Kolonialismus in Heidelberg? Der Podcast heidelberg.kolonial spricht über die deutsche Kolonialgeschichte und darüber, wo ihre Spuren im Heidelberger Stadtbild zu finden sind
Es ist kein Geheimnis und doch wird dieser Teil der Geschichte oftmals übersehen: Auch Deutschland war eine zentrale Kolonialmacht. Obgleich dieser Fakt den meisten Menschen bekannt sein dürfte, spielt es im Alltag vieler eine kleinere Rolle, wie die konkreten Auswirkungen des Kolonialismus unsere Wahrnehmung von der Welt noch heute beeinflussen – national wie international. Gerade in Deutschland schwang über Jahrzehnte hinweg ein Grundtenor in Diskussionen bezüglich der deutschen Kolonialgeschichte mit: Gegenüber Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal und den Niederlanden seien wir eigentlich eine verhältnismäßig kleine Macht gewesen – so die Überzeugung vieler.
Diese Argumentation genügte einem Großteil der deutschen Gesellschaft lange Zeit als Rechtfertigung für die zu geringe Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Dass weder die Größe der Kolonialmacht noch die Anzahl der Kolonien das Leid, das den Menschen in den kolonialisierten Gebieten widerfahren ist, relativieren, wurde in den Köpfen vieler ausgeklammert. So wie die Tatsache, dass die Auswirkungen des Kolonialismus unsere Welt bis heute prägen, und dass an Schulen noch immer verhältnismäßig wenig darüber unterrichtet wird.
Eine Heidelberger Initiative, die sich nicht nur für die Erinnerungskultur, sondern auch für die Auseinandersetzung mit den Spuren des Kolonialismus in der Stadt einsetzt, ist der Podcast heidelberg.kolonial. Ins Leben gerufen wurde er von sechs Heidelberger Studierenden, die sich auch in ihren Fachrichtungen mit gesellschaftlichen Themen beschäftigen: Sie studieren Politikwissenschaft, Jura, Ethnologie oder Bildungswissenschaften. „Im Prinzip ist es immer so ein Hintergrundrauschen in unseren Köpfen, dass Kolonialismus und Rassismus noch immer so präsent sind und nicht genug darüber gesprochen wird.
Und weil Kolonialismus gerade mit Rassismus so eng zusammenhängt, muss das Thema aufgearbeitet werden“, erklärt Leonie, eine Mitbegründerin von heidelberg.kolonial. Auch wenn diese Metapher das Nachwirken des Kolonialismus passend illustriert, so trifft die Beschreibung „Hintergrundrauschen“ mit Sicherheit nicht auf den Podcast zu: Mit klaren Statements nutzen die Studierenden ihre Stimmen, um Deutschlands Kolonialvergangenheit, die über Jahrzehnte hinweg übergangen wurde, mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Besprochen werden dabei vor allem die kolonialen Auswirkungen in Heidelberg.
„Ich glaube, die meisten haben erst mal nicht so auf dem Schirm, dass es in einer kleinen harmonischen Universitätsstadt oder ihrem Umfeld viele koloniale Spuren gibt“, so Pauline, ein weiteres Teammitglied des Podcasts. „Diskussionen wie die Umbenennung von Straßennamen werden in Heidelberg einfach nicht so groß thematisiert wie in anderen Städten.“Der Anspruch des Podcasts ist es, das komplexe Thema Kolonialgeschichte verständlich und differenziert aufzubereiten – ohne wissenschaftlichen Duktus, dafür mit viel Nähe zur Realität.
Die erste Folge „Kolonia-was? Ich dachte, wir sind in Heidelberg“ erschien im Dezember 2022 und ist eine Art Pilotfolge, die einen Überblick über das Thema geben und als Grundlage für die weiteren Folgen dienen soll. Ab Folge zwei beginnt das eigentliche Konzept des Podcasts: eine auditive Stadtführung durch Heidelberg. Auf diesem digitalen Rundgang sollen die Hörer:innen von Station zu Station geleitet werden und dabei mehr über den kolonialgeschichtlichen Hintergrund des jeweiligen Ortes erfahren. Besonders wichtig ist dem Team dabei, so viele Perspektiven und Hintergründe miteinzubeziehen wie möglich.
Gerade Stimmen aus ehemaligen Kolonien möchten sie in den Vordergrund stellen. „Was wir im Podcast erzählen wollen, ist nicht diese immer selbe Geschichte, die normalerweise in den deutschen Lehrbüchern steht“, unterstreicht Leonie. Die erste Idee für den Podcast hatte das Team im Sommer 2020. Bereits zuvor kannten sie sich über ihre Tätigkeit bei Migration Hub Heidelberg, einem Netzwerk, das sich für soziales Engagement einsetzt und seinen Mitgliedern Raum bietet, verschiedene Projekte umzusetzen, die sich häufig mit Antidiskriminierung und migrantischen Perspektiven befassen.
Die Grund-idee des Podcasts basiert auf einem Vorgängerprojekt des Vereins Schwarzweiss, der vor einigen Jahren Stadtführungen zur Kolonialgeschichte in Heidelberg anbot. „Es hat damit angefangen, dass wir erst allgemein Rundgänge machen wollten, aber uns wegen der Pandemie dann überlegt haben, wie man das ganze so gestalten kann, dass es für alle zugänglich ist“, erklärt Leonie. Inzwischen bietet heidelberg.kolonial neben dem Podcast ebenfalls Stadtrundgänge an. Es sei eine Art Wissenstransfer vom Verein Schwarzweiss auf das Projekt heidelberg.kolonial gewesen. Zusätzlich käme das im Podcast vermittelte Wissen aus Workshops von Expert:innen und der eigenen Recherche.
Für geplante Folgen wie etwa über das Völkerkundemuseum oder die Heidelberger Burschenschaften sei zudem vorgesehen, Gäste in den Podcast einzuladen, die sich mit dem jeweiligen Thema beschäftigt haben. Eines der aktuellen Projektfelder von Migration Hub ist Decolonize Heidelberg, in dessen Rahmen das Podcastprojekt gegründet wurde. Ein offener Brief im Juni 2020 war eines der ersten umgesetzten Vorhaben von Decolonize Heidelberg. Darin wird unteranderem an die Verantwortung der Stadt Heidelberg appelliert, keine rassistischen und kolonialen Darstellungen im Stadtbild zu akzeptieren.
Außerdem wird dazu aufgefordert, die Reproduktion rassistischer Denkmuster zu bekämpfen. Zudem wird im Schreiben eine Aufarbeitung der Kolonialgeschichte Heidelbergs durch offizielle Seite verlangt. Ohne Podcasterfahrung, aber dafür mit Unterstützung von Migration Hub, Schwarzweiss und Mosaik Deutschland, begann das Team von heidelberg.kolonial mit der Umsetzung ihres Projekts. Viel Arbeit habe laut Leonie vor allem der Rechercheprozess gekostet, dabei würde von Folge zu Folge geplant. „Das ist aber ein sehr langer Prozess, einfach auch, weil wir alle super viel zu tun haben und alle studieren“, fügt sie hinzu. Für den Aufnahmeprozess und das Schneiden musste sich das Team allerdings Hilfe suchen.
Wie viel Zeit und Engagement die Studierenden freiwillig in das Projekt heidelberg.kolonial investieren, macht ihre Botschaft noch deutlicher: Kolonialismus als nachhaltig prägender Bestandteil der deutschen Geschichte darf nicht mehr ausgeklammert werden. Noch immer beeinflusst er unseren Alltag – im Stadtbild, im Bildungssystem, in der Politik. Mit diesen „kolonialen Kontinuitäten“, wie sie im Podcast benannt werden, muss sich auseinandergesetzt werden. Kolonialismus geschah und geschieht nicht nur dort, weit weg, sondern genau hier und heute: auf der Mikroebene, in Heidelberg, in unseren Denkstrukturen. Daher wird im Podcast appelliert: „Um etwas verstehen und ändern zu können, muss man erst mal die eigene Kolonialgeschichte kennen.“
von Mona Gnan
...studiert Germanistik im Kulturvergleich und Geschichte. Sie schreibt seit 2021 für den ruprecht. Mona berichtet gerne über Kultur, die Welt und alle möglichen Diskurse. Eigentlich über alles, was die Gesellschaft gerade bewegt - oder bewegen sollte.