Wie proukrainisch dürfen unsere Medien sein? „Jeder Krieg ist auchein Medien- und Bilderkrieg“, sagt der angehende Journalist Finn Gessertund stellt dem das Konzept des Friedensjournalismus gegenüber
Seit dem 24. Februar steht die Ukraine im Fokus unserer Medienlandschaft. Seit dem Tag, an dem russische Truppen das Land im Osten Europas angreifen, erscheint der journalistische Anspruch auf Objektivität utopisch. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ So lautet das Zitat des renommierten Journalisten Hanns-Joachim-Friedrichs, Namensgeber des deutschen Fernsehjournalismuspreis, das als Maßstab qualitativer Medienberichterstattung gilt. Sie soll eine informierende, nicht aber meinungsbildende Funktion erfüllen. Die Erwartung an die Medien, urteilsfrei Perspektiven aufzudecken, scheint vor dem Bild des russischen Angriffskrieges nur schwer erfüllbar.
Reporter:innen, die von Kriegsgebieten berichten, befinden sich in einem moralischen Dilemma. Die Ukraine ist auf den westlichen Rückhalt angewiesen. Die Unterstützung der Bevölkerung und damit der Politik, wird durch die Medien gelenkt. „Jeder Krieg ist auch ein Medien- und Bilderkrieg“, sagt Finn Gessert. Er studiert transkulturellen Journalismus in Mainz und Paris. „Die Medien sind nie nur eine Fliege an der Wand, die den Krieg beobachten. Sie sind eine Bühne, auf der der Konflikt ausgefochten wird. Alle Kriegsparteien versuchen sich dabei, die Medien gemein zu machen“, so der angehende Journalist.
Im Rahmen seiner Bachelorarbeit hat er sich mit einem Konzept beschäftigt, dass sich der journalistischen Konfliktdarstellung widmet: Friedensjournalismus. „Die Idee ist, den sieben journalistischen W-Fragen eine achte beizugesellen, nämlich das Was nun?“ Für die Ukraine sei es gerade ganz entscheidend, auf der internationalen Bühne Sichtbarkeit zu erlangen. Umgekehrt versuche auch Russland, seine Propaganda in den Medien zu verbreiten. Mit der medialen Objektivität gehen dabei viele konzeptionelle Schwierigkeiten einher: „Nachrichten haben einen starken Negativitätsbias, weil wir psychologisch so verschaltet sind“, so Gessert. Zum anderen gebe es einen starken Mangel an Hintergrundinformationen.
„Der Nachrichtenzyklus funktioniert so, dass jeden Tag die neuen Tickermeldungen in hoher Geschwindigkeit reinkommen und die Redaktionen wie am Fließband arbeiten. Da kommen die Hintergründe und Einordnungen oft zu kurz.“ Darin liege ein großes Problem und der Grund dafür, dass immer mehr Menschen nachrichtenverdrossen sind. So werden in unserem schnelllebigen Mediensystem die Dinge häufig erst dann zur Sprache gebracht, wenn sie bereits hochgekocht sind. Friedensjournalismus beginnt jedoch in Friedenszeiten. „Dadurch schafft man ein historisches Bewusstsein“, so Gessert. Dabei ergänzt er: „Journalismus ist kein Aktivismus.“ Die Frage ist also: Wie proukrainisch dürfen unsere Medien sein? In Zeiten des Krieges ist es schwierig, Meldungen zu verifizieren, und beide Seiten gleich kritisch zu beleuchten, um Bilder von Gut und Böse zu dekonstruieren. Gerade zu Beginn des Angriffs hatten die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland große Schwierigkeiten, Korrespondent:innen in die Krisengebiete zu schicken.
Es bestehen keine Zweifel, dass Russland der Aggressor in diesem Krieg ist. Jedoch rechtfertigt ein Kriegsverbrechen der einen Seite kein weiteres der anderen. Westliche Berichterstattung geschehe laut Gessert in dem Gewahrsein, dass wir eine Kriegspartei sind und auf der Seite der Ukraine stehen. „Der Angriff Russlands ist völkerrechtswidrig, widerlich und ungerechtfertigt. Man kann ihn durchaus verurteilen – und dennoch Doppelstandards aufzeigen, um sich nicht von den Kräften instrumentalisieren zu lassen.“
von Carla Scheiff
...interessiert sich für Kultur und Politik und studierte deshalb Germanistik im Kulturvergleich und Politikwissenschaften. Seit 2021 schrieb sie für den ruprecht und leitete Seite 1-3. Am liebsten widmet sie sich gesellschaftspolitischen Themen und Fragen, die unsere Generation bewegt.