Wenn Forschung auf Recht trifft: Kai Gräf ist gleichzeitig Doktorand am Germanistischen Seminar und ehrenamtlich als Schöffe im Gerichtssaal tätig
Alle fünf Jahre werden neue Schöff:innen gewählt – so auch 2023. Sie nehmen über eine Amtszeit von fünf Jahren als Laien an Strafverfahren an Amts- und Landesgerichten teil. Sie unterstützen damit Berufsrichter:innen ehrenamtlich bei der Urteilsfindung.
Zum Schöffenamt können sich Personen zwischen 25 und 70 Jahren zur Wahl stellen, die über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen und straffrei sind. Sie können auch von Anderen vorgeschlagen werden. Die Wahlunterlagen findet man online, kann sie aber auch bei der Kommune anfordern. Das ausgefüllte Antragsformular sendet man dann an die Kommune. Diese erstellt eine Vorschlagsliste und benachrichtigt gewählte Schöff:innen einige Zeit später.
„Das war relativ leicht“, erzählt Kai Gräf, Doktorand am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg. Seine Promotion zum „Atheismusstreit“ des 18. Jahrhunderts hat der 32-Jährige etwa zeitgleich mit seiner Amtszeit als Schöffe begonnen. Inhaltlich habe beides wirklich gar nichts miteinander zu tun, sagt Gräf, „aber das ist auch das Schöne.“
Gräf studierte von 2009 bis 2016 Geschichte, Politik und Germanistik in Heidelberg und war zu Beginn des darauffolgenden neuen Abschnitts auf der Suche nach einem Ehrenamt. Zum Schöffenamt kam er eher zufällig – er wusste, dass er während seiner Promotion in Heidelberg sein würde und beschloss, dass sich diese Zeit dafür anböte. „Man muss ja schließlich für so ein Ehrenamt auch planen können, ob man überhaupt auf absehbare Zeit vor Ort ist“, so Gräf.
Vorerfahrungen hat der Doktorand keine, aber darin liege auch der Reiz: etwas zu tun, was ihm so noch nicht bekannt war. Im Unterschied zu Berufsrichter:innen betreten Schöff:innen den Gerichtssaal ohne Kenntnisse des verhandelten Falls. Es gibt weder Akten noch Informationen vorab. Zwar erhält man in der Regel ein kurzes Briefing durch die Richter:innen, aber Ziel ist es, sich ein Bild davon zu machen, was im Gerichtssaal geschieht, ohne sich vorher eingearbeitet zu haben.
Auf diese Weise erhalte man interessante Einblicke in die Justiz, erzählt Gräf. Er selbst habe den Gerichtssaal oft erstaunt und manchmal traurig darüber verlassen, wie unterschiedlich Leben verlaufen können. Besonders gelte das bei Personen, die so alt seien wie er selbst, aber an einem Punkt ihres Lebens von der Bahn abgekommen und straffällig geworden seien.
Es gebe aber auch kuriose Fälle, etwa wenn renitente Rentner:innen aufgrund von kleineren Bagatellen vor Gericht landeten, weil sie über Jahre hinweg immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerieten – „das war dann manchmal auch etwas unterhaltsam.“
Insgesamt lässt sich das Schöffenamt sehr gut mit seinem Alltag während der Promotion verbinden. „Mein Doktorvater wäre da vielleicht anderer Meinung, aber an sich ist beides durchaus gut vereinbar“, sagt Gräf lachend. Man bekomme jedes Jahr eine Liste mit etwa einem Termin pro Monat zugesandt, an dem man zu Verhandlungen geladen werden kann.
Tatsächlich wird man nur geladen, wenn an diesen Tagen auch eine Verhandlung stattfindet. Das passiert etwa drei- bis viermal im Jahr. Die Verhandlungen können dann aber durchaus mehrere Tage in Anspruch nehmen.
Gräf ist sich sicher, dass er diesen zeitlichen Aufwand bereits während seines Studiums hätte leisten können. Der Grund, wieso dieses Ehrenamt den meisten Studierenden nicht offensteht, ist das Mindestalter von 25 Jahren.
Die Altersbegrenzungen sieht Gräf kritisch: „Ich glaube, am Ende wird man das in beide Richtungen ausweiten müssen.“ In den Gegenden Deutschlands, in denen die Versorgungslage mit Schöff:innen kritisch ist, werde man sich fragen müssen, ob diese Beschränkungen noch sinnvoll sind. „Man kann mit 18 Bundestagsabgeordnete werden – warum sollte es nicht möglich sein, in diesem Alter ehrenamtliche Richterin zu sein?“, argumentiert der Doktorand.
Generell hat er in seiner bisherigen Amtszeit unter seinen Mitschöff:innen sehr unterschiedliche Menschen kennengelernt. Er erinnert sich beispielsweise an eine Infoveranstaltung zu Beginn der Amtszeit: „Ich habe wirklich selten in meinem Leben eine Gruppe gesehen, die mir so sehr nach Abbild der Gesellschaft aussah.“
In den vergangenen Monaten gab es allerdings vermehrt Berichte, nach denen rechtsextreme Parteien und Gruppierungen dazu aufrufen würden, sich als Schöff:innen zu bewerben, um Einfluss auf das Rechtssystem zu nehmen. In Deutschland kann beispielsweise keine Person gegen den Willen der Schöff:innen verurteilt werden – die Möglichkeit zur Blockade wäre also gegeben.
Gräf hat in seinem Bekanntenkreis mitbekommen, dass Leute mit Besorgnis auf diese Bestrebungen reagierten.
Kai Gräf hat sich auch für die neue Wahlperiode beworben – er hat durchweg positive Erfahrungen mit dem Ehrenamt gemacht. „Mir wird es leichtfallen, das noch fünf weitere Jahre zu machen.“
Von Emily Burkhart
...studiert Politikwissenschaften und Soziologie an der Universität Heidelberg und schreibt seit Oktober 2022 für den ruprecht. Sie interessiert sich besonders für das aktuelle politische Geschehen, sowie für alles rund um das studentische Leben in Heidelberg.
...hat in Heidelberg Informatik studiert und war zwischen 2020 und 2023 Teil der ruprecht-Redaktion. Ab dem WiSe 2021 leitete er das Feuilleton und wechselte im WiSe 2022 in die Leitung des Social-Media-Ressorts. Im Oktober 2022 wurde er zudem erster Vorsitzender des ruprecht e.V. und hielt dieses Amt bis November 2023.