Seit Januar kämpfen Studierende in Frankreich gegen die Rentenreform und für mehr Mitbestimmung an der Universität – auch an der Sorbonne
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat im Januar angekündigt, das Rentenalter für Franzosen und Französinnen von 62 auf 64 Jahre anzuheben. Begründet hat Macron sein Vorhaben mit dem Haushaltsdefizit: Durch den demographischen Wandel würden dem Staat Kosten entstehen, welche die Bevölkerung mit zwei Jahren mehr Arbeit ausgleichen soll.
Seitdem finden in Frankreich Streiks gegen die Reform statt. Es geht dabei um mehr als nur die Rente: Macron wird Ignoranz, Elitarismus und Demokratiefeindlichkeit vorgeworfen. Ein Großteil der Bevölkerung will, dass die Reform zurückgerufen wird. Die Proteste werden radikaler. Unterstützt werden Arbeiter:innen von jungen Menschen, darunter viele Studierende aus der Hauptstadt.
Kurz nach Bekanntwerden der Reformpläne hat mein Auslandssemester an der Sorbonne in Paris begonnen. Die Universität ist auf mehr als zehn Campus im Stadtgebiet aufgeteilt. An einigen Standorten sind die Studierenden in politischen Interessensgruppen (Syndicats) organisiert. Sie kämpfen gegen die Rentenreform, aber auch für mehr Mitbestimmungsrechte. Denn an der Sorbonne gibt es weder Fachschaften, noch Parlament oder andere Partizipationsmöglichkeiten für Studierende. Die Mitglieder der Syndicats wollen nicht länger politisches Desinteresse vorgeworfen bekommen, sondern mitentscheiden – an der Universität und landesweit. Seit Januar haben sie deshalb an mehr als 15 Tagen verschiedene Zentren der Sorbonne blockiert.
Die Verwaltung duldet die Blockaden aus Angst vor Polizeigewalt. Jeden Morgen wird bekannt gegeben, welche Campus geschlossen bleiben. Meine Dozent:innen und Kommiliton:innen gehen damit um wie mit dem Wetter: Heute regnet es, morgen ist Streik. Die meisten Studierenden wohnen in winzigen Zimmern und sind auf die Infrastruktur der Universität angewiesen. Dennoch nehmen sie die Blockaden hin, man lebt damit. Wofür die Syndicats genau kämpfen, ist vielen jedoch nicht klar.
Bemerkenswert ist, dass die Seminare an der Sorbonne viel hierarchischer strukturiert sind als in Heidelberg. Die Studierenden werden mit Vornamen angesprochen, nie wird kritisch nachgefragt – was der Prof sagt, gilt. Wie passt das mit dem politischen Kampfgeist der Demos und Blockaden zusammen? Die Proteste haben eine gewaltige Kraft, viele junge Menschen kämpfen für ihre Interessen, schließen sich selbstverständlich der Bewegung an. Man kann sich die Haltung nur mit der Geschichte Frankreichs und einer anderen politischen Kultur erklären: Streik, Arbeitskampf und Regierungskritik sind Teil des französischen Selbstverständnis. Die politische Autorität geht hier von den Gewerkschaften aus. Warum man den Protest unterstützt, klärt sich für manche erst im zweiten Schritt.
Es scheint paradox, dass in Frankreich ein machtkritischer Mainstream existiert. Die Masse folgt im Streit um die Rentenreform nicht automatisch dem mächtigeren Akteur, stattdessen ist Regierungskritik Standard. Die Unterstützung der Jugend ist dabei ein entscheidender Faktor. Nicht nur einmal habe ich mir diese Vehemenz auch für den Kampf um mehr Klimaschutz bei uns gewünscht.
Von Frieda Fiedler