Viele Studis prügeln sich den Lernstoff ins Kurzzeitgedächtnis, um ihn dann wieder zu vergessen – muss das sein?
Der Ausdruck „Bulimie-Lernen“ ist wohl jeder und jedem ein Begriff. Kennt man es nicht aus der Uni, so kann man sich bestimmt noch gut an eine Situation aus der Schulzeit erinnern, in der man den Abend vor einer Klausur damit verbracht hat, hektisch den Stoff auswendig zu lernen.
Mit etwas Glück und Koffein kann bulimisches Lernen zum Bestehen der Klausur führen. Nachhaltig ist es aber nicht. Wer sich das Wissen über einen kurzen Zeitraum hinweg meist panisch aneignet, der weiß Wochen danach nicht mehr viel von dem Gelernten. Wenn „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ dem Bulimie-Lernen zum Opfer fällt, ist das nicht so tragisch. Im Studium aber hat man es schwer, wenn plötzlich essenzielles Wissen fehlt.
Trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Effektivität der verschiedenen Lern- und Lehrmethoden sind Prüfungsformate, die das Bulimie-Lernen begünstigen, immer noch aktuell. Das ist jedoch auch abhängig von den jeweiligen Studiengängen.
Während die Geisteswissenschaftler:innen im Sommersemester in einem Café ihre Hausarbeit schreiben, sitzen die Naturwissenschaftler:innen in der unterkühlten Universitätsbibliothek und lernen für ihre Klausuren – gemeinsam mit den Jurist:innen, natürlich.
In den Sozialwissenschaften verhält es sich ähnlich – dort gibt es zwar auch Seminare und Hausarbeiten, die Klausur als Prüfungsformat erfreut sich doch auch hier großer Beliebtheit. Das bedeutet aber nicht, dass man Prüfungen, in denen die reine Wissensvermittlung im Vordergrund steht, im Voraus verteufeln sollte. Es kann auch wichtig und notwendig sein, sich faktenbasiertes Wissen anzueignen, um beispielsweise die Theorie eines Papers nachvollziehen zu können – oder eine OP am offenen Herzen durchzuführen.
Aber wieso lernen wir so unterschiedlich in den jeweiligen Studiengängen? Birgit Spinath, Leiterin der Pädagogischen Psychologie an der Universität Heidelberg, sagt hierzu: „Man muss die einzelnen Studiengänge auch in ihrer Gesamtheit betrachten. Während beispielsweise in einem Medizinstudium gerade am Anfang die Wissensvermittlung im Fokus steht, kann man gegen Ende des Studiums einen höheren Praxisanteil beobachten.“ Zudem orientiere sich die Wahl der Prüfungsformate auch immer an dem Schwerpunkt des Studiums, so Spinath.
Dennoch gebe es für Dozierende einige Möglichkeiten, die traditionellen Prüfungen nachhaltiger zu gestalten, sagt Spinath: „Zunächst ist es wichtig, die Bandbreite an Prüfungsformaten zu nutzen und sich nicht nur auf ein einziges Format zu konzentrieren. So können verschiedene Fähigkeiten der Studierenden geprüft werden.“
Schon im Hörsaal können Lehrende also beeinflussen, wie nachhaltig sie ihren Kurs und damit das Lehrangebot gestalten wollen. Spinath selbst setzt in ihren Vorlesungen auf Methoden, die kontinuierliches Wissen fördern. Hierzu gehört beispielsweise die Möglichkeit von Selbsttests oder Essayaufgaben mit individuellem Feedback über das gesamte Semester hinweg. Doch findet man Bemühungen, hochschuldidaktische Erkenntnisse in die Vorlesung einfließen zu lassen auch in anderen Studiengängen?
„In der Medizin wird zum Teil von den Lehrenden der Erwerb eines hochschuldidaktischen Zertifikats wie dem des Landes Baden-Württemberg erwartet. Darüber hinaus gibt es auch Angebote der Universität, die darauf abzielen, hochschuldidaktische Fähigkeiten an Lehrende zu vermitteln“, erklärt Spinath.
Die gute Nachricht: Bulimie-Lernen ist kein unveränderlicher Zustand Die eher schlechte: Wie viel Anstrengungen das eigene Institut in die nachhaltige Lehre steckt, können wir nur teilweise beeinflussen. Letztendlich sollte man sich aber auch an die eigene Nase fassen: Wie nachhaltig man lernt, hängt natürlich auch von der eigenen Motivation ab.
Von Chantal Graßelt