In Australien spaltet ein Referendum über die Rechte der indigenen Bevölkerung den Kontinent – auch die Indigenen selbst
Mit tränenerstickter Stimme verkündete Australiens Premierminister Anthony Albanese bei einer Pressekonferenz Ende März, worauf viele Australier:innen sehnlichst gewartet hatten: Noch Ende des Jahres soll eine Volksabstimmung darüber entscheiden, ob die indigene Bevölkerung in der Verfassung anerkannt wird und eine Stimme im Parlament erhält. „Es ist ein bescheidenes Anliegen. Ich rufe ganz Australien auf: Nutzt diese Chance!“, warb der Sozialdemokrat, der das Vorhaben nach dem Wahlsieg im Mai 2022 zu seinem Herzensprojekt erklärt hatte.
Konkret geht es bei dem Referendum mit dem Titel „Voice to Parliament“ um die Errichtung eines Gremiums, das die Regierung in allen Ureinwohner-Fragen beraten soll. Bereits auf einem Verfassungskonvent im Mai 2017 hielten Indigene im „Uluru Statement of the Heart“ ihr Reformstreben fest. Es gehe ihnen darum, als indigene Völker – die den Kontinent seit rund 65.000 Jahren bewohnen – gestärkt zu werden und ihren rechtmäßigen Platz im eigenen Land einzunehmen. Weiter hieß es: „Die Ureinwohner-Stimme muss in der Verfassung verankert sein, damit sie nur von euch, der australischen Bevölkerung, verändert werden kann – nicht von den Launen der Regierung“. Bis dato werden indigene Völker in Australiens Verfassung nicht erwähnt, Bürgerrechte erlangten sie erst 1967.
Dass Ureinwohner:innen – wie der Name des Referendums suggerieren könnte – bislang gar keine Stimme im Parlament hatten, stimmt jedoch nicht. Immerhin sind elf der 227 Abgeordneten auf Bundesebene indigener Abstammung. Seit 1972 gibt es zudem ein Ministerium für indigene Australier:innen. Dennoch erfahren viele indigene Völker geografische und soziale Isolation. Häufig ist ihre Lebensrealität von Arbeitslosigkeit, häuslicher Gewalt und Alkoholmissbrauch geprägt. Nicht zuletzt schlägt sich dies in der geringeren Lebenserwartung der Indigenen nieder, die in den abgelegensten Gebieten sogar 14 Jahre unter jener der restlichen Bevölkerung liegt. Auch Kinder sind von enormer Benachteiligung betroffen: Laut Amnesty International sei das Risiko ins Gefängnis zu kommen für indigene Kinder 24 Mal höher als unter ihren nicht-indigenen Mitschüler:innen. Dass diese Unterschiede strukturellen Ursprungs sein müssen, wird im „Uluru Statement of the Heart“ ebenfalls betont: „Wir sind kein von Natur aus kriminelles Volk. Unsere Kinder werden in noch nie da gewesenem Ausmaß ihren Familien entrissen. Das kann nicht daran liegen, dass wir keine Liebe für sie übrighaben.“
Laut Linda Burney, amtierende Ministerin für indigene Australier:innen, sei das Referendum eine einfache Frage, gar eine Herzenssache. „Wollt ihr bessere Umstände für Ureinwohner-Völker, indem wir sicherstellen, dass unsere Stimme immer gehört wird?“, bringt sie das Anliegen auf den Punkt. In welchen Fällen die indigene Stimme gehört werden muss, stellt derweil einen der größten Kritikpunkte am Referendum dar. Vor allem aus den Reihen der Opposition wird argumentiert, dass sich jede Regierungsentscheidung auf alle Bürger:innen, und somit auch Ureinwohner:innen, auswirke. Im Umkehrschluss müsse man das indigene Gremium theoretisch bei allen Themen zurate ziehen. Skeptische Stimmen befürchten daher ausufernde Befugnisse und verweisen auf den benachbarten Inselstaat Neuseeland, wo der Stamm der Maori beträchtliche politische Mitspracherechte genießt.
Doch auch manch indigene Australier:innen sprechen sich gegen die vorgeschlagene Verfassungsänderung aus, so zum Beispiel Jacinta Price, Burneys liberale Schattenministerin und Gesicht der Nein-Kampagne. Ein elitäres Gremium in der Hauptstadt Canberra könne die Probleme der indigenen Völker vor Ort nicht beheben – erst recht nicht, wenn man die enormen Unterschiede der rund 500 indigenen Stämme und ihrer 900.000 Mitglieder bedenke. Zudem dürfe man das Land nicht nach ethnischer Herkunft einteilen. „Ich werde für Nein stimmen, weil es uns nicht vereinen, sondern spalten wird“, resümiert Price.
Ob sich die Verfassungsänderung, über deren Gesetzentwurf das Parlament im Juni abstimmt, als Erfolg erweisen wird, liegt letztendlich an der Zustimmung der Australier:innen. Formell ist eine doppelte Mehrheit nötig: eine Mehrheit in vier der sechs Bundesstaaten sowie die der Gesamtstimmen. Laut Umfragewerten des Marktforschungsinstituts Roy Morgan verzeichnet das Ja-Lager mit 46 Prozent derzeit noch einen geringen Vorsprung gegenüber der Nein-Stimmen mit 39 Prozent. Da es in Australien eine Wahlpflicht gibt und Unentschiedene bei Referenden erfahrungsgemäß zum Nein tendieren, muss sich erst noch zeigen, ob Albanese sein Versprechen erfüllen kann.
Von Luzie Frädrich
Luzie Frädrich studiert Politikwissenschaft und Economics. Sie schreibt seit 2021 für den ruprecht. Ihr Interesse gilt insbesondere politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, darunter auch feministische Themen.