In ihrem Buch „Alte weise Männer“ gehen die Journalistinnen Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus mit dem feministischen Zeitgeist hart ins Gericht
Zwei junge Frauen wollen alten, weißen Männern endlich Gehör verschaffen – was nach einem Postillon-Beitrag klingen mag, ist die Kurzfassung des im Frühjahr erschienenen Sachbuchs „Alte weise Männer“ der Journalistinnen Franca Lehfeldt, Welt-Reporterin, und Nena Brockhaus, Bild-Moderatorin. Als „Liebeserklärung an Leistung, Erfahrung und Charakter“ beschreibt der Verlag Gräfe und Unzer den Bestseller mit dem Untertitel „Hommage an eine bedrohte Spezies“. Neben einer reaktionären Gesellschaftsanalyse enthält das Buch zehn mit Suggestivfragen gespickte Interviews mit alten, hochkarätigen Männern.
Die Frage, wer oder was die Spezies des alten weisen Mannes eigentlich bedroht, wird dem Leser – gendern ist angesichts der Zielgruppe wohl kaum nötig – schnell beantwortet: „Vom feministischen Zeitgeist abgestraft und in die Ecke gestellt“, kann der alte weise Mann einem wirklich leidtun. Ebenso schnell wird klar, dass die Autorinnen den Begriff des alten weißen Mannes offenbar nicht verstanden haben. Denn dabei geht es nicht um „gelebte Altersdiskriminierung“, sondern vielmehr um eine Weltanschauung. Weiter geht es mit einer ordentlichen Portion internalisierter Misogynie. Bereits in der Einleitung verstricken sich die Autorinnen ins Narrativ der Stutenbissigkeit. Während Frauenbeziehungen – abgesehen von netten „Empowerment“-Kommentaren in den sozialen Netzwerken – oft von Neid und Intrigen geprägt seien, baue man sich unter Männern schon lange Räuberleitern.
Doch beschränkt sich der männliche Altruismus nicht aufs eigene Geschlecht: „Als Architekten weiblicher Karrieren haben sie vielen Frauen Brücken gebaut, wo sonst nur eine Sackgasse oder gar ein Abgrund gewesen wäre“, bekunden Brockhaus und Lehfeldt ihren Dank. Erinnert man sich an die #MeToo-Skandale im Hause Springer – Arbeitgeber beider Autorinnen – sind solche Aussagen nicht nur pathetisch, sondern schlichtweg ironisch und unangebracht.
Die Hoffnung, manche Interviews würden interessante Erkenntnisse liefern und das Buch zum Besseren wenden, bleibt leider unerfüllt. Dass es sich bei einem Gesprächspartner um Lehfeldts Vater und bei einem weiteren um Welt-Herausgeber Stefan Aust und damit um ihren Chef handelt, dürfte eine unvoreingenommene Herangehensweise kaum begünstigen.
Auch den restlichen Interviews ist ein unterwürfiger Ton gemein, der eher blindem Anhimmeln als aufmerksamem Zuhören gleichkommt. An einigen Stellen lässt sich der Versuch beobachten, die Atmosphäre reportageartig einzufangen, wobei der inhaltliche Mehrwert auf der Strecke bleibt. So werden Brockhaus und Interviewpartner Mario Adorf von dessen Frau mit Keksen bedient – und konservative Rollenbilder gleich mit. Während die alten weisen Männer eine Glorifizierung erfahren, wird der restlichen Gesellschaft ein verkommener Wertekompass attestiert. Dass Lehfeldt, die mit Christian Lindner verheiratet ist, an Werte wie Leistungswille und Disziplin appelliert, ist kaum überraschend.
Doch dabei bleibt es nicht: Wie die beiden im Kapitel mit dem dramatischen Titel „Die Lage der Nation“ erläutern, leide die junge Generation an einem „Anspruchs- und ‚Good Life‘-Denken“. Gemeint sind etwa Forderungen nach einem Studium für alle oder einer gesunden Work-Life-Balance. Der einzige Ausweg sei zuzuhören, und zwar „den alten weisen Männern, denen wir unseren Wohlstand größtenteils zu verdanken haben“. Eines muss man dem Buch lassen: Indem es verschiedene Mediengattungen vereint, punktet es mit enormer Vielfalt. So erinnern metaphorisierte Horoskop-Appelle („Tauchen Sie mit uns ein in die Lebensweisheiten der alten weisen Männer“) an kitschige Kiosklektüre. Gleichzeitig dürften sogar David Attenborough-Fans auf ihre Kosten kommen, denn – wie der Podcast Feminist Shelf Control passend bemerkt – ähnelt die Charakterisierung des alten weisen Mannes, der scheu ist und nur langsam Vertrauen fasst, einer Tierdokumentation.
Wer dem „Anspruchs- und ‚Good Life‘- Denken“ bislang widersagen konnte und aufgrund von tugendhaftem Leistungswillen kaum Zeit zum Lesen hatte, ist mit diesem literarischen Allrounder bestens beraten.
Von Luzie Frädrich
Luzie Frädrich studiert Politikwissenschaft und Economics. Sie schreibt seit 2021 für den ruprecht. Ihr Interesse gilt insbesondere politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, darunter auch feministische Themen.