungen vermittelt werden. Mit den Vorträgen möchte der Frauennotruf allen Interessierten eine Möglichkeit bieten, sich mit dem Thema näher zu beschäftigen. Enya Wolf, Psychologin im Frauennotruf und Organisatorin der Vortragsreihe, betont: „Da sexualisierte Gewalt in allen Lebensbereichen stattfindet, kann jede:r von uns mit diesem Thema konfrontiert sein. Somit wollen wir alle bestärken, auch Menschen, die sich damit noch nicht viel auseinandergesetzt haben.“
Die Vorträge sollen Unsicherheiten zu diesem Thema beseitigen und mögliche Hilfsangebote aufzeigen. Besonders zwei der kommenden Vorträge sind für Studierende interessant: „Sexuelle Belästigung – Meine Rechte in Ausbildung und Studium.“ Die Links zu den Vorträgen findet man auf der Website des Frauennotrufs Heidelberg unter Aktuelles/Veranstaltungen.
Vor allem der Vortrag über K.o.- Tropfen ist aktuell von besonderer Relevanz. Enya Wolf bewertet die Situation in Heidelberg kritisch: „Allein dieses Jahr hatten wir jedoch mehrere Klientinnen in der Beratung, die vergewaltigt wurden, wobei der Verdacht auf K.o. Tropfen bestand. Das macht deutlich: Auch an schönen Orten wie Heidelberg gibt es Menschen, die schwerwiegende Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begehen – und das planvoll, auf eine heimtückische Art und Weise.“
Ein wichtiger Handlungsschritt nach einem körperlichen Übergriff ist es, die 24h-Nummer der Gewaltambulanz in Heidelberg anzurufen (0152 54648393). Dort können möglicherweise K.o.-Tropfen nachgewiesen und Spuren gesichert werden. Dies kann auch unabhängig von einer Anzeige durchgeführt werden.
Enya Wolf betont auch, dass es bei Vorfällen dieser Art keine zeitliche Limitierung gibt: „Auch, wenn die Tat schon länger zurückliegt oder Sie sich nicht sicher sind: „Melden Sie sich gerne, wir sind für Sie da.“
...studiert Germanistik und Japanologie im Bachelor. Seit 2022 ist sie beim ruprecht aktiv und leitet seit dem WiSe 2022 das Feuilleton.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.