Wer in die Wissenschaft will, muss leiden. Doktorand:innen und Postdocs werden häufig mit zu kurzen Befristungen angestellt, die sie unter enormen Druck setzen. Grund dafür ist ein Gesetz, an dem die Ampel sich die Zähne ausbeißt
Bachelor, Master, Promotion, Habilitation. Es hängt ein elitärer Hauch an diesen Worten. Dabei ist die Situation von Nachwuchswissenschaftler:innen vor allem Eines: prekär. Kaum Freizeit, kaum Gehalt, kaum Rechte. Viele können sich von ihrem Lohn gerade mal die Monatsmiete leisten. Und ständig tickt die Uhr, denn Promovierende und Postdocs sind befristet angestellt, und das teilweise in Intervallen von zwei Monaten.
Bei normalen Arbeitgeber:innen wäre das nicht legal, doch die Universitäten haben ein Werkzeug dafür, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Es erlaubt befristete Verträge für insgesamt sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion. Doch in der Praxis haben Doktorand:innen eine durchschnittliche Vertragslaufzeit von unter zwei Jahren – viel zu kurz für die allermeisten Studiengänge.
In der Soziologie dauert eine Promotion meist vier bis fünf Jahre. Dennoch bekommt man als Doktorand: in keine vierjährige Befristung. Die Dauer und der Umfang der Stellen steigen und fallen mit der Finanzierung. „Ich habe auf einer Hiwistelle angefangen, weil gerade nichts anderes da war“, erzählt Lukas Pfäffle, Postdoc am Max-WeberInstitut für Soziologie.
Das Budget am Lehrstuhl ist knapp bemessen. Doch durch kurze Befristungen können die Finanzen mit dem Personal ausgeglichen werden. „Teilzeitverträge sind keine Ausnahme, sondern die Regel. Trotzdem arbeitet man Vollzeit. Bei der Forschung ist nicht einfach Feierabend, besonders wenn ich in drei Jahren fertig werden soll.“ Das System wälze die Unsicherheiten des Wissenschaftsbetriebs auf die Doktoranden ab, sagt Pfäffle. „Wenn mal eine Finanzierung nicht klappt, dann ist das zwar auch für den Professor blöd, aber seine Stelle hängt nicht daran.“
Die durchschnittliche Vertragslaufzeit von Promovierenden liegt laut dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs aus dem Jahr 2021 bei 22 Monaten. Eine Promotion dauert deutlich länger. Die Befristungen, die sich der Bund durch das WissZeitVG geschaffen hat, wird er nun nicht mehr los.
Schon 2016 sollte eine Änderung des WissZeitVG diesen Umstand verbessern. Doch es hat sich kaum etwas geändert, immer noch befinden sich zu viele junge Wissenschaftler: innen in extrem kurz befristeten Verträgen. 2021 führte ein Rechtfertigungsversuch des WissZeitVG zu einer Protestwelle auf Twitter, die #ichbinHanna-Bewegung war geboren. Mit der AmpelKoalition soll sich nun etwas ändern. Im Frühling vergangenen Jahres hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Beteiligungsprozess zur Novellierung des Gesetzes begonnen. Im März legte es eine erste Skizze des Gesetzes vor. Der Plan: In der PostdocPhase sollten Befristungen nur noch bis zu drei Jahren möglich sein. Doch Hochschulen und Nachwuchswissenschaftler: innen lehnten die Idee einvernehmlich ab: Eine Verkürzung um drei Jahre ginge in die völlig falsche Richtung.
„Der Vorschlag wurde direkt wieder zurück in die Montagehalle geholt“, erzählt Theresia Bauer, Landtagsabgeordnete in BadenWürttemberg und ehemalige Landesministerin für Wissenschaft und Forschung. „Ich habe mich über diesen Rückruf sehr gefreut. Das war ein Versuch, es allen recht zu machen. Stattdessen hat es keinem geholfen.“
In der heiklen Phase nach der Promotion müsse die Politik zwei Dinge unter einen Hut bringen: das Bedürfnis nach einer sicheren Anstellung und die Möglichkeit, aus der Wissenschaft auszusteigen. „Es promovieren viel mehr Menschen, als danach im Wissenschaftssystem verbleiben können. Das ist gesamtgesellschaftlich sinnvoll, aber individuell sehr brisant“, erklärt Bauer.
Doch schon vor Abschluss der Promotion stößt man im Wissenschaftsbetrieb auf Gegenwind. So ging es auch Mareike Schmidt*. Sie kam 2019 nach Heidelberg, um am DKFZ zu promovieren. „Die ersten Monate habe ich super viel gearbeitet. Ich musste für meine Experimente jeden Tag ins Labor und habe jede Woche 60 bis 80 Stunden bei der Arbeit verbracht. Ich hatte gar keine soziale Gruppe, nur die Arbeit. Das war wirklich anstrengend.“
Auch bei ihr kam der ständige Befristungsdruck hinzu. „Mein erster Arbeitsvertrag war auf drei Jahre befristet bei einer Bezahlung von 65 Prozent des tariflichen Lohns. In meinem Institut braucht man aber durchschnittlich drei Jahre und elf Monate für eine Doktorarbeit.“
Schmidts Vertrag wurde nach Ablauf der drei Jahre zwar verlängert, doch nur auf ein halbes Jahr und schließlich auf weitere zwei Monate. Schmidt muss sich vermutlich nach der Abgabe ihrer Doktorarbeit in der Arbeitslosigkeit auf die Verteidigung vorbereiten.
Warum braucht die Wissenschaft überhaupt ein derart enges Befristungssystem? Laut Carolin Wagner, Bundestagsabgeordnete der SPD, ist das Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft vor allem für die Promotionsphase nachvollziehbar. Dort sei eine Befristung über zwei Jahre hinaus nötig, um die grundlegende Qualifizierung für die Wissenschaft abzuschließen.
In der Postdoc-Phase müsse das Sonderbefristungsrecht kritischer betrachtet werden, da der Nachweis über die Eignung für die Wissenschaft mit der abgeschlossenen Promotion eigentlich vorgelegt wurde. Die SPD-Bundestagsfraktion strebt stattdessen an, dass nach der Promotion eine Orientierungsphase folgen soll, befristet auf zwei Jahre. In dieser Zeit könnten Teilpublikationen abgeschlossen und eine Stelle als Postdoc gesucht werden, auf der dann die zweite Qualifizierungsarbeit erfolgt. Diese Postdoc-Stelle sei mit einer Entfristungszusage verknüpft: Erreichen die Angestellten die abgesprochenen Ziele innerhalb der Befristung, werden sie anschließend entfristet. „Uns ist wichtig, dass diejenigen, die den langen Weg der zweiten Qualifizierung gehen und etwa eine Habilitation erstellen und abschließen, dann auch die Sicherheit haben, nach Zielerreichung entfristet zu werden.“
Die von der SPD vorgeschlagene Regelung mit „Anschlusszusage“ bildet ein Stück weit die Realität des Wissenschaftsbetriebs ab: Nur, wer wirklich gut ist, erhält am Ende eine befristete Stelle. Der entscheidende Punkt ist, dass man als Postdoc bisher keine verbindlichen und objektiven Befristungszusagen in Aussicht hat. Die Anschlusszusage wäre genau das: ein Licht am Ende des Tunnels, statt im Leeren zu stochern.
Am Ende lief es bei der Ampel aber auch hier auf einen Kompromiss hinaus: Statt der geforderten zwei plus zwei Jahre Befristung einigte man sich auf drei Jahre. Dass der Vorschlag abgelehnt wurde, könnte auch an fehlender Kommunikation der Ursprungsidee liegen. Vor allem aber löst die Novelle viele Probleme nicht, wie auch Bauer anmerkt. „Das Wichtige ist, mehr Stellen zu schaffen. Doch diese heiße Kartoffel wird einfach an die Länder weitergereicht: Schöpft doch ausreichend Stellen, dann habt ihr das Problem nicht. Das ist weder wissenschaftsadäquat noch realistisch.“
Auch Pfäffle sieht in der kürzeren Befristung noch keine Lösung. „Die Idee, schneller aus der Befristung zu kommen, ist an sich gut. Aber es gibt keine Stellen für diese Leute. Der Flaschenhals setzt einfach früher an.“ Eine kürzere PostdocPhase führe dazu, dass neben Publikationen kaum Zeit für Lehre oder komplexere Forschungsfragen bleibe. Dass die Befristung im Postdoc zu einer schnelleren Qualifizierung führe, kann er nur zum Teil nachvollziehen. „So eine existenzielle und starre Frist wie das Ende des Arbeitsvertrags ist aber nicht der richtige Weg.“ Es sei eher Aufgabe der Betreuenden, Fristen zu setzen.
Schmidt hält die aktuellen Regelungen nicht für zukunftsfähig. „Das System generiert junge Gruppenleiter, die keine Führungsqualitäten haben. Sie können gut publizieren, aber keine Menschen managen.“ Der hohe Druck im Wissenschaftssystem fordere auch mentalen Tribut. „Den meisten Doktoranden geht es psychisch nicht gut. Ich kenne Kollegen, die sich aus Angst vor Nachteilen am Arbeitsmarkt keine Hilfe holen“, erzählt Schmidt.
Lange Arbeitszeiten und wenig Anerkennung nagen am Selbstbewusstsein. Die Quote psychischer Erkrankungen unter Promovierenden ist deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung.
Ein strengeres Arbeitsrecht könnte zwar helfen, meint Schmidt, „andererseits steht im Arbeitsschutzgesetz schon, dass man zwischen zwei Arbeitstagen mindestens elf Stunden Pause machen muss. Das war bei mir absolut nicht gegeben. Und ich bin nicht die Einzige, in der Biologie ist das ganz schlimm.“
Der Weg in die Wissenschaft, da sind sich alle vier einig, ist kein leichter. „Woanders wird man bessere Arbeitsbedingungen haben und mehr Geld verdienen. Für den Doktortitel lohnt sich das nicht“, meint Pfäffle. Wagner betont: „Man muss wissen, dass man sich auf einen hohen Konkurrenzdruck einlässt.“ Auf hundert Bewerbungen kommen gerade einmal vier Professuren.
Mareike Schmidt hat sich entschieden: Sie wird nach ihrer Doktorarbeit nicht in der Wissenschaft bleiben. „Ich bin nicht bereit, mein Privatleben aufzugeben, nur um eventuell mal eine unbefristete Stelle zu bekommen. Ich gehe lieber in eine Branche, wo ich gut bezahlt und gut behandelt werde. Ich will, dass meine Arbeit wertgeschätzt wird.“ Klar ist: Es muss sich etwas ändern. Bauer sieht die wichtigsten Stellschrauben bei der Schaffung unbefristeter Stellen und der Verlängerung von Vertragslaufzeiten. Doch dazu müsste sich im System viel ändern, merkt Pfäffle an. „Das System ist von oben nach unten organisiert. Und unten, da sitzen die Doktoranden. Sie müssen all die Widersprüche und Unsicherheiten aushalten.“
* Name von der Redaktion geändert
Von Lena Hilf
...studiert Physik und schreibt seit Oktober 2019 für den ruprecht. Besonders gerne widmet sie sich Glossen, die oft das alltägliche Leben sowie wissenschaftlichen oder politischen Themen. Sie leitete erst das Ressort Hochschule und später das Ressort Wissenschaft.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.