Wie ich unser Licht im Kühlschrank zurückkaufte oder was passiert, wenn man seine Stromrechnung nicht bezahlt
Die Strom- und Gaspreise steigen wie der Meeresspiegel. Viele sorgen sich, wie sie mit den Rechnungen durch die Monate kommen. Aber was passiert eigentlich wirklich, wenn man seine Stromrechnung nicht bezahlt? Sagen wir mal so: Ich habe mich beziehungsweise meine WG geopfert und es ausprobiert…
Es ist elf Uhr morgens und meine Mitbewohnerin weckt mich mit angesäuerter Miene. Bei uns ist der Strom weg. Am Sicherungskasten im Hausflur hat jemand herumgeschraubt und mit einer Drahtschlinge die Hauptsicherung blockiert. Ich habe schon eine böse Vorahnung. Die nach und nach eintrudelnden Mahnbriefe der letzten Monate habe ich so erfolgreich geleugnet wie die Dursleys die Eulenpost im „Stein der Weisen“. Nach einem Telefonat bei den Stadtwerken ist die Lage klar: Strom muss her und dafür das Geld, und zwar schnell.
Ich radle zur Bank und heule fast vor Freude, als ich an meinem Kontostand sehe, dass ich genug Geld habe, um drei Monate Strom zu bezahlen. Mit knapp 600 Euro Bargeld rase ich zu den Stadtwerken. Links im Büro der Kundenbetreuung steht der im wahrsten Sinne des Wortes ehrenloseste Geldautomat, den ich je benutzen musste. Menschen können dort ihren gepfändeten Strom zurückkaufen. All die adrett angezogenen Sachbearbeiter:innen, die bestimmt noch nie ihre Stromrechnung vergessen und ihr Leben wohl auch sonst eher im Würgegriff haben, geiern nach dem armen Schwein, dem wahrscheinlich gerade der Kühlschrank abtaut. Voller Scham und Reue versuche ich, den Automaten möglichst unauffällig mit meinem gesamten Ersparten in Scheinen zu füttern.
Bei dem lauten „RATRATRAT…“ bei jedem Schein, das in den sonst viel zu stillen Büroraum schallt, ist aber alle Mühe vergebens. So muss die Hölle aussehen, denke ich und stelle mir vor, wie man dort bei einem ähnlichen Teufelsgerät noch schnell einen Last-Minute-Ablassbrief ziehen kann, wie ich jetzt meinen Zahlungsbeleg. Mein Ticket ins Licht! Dem Sachbearbeiter muss ich dann auch nichts mehr beichten, er hat das selbsterklärende „RATRATRAT…“ ja gehört. Als wir uns unterhalten, weiß ich nicht, wer sich von uns beiden gerade mehr wünscht, an einem anderen Ort zu sein. Seiner Laune nach zu urteilen, ist er der Gewinner. Obwohl, eigentlich gibt es in dieser Geschichte nur Verlierer:innen. Es ist Freitag, 15 Uhr, und damit schon fast Dienstschluss.
Von purer Verzweiflung getrieben, schaffe ich auszuhandeln, dass wir noch am selben Tag unseren Strom zurückbekommen. Nach einem Anruf beim diensthabenden Saft-Abdreher bekomme ich einen Termin: in zehn Minuten. In lebensmüder Geschwindigkeit fahre ich nach Hause, um dort dann weitere zweieinhalb Stunden auf den Mann zu warten, der uns Erleuchtung bringen soll. Währenddessen starre ich auf die Drahtschlinge am Sicherungskasten, die man wahrscheinlich auch mit einem Nagelknipser abbekommen würde. Aber das ist natürlich verboten.
Stattdessen kommt dann endlich der Strom-Mann, um das Ding abzuknipsen, was mich weitere 50 Euro Gebühren kostet. Aber ich bin so froh, dass wir wieder Licht im Kühlschrank und kein Netflix-freies … äh, ich meine kein Arte-freies Wochenende bei Kerzenschein haben, dass mir das in dem Moment fast egal ist.
von Josefine Wagner
...studiert Chemie und schreibt seit 2022 für den ruprecht. Sie leitet das Ressort Wissenschaft.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.