Seit vergangener Woche schmücken nicht nur Sonnenblumen und Lampions in allen Farben des Regenbogens die Plöck, auch die Reichsflagge hatte ihren Auftritt an der Fassade eines Verbindungshauses. An den problematischen Farben stört sich nicht nur unser Autor
Verärgerung, Empörung oder einfach nur überfordertes Staunen: Diese Gefühle kann man den Gesichtern der Passant:innen attestieren, die an diesem Freitag, dem 7. Juli 2023 durch die Plöck in Heidelberg spazieren. Der neueste Schmuck der Straße löst Unverständnis aus. Der Heidelberger Ortsverband des Vereins Deutscher Studenten (VDSt) hat feierlich über der Eingangstür seines Verbindungshauses dessen Fahne gehisst: Schwarz, Weiß und Rot – besser bekannt als Flagge des Deutschen Kaiserreichs. Nach dem Fall der Weimarer Republik adaptierten auch die Nationalsozialisten sie zeitweise als offizielle Fahne Deutschlands.
Im Dritten Reich ist sie zwar 1935 durch die Hakenkreuzflagge der NSDAP ersetzt worden – im ersten Artikel des sogenannten Reichsflaggengesetzes wurde dennoch im selben Jahr festgelegt: „Die Reichsfarben sind Schwarz-Weiß-Rot.“ Während der Weimarer Republik setzte man viel daran, die alten Farben abzulegen. Die einzigen Gegenstimmen dieses Bestrebens kamen von rechts-nationalistischen Verbänden. Diese Tatsachen sollten Grund genug sein – fast 80 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs – dieses Banner endgültig in die Tonne zu treten und die Vereinsfarben zu ändern.
Die Fahne ist nicht rein zufällig deckungsgleich mit der Reichsflagge. Auf der Website der Verbindung heißt es: „Die Farben des VDSt zu Heidelberg sind die Farben des Deutschen Kaiserreichs.“ Während der initialen Vereinsgründungen im späten 19. Jahrhundert wählte man diese aus Begeisterung über ein neu entstandenes deutsches Nationalgefühl. Zu Beginn der Weimarer Republik hat man überlegt, Schwarz-Rot-Gold zu übernehmen. Der Gedanke wurde jedoch wieder verworfen, um den Anfängen des Vereins treu zu bleiben.
So verteidigt der Verein auf seiner Internetseite auch die Beibehaltung der Fahne. Man sei sich der Problematik der Farbkombination bewusst und lehne jegliche ideologische Zweckentfremdung dieser ab. Im Einklang mit dieser Argumentation wurden vom 7. auf den 8. Juli Europafahne und Regenbogenflagge dazu gehängt. Wie eine zur Versöhnung angebotene Hand; ein Versuch, sich tolerant und weltoffen zu zeigen. Dennoch bleibt die einfachste Lösung dieser Problematik, die veralteten Farben endlich abzulegen.
Das Gegenargument, die Farben aus historischen Gründen behalten zu wollen, wirkt in Anbetracht der restlichen Nazi-Symbolik naiv. Vom altindischen Hakenkreuz bis zur germanischen Runenschrift eigneten sich die Nationalsozialisten viel immaterielles Gedankengut an, das bis heute verboten und geächtet bleibt. Auf Anfrage des ruprecht, weshalb man an der Reichsfahne festhält, reagierte der Heidelberger Verein nicht.
In mehreren Städten gibt es heutzutage einen VDSt, eng verbunden sind alle durch einen Dachverband. Wechselt man beispielsweise als Mitglied den Studienort, tritt man automatisch dem ansässigen Verein bei. Dass sich der VDSt nun mit seiner Geschichte auseinandersetzt, sollte eigentlich etwas Gutes sein – seine Vergangenheit enthält nicht nur problematische Farben, sondern auch Personen. Der Arzt Gustav Adolf Scheel beispielsweise bekleidete neben den Ämtern des SS-Obergruppenführers und Sicherheitspolizei-Befehlshabers auch den Vorsitz des Heidelberger VDSt und war bis zu seinem Tod im Jahr 1979 Ehrenmitglied der Verbindung.
Eine zweite kritische Persönlichkeit ist der Historiker Heinrich von Treitschke: Das Ehrenmitglied des Berliner VDSt-Verbands lehrte von 1867 bis 1873 an der Ruprechts-Karls-Universität. 1879 brach um ihn der Berliner Antisemitismus-Streit aus, nachdem er in einem Aufsatz erklärt hatte, dass die Juden das deutsche Nationalgefühl bedrohten. Dieser Aufsatz enthält den Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der zum Schlagwort des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde. Eine kritische Auseinandersetzung mit Scheel oder Treitschke sucht man auf der Vereins- und Dachverbands-Website ohne Erfolg.
Viele der fast 30 Verbindungen in Heidelberg genießen bis heute das Privileg eines Hauses in der Altstadt. Liberale Einstellung und Weltoffenheit propagieren einige von diesen. Die zentrale Lage auszunutzen, um der Plöck eine Reichsflagge vor das Gesicht zu hängen, kann allerdings nur als Provokation gewertet werden – vor allem, da an diesem Wochenende gleichzeitig Plöckfest und Schlossbeleuchtung stattfanden.
Dass das restliche Jahr über die gleiche Fahne über dem Dach des Gebäudes wie ein Schatten hängt, macht die Situation nicht besser. Die Absurdität, diese Fahne neben Europa- und Regenbogenflagge aus dem gleichen Fenster zu hängen, verspottet jegliche Toleranz und Weltoffenheit der Studierendenstadt. Auch Sascha Balduf, Pressesprecher der Stadt Heidelberg, betont, dass Heidelberg für gelebte Vielfalt stehe und sich gegen jegliche Form von Ausgrenzung engagiert, äußert sich jedoch nicht konkret zu der Aktion des VDSt.
Das einzig positive Fazit dieser ekelhaften Fahnenschau bleibt, dass Passant:innen an der altertümlichen Tür der Verbindung klingelten, um die Bewohner mit der deutschen Vergangenheit ihrer Farben zu konfrontieren.
Ein Kommentar von Justus Brauer
…hielt schon immer gerne eine Zeitung in der Hand. Seit Frühling 2023 kann er seine Begeisterung für den Journalismus beim ruprecht ausleben.
...studiert molekulare Biotechnologie und ist seit dem Sommersemester 2023 beim ruprecht. Meistens schreibt sie wissenschaftliche Artikel oder über das studentische Leben. Seit November 2023 kümmert sie sich außerdem um die Website und den Instagram-Kanal des ruprecht.