Alle zwei Wochen tagt der Studierendenrat. Er entscheidet über die Verwendung von 1,87 Millionen Euro. Die Sitzung dauert fünf Stunden, und am Ende hat die Theologische Fakultät ein E-Piano. Ein Bericht aus der studentischen Legislative
Um 23:45 Uhr kommt der Moment, auf den wir fast fünf Stunden gewartet haben: Der Stura gelangt zu Antrag 10.1: die Seligsprechung des RCDS, beantragt durch die Hochschulgruppe Die Liste. Aber von Anfang an: Jeden zweiten Dienstag um 19 Uhr versammeln sich die gewählten Vertreter:innen der Studierendenschaft der Universität Heidelberg. Die Sitzung findet im Hörsaal Neue Physik statt, einer bunkerähnlichen Bausünde in der Nähe des Philosophenwegs.
Die Stimmung unter den circa 35 Anwesenden ist einigermaßen ausgelassen. Man unterhält sich, es gibt Gemüse, Brote und Snacks. Natürlich alles vegetarisch. Die Liste hat das eigene Banner und Bier dabei. Um 19:12 Uhr eröffnet das Präsidium dann die 164. Sitzung des Studierendenrats der Universität Heidelberg und versucht dabei, mit einer großen Glocke für Ruhe unter den Anwesenden zu sorgen.
Zunächst spricht die Vorsitzende, unter anderem über die Vergabe der Öffentlichkeitsstelle und den kommenden Spieleabend. Dann berichten die Referate (die exekutiven Gremien der Verfassten Studierendenschaft). Das Kulturreferat berichtet von Gesprächen über weitere Theaterflatrates und über die Planungen zum gemeinsamen Theaterabend. Der Notlagenausschuss referiert über die Notlagenhilfe für Studierende und Probleme mit dem Bafög. Das Außenreferat hingegen erzählt von einem Gespräch mit Theresia Bauer. Unterdessen kommt jemand mit einer altmodischen Kaffeemühle herein und mahlt in der Sitzung Gewürze, während eine andere angefangen hat, zu häkeln.
Überhaupt geht das die ganze Zeit so während dieser zähen und langwierigen Sitzung: Die einen kommen später, die anderen gehen früher. Vor der Tür steht ein Grüppchen und raucht, während drinnen debattiert wird. Gelegentlich schallt das Plopp eines geöffneten Biers durch den Saal.
Nun steht der, der eben noch Gewürze gemahlen hat, auf und tritt ans Rednerpult. Er ist das QSM-Referat. QSM, das sind die Qualitätssicherungsmittel, welche die Universität vom Land erhält. Für 1,87 Millionen Euro dieser Mittel haben die Fachschaften das Vorschlagsrecht. Was nun folgt, ist ein langer, recht interessanter und einigermaßen erschütternder Vortrag über den Umgang mit diesem vielen Geld.
Es geht um Fachschaften, die vergessen, dass sie diese Mittel haben und sie nicht ausgeben, über andere, die ihre Mittel, obwohl sie dafür eben nicht da sind, vollständig an die Bibliothek des Faches weiterleiten. Und über Institute, die ihre Fachschaften über diese QSM desinformieren. Anschließend kommen einige Lesungen von Kandidaturen, die nur reine Formalia sind. Die Lesung wird eröffnet, niemand sagt etwas, die Lesung wird geschlossen.
Mao Zedong schreibt in den HeiConf-Chat: „China and Finland are friendly countries. Our relations are based on the Five Principles of Peaceful Coexistence.“ Die Theologie-Fachschaft hat die Finanzierung eines E-Pianos beantragt. Ein Änderungsantrag sieht vor, dass sie das Piano bekommen, aber nicht zur Religionsausübung verwenden dürfen.
Nun gibt es eine sehr lange Diskussion über die Ausübung von Religion an einer staatlichen Uni und schließlich über Trennung von Staat und Kirche. Letztendlich bekommt die Theologie aber doch ihr E-Piano. Auch für Andachten.
Um 22:42 Uhr wird der Redakteur aus dem Halbschlaf gerissen. Jemand fällt beim Fangen der Catchbox (ein roter Schaumstoffwürfel mit integriertem Mikrofon, der bereits seit Beginn der Sitzung durch den Raum fliegt) polternd hin. Das war eindeutig der dramaturgische Höhepunkte des Abends. Um Mitternacht enden die Sitzungen des Stura grundsätzlich. Alles, was nicht behandelt wurde, wird auf die nächste Sitzung verschoben.
So steht bereits seit langem Antrag 10.1 auf der Agenda: Seligsprechung des Rings Christlich-Demokratischer Studenten. Da der Stura an diesem Abend relativ schnell durch sein Programm kommt, gelangt er tatsächlich nach nur viereinhalb Stunden Sitzung bei eben diesem Antrag 10.1 an.
Der Saal wacht noch einmal auf, die Stimmung wird ausgelassen. Man merkt, dass einige lange auf diesen Moment gewartet haben. Es wird versucht, die Diskussion zu verhindern, doch eine Mehrheit der Mitglieder stimmt dafür.
In letzter Sekunde fällt einem Anwesenden das Mittel ein, das jeden Vorgang im Stura verhindern kann: Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit. In diesem Fall bedeutet es, dass zu wenig Mitglieder anwesend waren und die Sitzung wurde beendet. Also treten wir in die Nacht hinaus. Was lässt sich nach fünf Stunden mit dem Stura sagen?
Der Stura hat viele Möglichkeiten und Mittel. Er wird sein Geld ja nicht einmal los. Um die fast zwei Millionen Euro besser nutzen zu können, müssten sich auch mehr als nur ein winziger Bruchteil der Studierenden für die Arbeit der Legislative interessieren. Berechtigt, ihm beizuwohnen, Anträge zu stellen und zu reden, sind alle Studierenden der Universität Heidelberg.
Von Moritz Becker
Carolin Roder studiert Soziologie. Seit dem Sommersemester 2023 schreibt sie für den ruprecht. Am liebsten über gesellschaftliche Themen und alles das, was eigentlich verändert gehört.