Die UNESCO in Paris hat den Heidelberger Codex Manesse zum Weltdokumentenerbe ernannt. Er ist eines der wichtigsten Zeugnisse mittelalterlicher Liebeslyrik
Heidelberg hat längst Literaturgeschichte geschrieben: Zwischen der Heidelberger Romantik und zahlreichen der Stadt gewidmeten Oden hat das auch die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO) erkannt. Im Dezember 2014 wurde Heidelberg als „UNESCO Stadt der Literatur“ ausgezeichnet; im März dieses Jahres folgte die Ehrung der Heidelberger Hip-Hop-Szene zum immateriellen Kulturerbe. Nun ist ein früheres Stück Literaturgeschichte von der Organisation dekoriert worden: Am 18. Mai 2023 wurde der Codex Manesse in Paris in das Weltdokumentenerbe „Memory of the World“ aufgenommen.
Die Handschrift wird von der Heidelberger Universitätsbibliothek unter der Signatur „Codex Palatinus germanicus 848“ verwahrt und ist eine der weltweit prominentesten Zeugnisse des deutschsprachigen Mittelalters. Während die prächtigen Illuminationen weltbekannt sind, ist der Codex mit seinen 426 Pergamentblättern die umfangreichste deutschsprachige mittelalterliche Lyriksammlung. Heute geht man davon aus, dass der Codex Manesse, der auch als „Große Heidelberger Liederhandschrift“ bekannt ist, zwischen 1300 und 1340 in Zürich in mehreren Phasen entstanden ist. Thematisch befasst er sich vorwiegend mit der höfischen Minne vom Beginn des frühen Minnesangs bis in die Spätphase. Die ritterlich-höfische Liedkunst ist eine Form der Auseinandersetzung der Adelsgesellschaft mit der Liebe. Auch moralisch-didaktische, politische und geistlich-religiös geprägte Sangspruchdichtung wurde verschriftlicht.
Der Codex ist in 140 Textsammlungen strukturiert, die jeweils einem Dichter zugeschrieben sind. Angeordnet wurde nach sozialen Ständen – vom Kaiser bis zum fahrenden Berufsdichter. Die Bedeutung, die der Codex für die Kenntnis der mittelhochdeutschen weltlichen Lyrik hat, ist unschätzbar: „Einige der Autoren, die im Codex Manesse vertreten sind, kennt man nur aus dieser Überlieferung. Ohne diese Handschrift wären sie und ihr Werk heute völlig unbekannt und verloren“, sagt Veit Probst, Direktor der Universitätsbibliothek.
Ab 1607 ist das Manuskript auf Bestreben von Kurfürst Friedrich IV. nach Heidelberg gekommen. Vermutlich führte die kurfürstliche Familie ihn auf der Flucht vor der Eroberung der Katholischen Liga mit. So entging er der Einverleibung in die Biblioteca Apostolica Vaticana in Rom. Ab 1657 war er im Besitz der heutigen Bibliothèque nationale de France, bis er infolge eines Tauschgeschäfts 1888 nach Heidelberg zurückkam. Auf Anordnung von Kaiser Friedrich III. wurde er an die Universitätsbibliothek übergeben. Heute wird der Codex Manesse in einem klimatisierten Tresor bewahrt und aus konservatorischen Gründen selten ausgestellt. Wer ihn trotzdem sehen möchte, kann auf der Website der Universitätsbibliothek ein Digitalisat abrufen oder das Faksimile vor Ort besichtigen.
Für Probst wirkt der Codex noch bis in die heutige Zeit: „Zahlreiche Autorbilder wurden über Jahrhunderte hinweg reproduziert, auch in Schulbüchern. Denken Sie an Kaiser Heinrich oder Walther von der Vogelweide. Hierdurch stehen diese Darstellungen für viele Menschen weltweit sprichwörtlich für ‚das Mittelalter‘.“
„Der Aufnahme in das Register der UNESCO ging ein Bewerbungsprozess voran. Vermittelt wurde die Bewerbung, die seit 2017 verfolgt wurde, über die deutsche UNESCO-Kommission. 2019 stand schon die Wahl an. Diese verzögerte sich jedoch, unter anderem wegen der Corona-Pandemie. Umso glücklicher sind wir, dass es jetzt geklappt hat“, erklärt der UB-Sprecher Martin Nissen. Das UNESCO-Programm „Memory of the World“ vereint seit 1992 Buchbestände, Handschriften, Partituren, Bild-, Ton- und Filmaufnahmen. Das Register zählt 496 Einträge, darunter 28 aus Deutschland. Tobias Bulang, Professor für Ältere deutsche Philologie in Heidelberg, sieht im Codex Manesse „ein Zeugnis vom Aufwand, den Menschen betreiben, um Kultur zu erhalten und zu feiern – das geht über den unmittelbaren Nutzen, in einer von Nützlichkeit geprägten Welt, hinaus. Und das berührt uns noch heute unmittelbar.“ Dies vereint die UNESCO mit den Schöpfern des Codex Manesse.
Von Daniela Rohleder
Bildquelle:
HERR KONRAD VON ALTSTETTEN
Codex Manesse
Große Heidelberger Liederhandschrift
Zürich, 1305-1340
Seite 249 verso, 250 recto
https://doi.org/10.11588/diglit.2222#0494
...studiert Editionswissenschaft & Textkritik im Master und ist im Herbst 2021 beim ruprecht eingestiegen. Zwischen Oktober 2022 und November 2023 leitete sie das Ressort „Studentisches Leben“. Auch thematisch widmet sie ihr Zeichenlimit gerne dem studentischen Blick auf die Umwelt – wobei sie einiges über Radiosender, Feierkultur und Elternschaft gelernt hat.