Bausünden trüben nicht nur das exzellente Erscheinungsbild, sie ertränken auch Forschungsgelder. Da helfen nur noch Humor und Gummistiefel
Dass das Neuenheimer Feld nicht gerade zu den Glanzleistungen der Baukunst gehört, ist bekannt – dem Theoretikum sei Dank. Der riesige Komplex bröckelt gefühlt schon seit seiner Erbauung. Asbest und Taubenkot tragen nicht gerade zur Attraktivität bei. Zahlreiche Urban Legends ranken sich um die unterirdischen Gänge. Ganze Gruppen von Erstis sollen schon tagelang in den Katakomben verschollen gewesen sein. Das zu glauben fällt leicht, wenn man durch die verwinkelten Innenhöfe irrt, begleitet vom Geschrei der Dohlen.
Der neuere Teil des Campus mag nicht ganz so herausgewürgt erscheinen wie sein Herzstück aus geriffeltem Sichtbeton. Das Mathematikon erstrahlt in hellem Beige, so hell, dass die Megabaustelle um den künftigen Audimax fast nicht zu sehen ist. Ja, überall Kräne, überall geschäftiges Dröhnen. Und wie schön erst, wenn der nigelnagelneue Neubau dann endlich feierlichst übergeben werden kann. Doch hinter manch frischer schwarz gekachelter Fassade verbergen sich Bausünden, die sogar einer Wasserwaagenlegasthenikerin wie mir ins Auge stechen. Vielleicht das Produkt der Hastigkeit eines Handwerkers, der vor lauter Aufträgen nicht mehr geradeaus denken konnte.
Krumm montierte Fenster oder Steckdosen sind ja noch verzeihbar. Kritisch wird es, wenn es plötzlich anfängt, von der Decke zu regnen, so wie vor wenigen Wochen im Gebäude INF 225. Im ersten Moment scheint es noch das Projekt eines verirrten Umweltphysikers, dann beginnt der Ernst der Lage durchzusickern: In einen Laborkeller mit mehreren Tausend Euro schweren Gerätschaften strömt Wasser… und zwar nicht über irgendein Loch, sondern geradewegs durch ein Rohr, das fälschlicherweise verlegt wurde. Das eine Ende zeigt ins Abflusssystem des Neuenheimer Feldes, das andere in den Stromkasten.
Tja, und wenn es stundenlang wie aus Kübeln schüttet, fließt das gesamte Abwasser des Neuenheimer Feldes in besagten Keller. Somit hat der Neubau jetzt endgültig seine Taufe erhalten. Das ist nicht einmal die einzige Sintflut, die über Heidelberg hereingebrochen ist: Während die Redaktion des ruprecht – klopf, klopf, klopf – dieses Semester trocken geblieben ist, war das Marstallcafé wegen Wasserrohrbruch gesperrt. Neidisch blickt nur der trockene Brunnen vor der Zentralmensa auf diese Wassermassen. Keiner weiß, wann die Betonwanne das letzte Mal gefüllt war.
Bei mir werfen diese Neubau-Überraschungen eine Frage auf: Wie viele der hunderten Baustellen, die ich tagtäglich mit dem Fahrrad umfahren muss, sind nur Produkte eines verpfuschten ersten Versuchs? Wie viele der vielen hundert Handwerker:innen auf diesen Baustellen legen eigentlich beim Mauern eine Wasserwaage an? UND WIE KANN BITTESCHÖN EIN ROHR VON DER KANALISATION IN DEN KELLER VERLEGT WERDEN?
Fragen über Fragen. Es bleibt zu hoffen, dass die Umsetzung des Masterplans im Neuenheimer Feld wie durch ein Wunder ganz anders verläuft. Solange empfiehlt es sich, den Regenschirm auch im Inneren des Gebäudes griffbereit zu halten.
Ein Kommentar von Lena Hilf
...studiert Physik und schreibt seit Oktober 2019 für den ruprecht. Besonders gerne widmet sie sich Glossen, die oft das alltägliche Leben sowie wissenschaftlichen oder politischen Themen. Seit April 2021 leitet sie das Ressort Hochschule.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.