In Heidelberg gibt es zu viele Raucherkneipen. Was soll das?
Wenn man einem Schild hinter der Theke im Drugstore Glauben schenkt, würde Helmut Schmidt dort rauchen. Das wäre alles andere als rebellisch von ihm, denn die Kneipen in der Heidelberger Altstadt bewahren Tradition und vermutlich die badische Lungenkrebsrate vorm Sinken.
Im Bundesvergleich hat Baden-Württemberg eines der schwächsten Nichtraucherschutzgesetze – sogar Bayern ist hier fortschrittlicher – und eine Vielzahl neu zugezogener Erstis muss wohl in der Unteren einen wahren Kulturschock überwinden.
Rühmen sich die Heidelberger Studierenden ansonsten doch gerne mit ihrer Progressivität, kann es einen sehr verwundern, dass sie nicht längst angefangen haben, das altmodische Indoor-Rauchertum zu boykottieren. Die junge Generation geht ins Gym, ernährt sich sehr bedacht, geht für die Umwelt auf die Straße, Inklusion ist ein Dauerthema. Und dann, nach jahrzehntelangen Aufklärungskampagnen über die gesundheitlichen Folgen, trifft man sich am Abend in der guten alten Raucherkneipe.
Für Menschen, die schon Atemwegserkrankungen haben oder sie wirklich nicht bekommen wollen, löst sich hier die Inklusivität in Rauch auf. Sie werden aus diesem Teilbereich des gesellschaftlichen Lebens vollkommen ausgeschlossen oder stellen sich zumindest unfreiwillig ins soziale Aus. Alternativen, die man vorschlagen könnte, sind schließlich häufig abgelegener und teurer. Der Mittelweg, also ein „abgetrennter” Raucherbereich, ist oft ein schlechter Scherz.
Offensichtlich zählt für die Servicemitarbeitenden in diesem Wirtschaftszweig auch kein Arbeitnehmerschutz vor Passivrauch. Vielleicht werden ja immerhin die eigenen Raucherpausen als Arbeitszeit verrechnet, als fairer Ausgleich für erhöhte Mortalitätsraten.
Ob im wahrsten Sinne des Wortes toxische Gruppendynamik oder ob Unwissenheit: Immer noch ist etwa ein Prozent der jährlichen Todesfälle in Deutschland den Folgen des Passivrauchens zuzuschreiben. Ob das zweite Schild im Drugstore „Therapiezentrum für alle Kassen” dadurch weniger witzig wird, muss jede:r für sich entscheiden. Immerhin hat man es im Fall der Fälle nicht weit: Das Deutsche Krebsforschungszentrum ist ja gleich nebenan in Neuenheim.
Ein Kommentar von Carolin Roder
Carolin Roder studiert Soziologie. Seit dem Sommersemester 2023 schreibt sie für den ruprecht. Am liebsten über gesellschaftliche Themen und alles das, was eigentlich verändert gehört.